medienwissenschaft

Das Spektakel der Mobilität Über Vanessa R. Schwartz’ Jet Age Aesthetic: The Glamour of Media in Motion

Von Roland Meyer

La Jetée (Chris Marker)

© Argos Films

 

Technisch gesehen haben wir das Jet-Age nie verlassen. Die Tausenden von Passagierflugzeugen, die derzeit auf den Flughäfen der Welt dicht geparkt herumstehen, beruhen noch immer auf der gleichen Antriebstechnik wie die in den 1950er Jahren in Betrieb genommene Boeing 707 – und würden, wenn sie denn wieder abheben, auch kaum höhere Geschwindigkeiten erreichen. Als kulturelle Mikroepoche jedoch währte das Zeitalter des Düsenflugzeugs nur rund ein Jahrzehnt. 1958 konnte Frank Sinatra seine Zuhörer*innen noch mit der Aussicht betören, mit ihm auf einen Drink nach Bombay oder Acapulco zu gleiten: Come Fly with Me, gleichsam die Hymne des Jet-Age, wurde zu einem seiner größten Hits. Um 1960 verkörperte die Flugreise ein glamouröses Zukunftsversprechen – und war für die allermeisten noch unbezahlbar. Eine Dekade später hatten vom Massentourismus chronisch überfüllte Terminals und Flugzeugentführungen nahezu im Wochentakt diesem Versprechen empfindliche Dämpfer verpasst. Selbst für Hollywood war der Airport nun, etwa in der gleichnamigen Verfilmung von Arthur Haileys Erfolgsroman, kein Ort der Sehnsüchte mehr, sondern bloß ein aus allen Nähten platzender Schauplatz kleinerer und größerer Katastrophen. Heute schließlich, in Zeiten von Pandemie und Klimakrise, taugen Nachrichtenbilder einst überlaufener, mittlerweile menschenleerer Abflughallen gerade noch als Chiffre von Ansteckungsangst und kollektiver Verantwortungslosigkeit. Die Zukunft von gestern scheint lange vorbei.

Was kann da ein kulturhistorischer Blick auf das Jet-Age mehr zu Tage fördern als die nostalgisch gefärbten Klischees, die bereits die Zeit selbst von sich in Umlauf brachte und die seitdem in der kulturindustriellen Endlosschleife zirkulieren: die Pan-Am-Uniformen im Zeichen des blauen Globus, die Cocktail-Lounges im Mid-Century-Style, der in Kodachrome und Technicolor verewigte tourist gaze auf die spät-und postkoloniale Welt, der sich noch naiv und unschuldig wähnte? Sehr viel mehr, verspricht die amerikanische Kunst-und Kulturhistorikerin Vanessa Schwartz, die im glamourösen Zukunftsversprechen der Jet Age Aesthetic einen Schlüssel zum Verständnis der digitalen Gegenwart gefunden haben will. Flugreisen, so die These ihres neuen Buches, eröffneten um 1960 einen neuartigen Erfahrungsraum, der nachhaltig die Art und Weise verändert hat, wie wir uns durch gebaute wie mediale Umwelten bewegen – und der seine Fortsetzung in den global vernetzten Bildwelten der Gegenwart finden soll.

«Fluid motion and sensationless travel», so lautet Schwartz’ griffige Formel für die zentrale Erfahrung des Jet-Zeitalters. Denn schon für die Zeitgenoss*innen war das Sensationelle am neuen Verkehrsmittel die weitgehende Sensationslosigkeit: Wer die Passagierkabine betrat, begab sich in eine perfekt von der Außenwelt abgeschirmte Mikroumwelt.

Erschütterungen und Fluglärm waren, zumindest im Vergleich mit den alten Propellermaschinen, fast nicht mehr spürbar, und selbst der Blick aus dem Fenster bot auf Reiseflughöhe kaum noch äußere Stimulation. Die künstliche Reizarmut provozierte schon bald den Wunsch nach medialer Kompensation: Das Jet-Age ist auch die Geburtsstunde des In-flight Entertainment. Wo bereits die Eisenbahnreise des 19. Jahrhunderts, wie Wolfgang Schivelbusch sie beschrieben hat, die durchfahrene Landschaft unwirklich und abstrakt werden ließ, wird die physische Außenwelt im Jet völlig negiert, und übrigb bleibt, was Paul Virilio in den 1990er Jahren düster raunend als «rasenden Stillstand» identifiziert hat.

Solche apokalyptische Kulturkritik ist Schwartz allerdings ebenso fern wie eine Mediengeschichte, die in Krieg und Zerstörung den letzten Horizont technischer Mobilität sieht. Ihr Buch will vielmehr die Faszinationsgeschichte einer kontinuierlichen, störungsfreien und ereignislosen Mobilität nachzeichnen, die sich keineswegs auf die Flugreise selbst beschränkte. Der Jet, als konkretes Verkehrsmittel wie Emblem einer Epoche, bildet darin den Nexus eines weitausgreifenden Medienverbundsystems aus Verkehrsarchitekturen und Freizeitlandschaften, Bildmedien und Kommunikationstechnologien, in dem reine Zirkulation als solche sinnlich erfahrbar wurde. Der Ästhetik der fluiden Mobilität nähert sich Schwartz folglich weniger über die Design-und Technikgeschichte des Luftverkehrs, sondern indem sie die Raum-und Bildproduktion von Architekturbüros, Hollywoodstudios und Fotojournalist*innen in den Blick rückt – jenen «aesthetic stakeholders», die sich in dieser Zeit daran machten, fluide Raumvorstellungen im Alltag zu implementieren und ein Leben in kontinuierlicher Bewegung glamourös erscheinen zu lassen.

Die Umrisse dieser Ästhetik werden in vier lose verknüpften Kapiteln skizziert, die unterschiedliche Schauplätze des Jet-Age durchqueren und dabei immer wieder mit überraschenden Einblicken aufwarten. So erfährt man im ersten Kapitel, das dem Flughafen gewidmet ist, wie dieser gerade für diejenigen zur Attraktion werden konnte, die sich eine Flugreise (noch) nicht leisten konnten. In Paris etwa entstand Ende der 1950er Jahre ein neues Sonntagsritual: Statt aufs Land hinauszufahren, versammelten sich nun ganze Familien auf der neuen Aussichtsterrasse des Flughafens von Orly zum Picknick. Kinder spielten in Sandkisten, über Lautsprecher wurde das Geschehen auf dem Rollfeld kommentiert, und im 1:1-Modell eines Passagierjets in Originalausstattung konnte man von der Reise in die Ferne träumen. Zwischen 1956 und 1966 zog die Aussichtsterrasse von Orly mehr Besucher*innen an als der Eiffelturm – nur Versailles war noch beliebter. Ein Kino mit 350 Plätzen, eine Kunstgalerie und einer der ersten super-marchés, der sieben Tage die Woche geöffnet hatte, ließen den Flughafen selbst zur Destination werden. Doch als besondere Attraktion für die sonntäglichen Ausflügler*innen, so beschreibt es Schwartz, erwiesen sich die unzähligen Rolltreppen, Aufzüge und elektrischen Verkaufsautomaten – wie der Jet selbst Symbole einer Zukunft reibungsloser Mobilität, die zum Greifen nah schien. L’Officiel des Spectacles, ein wöchentlich erscheinender Pariser Kulturführer, listete Orly selbstverständlich unter den Sehenswürdigkeiten der Stadt: Hier wurde Mobilität selbst zum Spektakel.

Diese Konvergenz von Mobilität und Spektakel erscheint als der rote Faden, der sich durch Schwartz’Buch zieht. Doch nicht immer gehen beide so reibungslos ineinander auf wie auf der Besucherterrasse von Orly. Denn bereits der Flughafen des Jet-Age war nicht allein ein Spektakel, sondern vor allem ein permanentes Provisorium. Die Zukunft, die die eleganten spätmodernistischen Terminalarchitekturen versprachen, war häufig bereits im Moment der Inbetriebnahme von der Wirklichkeit eingeholt worden. Explodierende Passagierzahlen und die absehbare Ankunft des Jumbo-Jets schufen völlig neue räumliche Anforderungen, denen allein ständige An-, Aus-und Umbauten begegnen konnten. So begann mit dem Jet-Age auch das Zeitalter der eingebauten Obsoleszenz: Zukunft fand von nun an primär im Modus des stets vorläufigen Updates statt. Ob das von den Reisenden immer als so glamourös empfunden wurde, wie Schwartz suggeriert, mag bezweifelt werden.

Tatsächlich kommen die Stimmen der Passagier*innen bei ihr kaum zu Wort. Zumeist verlässt sich Schwartz, wo sie die Erfahrungsräume des Luftverkehrs beschreibt, auf die Aussagen der Planer. Doch deren Ehrgeiz galt weniger der subjektiven Erfahrung als dem funktionalistischen Phantasma kontrollierbarer und störungsfreier Zirkulation. Selbst Eero Saarinen, der mit dem – einem geschwungenen Vogelflügel nachempfundenen – New Yorker TWA-Terminal die ikonische Architektur des Jet-Age schuf, sah darin vor allem eine riesige logistische Maschine, durch die die Reisenden möglichst effizient hindurchgeschleust werden sollten. Diese Vorstellung von Architektur als einem Medium der Distribution von Menschen-, Waren-und Informationsströmen war allerdings, wie Susanne Jany in ihrem Buch Prozessarchitekturen (2019) gezeigt hat, schon für die Verkehrsbauten um 1900 leitend. Ob und wie dagegen die Flughafen-Architekten des Jet-Age die Reisenden auch als individuelle Wahrnehmungssubjekte adressieren wollten, wo sie doch wie schon ihre funktionalistischen Vorgänger in ihnen vor allem kontinuierlich strömende und reibungslos abzufertigende Masseteilchen sahen, das bleibt bei Schwartz seltsam unterbelichtet. An typologischer Differenzierung oder architekturhistorischer Periodisierung zeigt sie nur wenig Interesse. Elegant gleitet das erste Kapitel von einem Beispiel zum nächsten, so dass das Bild eines idealen Gesamtflughafens entsteht, der so bestenfalls im Kopf der Planer existierte.

Oder vielleicht nicht nur – denn seine exemplarische Verwirklichung erfuhr der spektakulär ereignislose Raum der kontinuierlichen Zirkulation von Leuten und Bildern, der für Schwartz das Jet-Age charakterisiert, nicht im Flughafen, sondern an einem (nicht ganz so) anderen Ort: in Disneyland, dem das zweite Kapitel des Buches gewidmet ist. Wo im Flughafenterminal die technische Mobilisierung von Menschenströmen noch weitgehend im Rahmen funktionalistischer Betriebsorganisation verblieb, da konnten die Besucher*innen von Disneyland erleben, wie Logistik selbst ästhetisch wurde. Disneys Designer*innen, die berühmte Imagineers, übersetzten nämlich, so Schwartz, nicht einfach die Bildwelten des Kinos in dreidimensionale Erlebnislandschaften, sondern erhoben die Transporttechnologien des «people-moving» zur Kunstform. Disneyland wurde als eine Welt des flows konzipiert, die in kontinuierlicher Bewegung erfahren werden sollte. Die Zirkulation durch den Themenpark in diversen Vehikeln, vom Kanu bis zur Monorail, war dessen eigentliche Attraktion wie sein wesentlicher Inhalt.

Denn während die Besucher* innen bruchlos durch Zeiten und Räume glitten, sollten sie auch die amerikanische Geschichte, von der Eroberung des Westens mittels Eisenbahn bis zum raketengestützten Aufbruch in den Weltraum, als kontinuierliche Abfolge immer grandioserer Transportmittel erleben – eine frohe Botschaft, die die Imagineers 1964 auch im von Disney gestalteten Ford Magic Skyway auf der New Yorker Weltausstellung verbreiten konnten. Hier saßen die Besucher*innen zwar im brandneuen Ford Mustang, während sie der Time Tunnel von der Welt der Dinosaurier bis zur City of Tomorrow führte, doch dank elektronischer Zentralsteuerung konnten sie sich dabei fühlen, als glitten sie auf einem Luftkissen dahin. Das fliegende Auto, vielleicht das uneingelöste Versprechen des Jet-Age, schien da nur als der zwingende nächste Schritt. Auch hier war das (Transport-)Medium buchstäblich die Botschaft. Indem sie also anstelle von Zeichen und Oberflächen die infrastrukturelle Materialität des Spektakels in den Blick rückt, will Schwartz auch eine Gegenerzählung zu den zeitgenössischen Diagnosen europäischer Intellektueller wie Umberto Eco und Jean Baudrillard liefern: Disneyland ist für sie keine bloße Simulation oder referenzlose Hyperrealität, sondern ein neuartiger Verkehrsraum, der den reibungslosen Übergang zwischen gebauten Räumen und medialen Bildwelten organisiert.

In dieser medienlogistischen Engführung von Verkehrs-und Bildgeschichte liegt der eigentliche Einsatz von Jet Age Aesthetic. Das zeigt vor allem das dritte Kapitel, das vom Jet-Set und damit von einer globalisierten Elite handelt, die permanente Mobilität als neuen glamourösen Lebensstil vorführte. Das Jet-Set, so Schwartz, verdankte sich nämlich ebenso dem neuen Verkehrsmittel, das ihm den Namen gab, wie der globalen Zirkulation von Bildern. Als konkrete soziale Gruppe ließ sich diese neue Elite nicht fassen – sie existierte primär als fotografischer Bilderstrom, der die Seiten der Hochglanzmagazine füllte. Einstmals abgelegene Orte wie Acapulco, Antigua und Gstaad, die nun von Paris oder New York in weniger als 24 Stunden erreichbar waren, wurden so zu Knotenpunkten in einem global vernetzten Bildraum. Ebenso wandelten sich die Flughäfen von bloßen Verkehrsbauten zu medialen Umschlagplätzen, die endlosen Fotoserien des Ankommens und Abfliegens der beautiful people als Kulisse dienten. Die Ankunft mancher Stars auf dem Rollfeld zog soviel Aufmerksamkeit auf sich, dass Flughafenverwaltungen mit dem Ansturm der Fotograf *innen, Journalist*innen und Fans überfordert waren. Die Airports reagierten mit der Einrichtung von Presselounges, wo sich die Stars der Medienöffentlichkeit stellen konnten – und bisweilen gleich danach wieder abflogen, wie Brigitte Bardot, die 1965 nach New York flog, um dort für Viva Maria! zu werben, ohne die Stadt überhaupt zu betreten.

Doch nicht nur die Stars, auch die Fotograf *innen der großen Magazine selbst waren Teil des Jet-Sets, und das neue Verkehrsmittel veränderte ihre Arbeitsgrundlagen fundamental. New Yorker Starfotograf *innen stand nun buchstäblich die ganze Welt offen, und die Bilder, die sie schossen, konnten so rasch wie nie zuvor in die Redaktionen geliefert werden – was umso wichtiger wurde, als mit dem Fernsehen bereits ein Konkurrenzmedium lauerte, das Bilder in Echtzeit, aber viel schlechterer Qualität lieferte. Die Medienkonkurrenz um Geschwindigkeitsvorteile, die auf den Magazinseiten selbst zur Story wurde, schildert Schwartz packend am Beispiel der Krönung der Queen 1953. Deutlich wird dabei, dass die Zirkulation von Bildern mehr ist als nur eine Metapher – Bilder sind an Transporttechnologien gebunden, und kein physisches Transportmittel war schneller als der Jet. Skizzenhaft wird so das Projekt einer Bild-als Transportgeschichte sichtbar, das der Ausarbeitung harrt. Statt diesen Strang jedoch weiterzuverfolgen, rückt Schwartz im vierten und letzten Kapitel schließlich mit Ernst Haas einen einzelnen Fotografen ins Zentrum, der mit seinen Farbfotostrecken einer «magischen» Welt purer Bewegung Furore machte. Doch bleibt zweifelhaft, ob Haas’ Ästhetik des flows, seine in dynamische Farbschlieren aufgelösten Impressionen von Rodeo-Reitern, Wasser-Skifahrern und Stierkämpfern etwa, so viel mehr leisteten, als die modernistischen Experimente von László Moholy-Nagy und anderen Protagonist*innen einer Vision in Motion ins Magazinformat zu übersetzen.

Mit solchen Zweifeln verschwimmt gegen Ende dieses Buches auch alles vermeintlich Spezifische der Jet Age Aesthetic in einer rasenden Bewegungsunschärfe, und es drängt sich die Frage auf, ob das Jet-Age wirklich mehr war als bloß eine flüchtige Episode jener viel umfassenderen Mobilisierung von Leuten, Dingen, Bildern, Zeichen und Räumen, die man Moderne nennt. Damit allerdings wird auch der Anspruch des Buches, einen Beitrag zur Archäologie der Gegenwart zu liefern, fragwürdig. Denn was es konkret heißen soll, dass um 1960 die ästhetischen Bedingungen der digitalen Zirkulation von Bildern im planetarischen Maßstab geschaffen wurden, wird kaum mehr als angedeutet. Ja, selbst die Ästhetik des Jet-Age zerfällt, jenseits der kontinuierlich wiederholten Formel der fluid motion, in einzelne ebenso faszinierende wie unverbundene Bilder und Szenen. Unklar bleibt, was die Sonntagsausflügler*innen auf der Besucherterrasse von Orly und die globalen beautiful people, die um die Welt jettenden Magazin-Fotograf *innen und die kleinbürgerlichen Disneyland-Besucher* innen tatsächlich an gemeinsamen ästhetischen Erfahrungswelten teilten. So liefert die Lektüre von Jet Age Aesthetic am Ende doch vor allem anregende – und durchgängig wunderbar farbig illustrierte – Blicke auf eine längst vergangene Epoche, die zum Verständnis der Gegenwart vielleicht nicht ganz soviel beizutragen vermögen, wie Schwartz suggeriert. In dieser Hinsicht nähert sich das Buch seinem Gegenstand an: Es bleibt ein uneingelöstes Versprechen. 

 

Vanessa R. Schwartz: Jet Age Aesthetic: The Glamour of Media in Motion (Yale University Press 2020)