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Klingen in geschlossenen Räumen Umschriften der Manosphere: Über ein feministisches Quarantänevideo von Jamie Loftus

Von Maren Haffke

© Jamie Loftus

 

Am 12. April 2020 veröffentlicht die US-amerikanische Komikerin Jamie Loftus auf Twitter ein Video für die Rubrik «Confinement Confessions» des Fernsehsenders Comedy Central, dessen Headline Großes verspricht: «Here I am on @comedyCentral discussing my katana’s role in the impending, inevitable class war [E-Gitarren-Emoji]». Das Video ist, wie so vieles, was man derzeit sieht, in einem Wohnzimmer aufgenommen. Auf einem Sofa sitzend adressiert Loftus die Zuschauer*innen, indem sie fröhlich und mit enthusiastischer Unbeholfenheit die Replika eines japanischen Langschwertes auf sie richtet: «Hi, my name is Jamie Loftus and this is my confinement confession. I’m learning the katana. The blade.» Loftus’ linkische Gesten, Signale der Harmlosigkeit und Zugänglichkeit in einem anderen Kontext, erhalten durch die Waffe eine latent bedrohliche Komik. Eine Stimmung befangener Aggression prägt den zweiminütigen Clip, durchbrochen von plötzlichen Momenten kathartischer Überschüsse. Der erratische Bildrhythmus, der in Schnitt und Untertitelung mit dem Timing von Loftus’ lakonischer Delivery spielt, suggeriert eine ebenso lustige wie beunruhigende Nähe von naiver Ernsthaftigkeit und gefährlichem Kontrollverlust. Ähnlich wie in einem Unboxing-Video beginnt Loftus ihr Bekenntnis mit der Präsentation ihrer Waffe und einer Bewertung der Kauf-und Liefer-Transaktion: «On day one of the quarantine I ordered this katana off the internet and it got delivered, uh, by a very angry woman, and I was hooked right away. You know, you get this thing in your hand and you just feel the power. This one is, um, this one was 30$ and so it’s a cosplayer’s katana. And sometimes you get too – hey! – [Schwerthieb] and it just – the blade just falls right off, right?»

Mit ihrem Hinweis auf ein «Studium der Klinge» als Quarantänebeschäftigung schreibt sich die feministische Komikerin in eine spezifische Ikonografie männlich konnotierter apokalyptischer Pathosformeln ein. Seit den späten Nullerjahren zirkulieren Katanas als Memes durch das Internet. Wie der Filzhut Fedora und die Bartfrisur Neckbeard wird das Langschwert online unter anderem mit den Communities der Incels und Failsons der sogenannten Manosphere assoziiert, sowie mit bestimmten Untergruppen der Weeb-Community: weißen Anime-und Manga-Fans, deren Faszination für das, was sie als Werte ‹japanischer› Kultur identifizieren, zugleich als Diagnose einer vermeintlichen Krisenhaftigkeit ‹westlicher› Werte vorgestellt wird. «I studied the blade» ist der Name eines 2016 veröffentlichten Reddit-Memes. Das Image-Makro zeigt einen blassen und ungeschickt anmutenden jungen weißen Mann, der in Baggyjeans und Polohemd ein Katana zückt. Das Bild ist kontrastiert mit einem martialischen Text in der ersten Person Singular: «When you were partying, I studied the blade. When you were having premarital sex, I mastered the blockchain. While you wasted your days at the gym in pursuit of vanity, I cultivated inner strength. And now that the world is on fire and the barbarians are at the gate you have the audacity to come to me for help.»

Seit «I studied the blade» steht das Katana online (außerhalb Japans) nicht zuletzt für die Rachefantasien einsamer junger Männer, die sich nach dem Zusammenbruch einer Gesellschaft sehnen, in deren Ordnung sie keinen Platz für sich sehen. Die in der Kombination von Bild und Text vermittelte Dissonanz von Selbst-und Fremdwahrnehmung wirkt je nach Perspektive schmerzhaft aufrichtig oder schmerzhaft zynisch: Während der Text das Meistern der Klinge als noble Disziplin geistiger und körperlicher Beherrschung positioniert, als heroisch-asketische Alternative zu einer hedonistischen Kultur oberflächlicher Ausschweifung, ruft das Bild des jungen Mannes mit Brille und Schwert vor allem Assoziationen der Verlorenheit und Verworfenheit auf. So hebt der Kontrast von Bild und Text hervor, auf welche implizite Selbsteinschätzung mit dieser brutal ermächtigenden Selbsterfindung reagiert zu werden scheint: die Auffassung, eine machtlose und randständige Position in sozialer Isolation einzunehmen. Die Fantasie einer Veränderung dieser Situation sieht eine Bestrafung der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft durch eine Umkehrung von Machtverhältnissen zur Bekämpfung eines rassistisch geotherten äußeren Feindes vor. Es ist die Hoffnung, das Blatt werde sich schon wenden, wenn die Welt endlich brennt.

Man kann es als Ironie der Gegenwart auffassen, dass die apokalyptischen Wetten rechtsoffener Doomsday-Prepper auf eine Verschiebung der sozialen Ordnung durch eine Ausnahmesituation mit der Corona-Pandemie in einer Weise eingelöst wurden, die keine kathartischen Konfrontationen erzeugt, sondern Gefühle von Isolation und Außenweltverlust verallgemeinert. Es ist ein Zusammenbruch, der vermeintlich banale und wenig heroische Leiden wie Einsamkeit, Langeweile, Hilflosigkeit und Vergleichgültigung nicht zur Auflösung bringt, sondern verstärkt. Diese kollektive Erfahrung der Verletzlichkeit kann Potentiale für Solidarität bieten. Über das Motiv der Leibesübung im häuslichen Raum etabliert Loftus’ Heim-Routine mit dem Katana so auch einen subversiven Querbezug zwischen dem digitalen Bildgedächtnis männlich konnotierter Rachefantasien und einem Archiv der Gesten weiblicher Resilienz und Sorge. Dieses thematisiert Formen der Langeweile, der Isolation und der unfreiwilligen Handlungsunfähigkeit, denen das philosophische Potential lange aberkannt wurde: Aktivitäten zum Zeitvertreib, die mit der Figur der Hausfrau assoziiert sind und Einsamkeit, Leere und Mühsal domestischer Arbeit adressieren. Loftus übt mit dem Schwert als Form der Gymnastik vor dem Fernseher: «I wake up around… four. I get my body all warmed up. I prefer to do a Jane Fonda warm up exercise. And then I just get right to training. You know I train for a couple of hours.» Auf dem Flatscreen, vor dem Loftus erst Aerobic macht und dann das Katana schwingt, erscheinen nacheinander Jane Fonda und ein Schwertmeister. «He’s one of my many, uh, instructors that I work with, throughout the day. He really just seems like a nice guy that I would love to meet someday if we ever get out of the… room.»

Tatsächlich werden Strategien zum Ertragen häuslicher Einschlüsse in der gegenwärtigen Situation überlebenswichtig. Auch traditionell als Kennzeichen stigmatisierter Formen sozialer Isolation abgewertete Verhaltensweisen werden unter den Bedingungen der Pandemie auf heroisches Potential untersucht. Amüsiert stellen diverse Corona-Memes fest, dass es nun in der Tat als ‹heldenhaft› aufgefasst werden könnte, wenig direkten Sozialkontakt zu haben, sich mit Bildschirmen und Spezialinteressen zu beschäftigen und nicht das Haus zu verlassen, statt auf Partys und ins Fitness-Studio zu gehen. Benannt werden damit genau jene Tätigkeiten, deren Nobilitierung «I studied the blade» durch die Umdeutung zum Training für einen bewaffneten Konflikt in Aussicht stellt. Auch bei Jamie Loftus erscheint die Übungspraxis des kombinierten Katana-Aerobic-Fitnessprogramms nicht nur als tägliche Technik der Selbstsorge, sondern stellt zugleich die Frage nach möglichen Zielen für die erlebten Gefühle von Verunsicherung, Wut und Ausgeliefert-Sein. Das im Video evozierte Szenario – ohne Aussicht auf baldigen Ausgang mit einer Waffe in einem geschlossenen Raum eingesperrt zu sein – konnotiert nicht zuletzt die Verletzbarkeit durch domestische Gewalt und psychische Erkrankungen, Formen der Bedrohung, die politisch strukturell zu adressieren sind, und deren verantwortliche Institutionen im Gesundheits-und Sozialsystem der USA derzeit Teil umfassender politischer Aushandlungen sind.

Dass mit Jane Fonda sowohl eine Ikone körperlicher Ertüchtigung als auch eine langjährige politische Aktivistin aufgerufen ist, verweist wie schon das Meme-Schwert selbst auf die subtilen Übergänge zwischen selbstironischen Popkulturbezügen und Gesten politischer Aufrichtigkeit, die kennzeichnend sind für die Rhetorik und Ästhetik der gegenwärtigen Onlinekultur. Genau wie das Ur-Meme situiert auch Loftus ihr Studium der Klinge im Kontext einer antizipierten gesamtgesellschaftlichen Konfrontation. Nicht der Einbruch eines Feindes von außen wird als Auslöser dieser alles erfassenden Auseinandersetzung benannt, sondern eine gewaltsame Zuspitzung der inneren Widersprüche und Konflikte einer Ungleichheit produzierenden Gesellschaft: «I will be ready when this is all over, because when we get out of here, uh, there is gonna be a class war. And I think that that is… that’s a good thing. You know? Because people want answers. I want answers. I just picture myself, you know, showing up at Mark Cuban’s door and saying ‹Hey!› [Schwerthieb] and/or Mark Zuckerberg’s, saying ‹Hey!› [Schwerthieb], you know, and really anyone named Mark you can just show up and you can just grip your blade, wide-hold… ‹Hey!› [Schwerthieb] and all of a sudden you’re getting your answers.» Das angesichts der schwer greifbaren Krise emotional nachvollziehbare Gefühl der Hilflosigkeit, das den absurden Plan plausibilisiert, Fernsehmoderator Mark Cuban und/oder Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg oder irgendeinen Mark mit einem Cosplay-Katana zu besuchen, um «Antworten» zu erhalten, findet in Loftus’ unkoordinierten Schwerthieben eine ebenso komische wie beunruhigend pointierte Darstellung. Es verweist auf Schwierigkeiten, in systemischen Krisen mit globaler Auswirkung Forderungen nach einer Übernahme von Verantwortung zu adressieren, die zur Attraktivität von Theorien mit einfachen Antworten und klaren Antagonist*innen beitragen können.

Als schlagend erweist sich die Nähe des Witzes zu tatsächlichen verschwörungstheoretischen Narrativen. So trägt der deutsche Koch und Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann, als er am 8. Mai 2020 wegen Nichteinhaltung der Abstandsregeln auf einer Berliner Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen von der Polizei abgeführt wird, einen Pullover des von ihm bis vor kurzem gemeinsam mit dem Getränkehersteller Voelkel vertriebenen Energydrinks Daisho, dessen Produktion inzwischen eingestellt wurde. Auf dem «Premium-Hoodie», den man nach wie vor auf der Homepage Hildmanns bestellen kann (wenn man so etwas denn für eine gute Idee hält), ist das Logo des Getränks abgedruckt: ein Samurai mit zwei Schwertern sowie der Markenname in ‹japanisch› anmutendem Kalligraphie-Font. «Daisho das sind die zwei Schwerter des Samurai», heißt es erklärend auf der Homepage des Herstellers, «Das Kurzschwert Wakizashi und das Langschwert Katana. Das Wakizashi steht für die kurze und schnelle Wirkung des Guarana, das Katana für die langanhaltende Wirkung des Matchas. Mit jedem Schluck Daisho nimmst du die Kraft der alten Samurai in dich auf.»

Hildmann selbst scheint seine Limo gerne getrunken zu haben. Für die Daisho-Werbekampagne posiert er in einer Samurai-Rüstung inmitten japanischer Antiken, mit grimmigem Blick und einem Katana in der rechten Hand. Außerhalb der Getränkepromotion postet er das Bild in einer Ende April eingerichteten Telegram-Gruppe, in der er zunehmend verstörte und verstörende Nachrichten über eine von Microsoft-Gründer Bill Gates vorbereitete «Neue Weltordnung» veröffentlicht und schließlich seine Absicht erklärt, für den «Kampf um die Freiheit» bewaffnet in den Untergrund zu gehen. Dort werde er sich, wenn es sein müsse, dem Tod stellen «wie ein Samurai im Krieg». Wahrscheinlich sagt es etwas über die Welt 2020, dass nicht auf Anhieb entscheidbar scheint, ob es die Absicht des Marketing-Teams hinter Daisho war, das Image des als ‹Katana zum Trinken› gepitchten Getränks so klar innerhalb der Online-Ikonografie einer spezifischen Typologie krisenhafter Männlichkeit zu situieren. Irgendetwas sagt es bestimmt, dass der rechtsoffen raunende Hildmann («dieser Kampf kann uns jetzt auch die politische Macht bringen, wenn wir es klug angehen!») mit seinem Katana in den Kulturkampf ziehen und/oder Limo verkaufen möchte.

Zur Online-Bildergalerie bekannter Katana-Träger zählt auch der inzwischen schwer erkrankte kanadische Psychologe und neokonservative Autor Jordan Peterson, der auf einer vielgeteilten Abbildung mit dem Langschwert vor einer US-amerikanischen Flagge posiert. Peterson, der nach einer in Russland durchgeführten experimentellen Behandlung seiner Benzodiazepinabhängigkeit ins Koma versetzt wurde und dabei neurologische Schäden erlitt, ist neben seinen Thesen über weibliche Chaosenergie und eine Bedrohung ‹westlicher› Werte durch etwas, das er «postmodernen Neomarxismus» nennt, auch für sein Misstrauen gegenüber der Schulmedizin bekannt. Die offenkundige Bereitschaft von Verschwörungstheoretiker*innen, sich durch Selbstmedikation potenziellen körperlichen Beschädigungen auszusetzen, wird in Onlineforen derzeit unter anderem im Kontext ritueller Formen der Selbstverletzung und des Selbstmordes diskutiert. In einem Twitter-Thread über Sebastian Gorkas Selbstbehandlung mit dem Malariamittel Hydroxychlorochin verweist Autor Hussein Kesvani auf Parallelen zur Selbsttötung des japanischen Schriftstellers Mishima Yukio, der nach seinem gescheiterten Putschversuch 1970 Seppuku mit dem Schwert beging: «At least Yukio Mishima’s self-torture was in service to the aesthetic, and the eventual seppuku was in reference to Shinto ideals. If Gorka or any of the Maga chuds die from self medication, what kind of martyrdom is it, other than to be a meme for a few days?»

Jamie Loftus’ Confinement Confession endet, indem ihr Training an der Klinge als Symbol eines Bedürfnisses nach Kontrolle über das eigene Schicksal schließlich mit Fragen nach Selbstentfremdung und Selbsthass enggeführt wird. So liegt die beklemmende Komik von Loftus’ Schwertpraxis ja nicht zuletzt darin, dass sie mit der ebenso nervös wie heftig geführten Spielzeugwaffe vor allem eine Gefahr für ihren eigenen Körper, ihr nahestehende Menschen, sowie ihr Wohnzimmermobiliar darzustellen scheint. Etwas verloren sehen wir Loftus am Schluss des Clips mit ihrem Schwert vor dem Fernseher stehen, auf dem inzwischen Quentin Tarantinos blutiges Katana-Racheepos KillBillläuft. Dann sitzt sie wieder auf dem Sofa und blickt direkt in die Kamera. Das Video endet mit einem ominösen Close Up. Während sie spricht, transkribieren und kommentieren die Untertitel neben ihrer Rede auch die Umgebungsgeräusche und lenken die Aufmerksamkeit auf einen akustischen Übergang ins Rauschen: «To feel like you have control of something is really valuable right now. [violent TV sounds] I wake up, and I go to the bathroom, and I just look in the mirror and I say, ‹I am so sick of her›. Do you know what I mean? [terrifying music].»