essay

nichts als ersatz loses zusammengedachtes zum koreanischen serienstrom, in kinoloser zeit

Von Sissi Tax

ich hoffe, du hast ein langes leben und bist besitzer meines herzens  

prinz an historikerin

 

I.

es gibt nichts als ersatz. dieser satz kam mir schlagend in den sinn, beim schauen der fünften südkoreanischen serie auf netflix in dieser kinolosen zeit, cv zwangsvergattert vor dem rechnerbildschirm, nach der berlinale anno heuer.

situiert in südkorea heute, südkorea gestern, korea (joseon) ende des 19./ anfang des 20. jahrhunderts, korea (joseon) anfang des 19. jahrhunderts, lauten deren titel: mr.sunshine, crash landing on you, itaewon class, stranger, rookie historian goo hyae ryung / die historikerin und der prinz.

jede serie für sich, ein zumindest phänomenologisches lehrstück in sachen das eigene und das fremde (leiris schau herunter), in sachen verhaltenscode des anderen (ein gefundenes fressen für watzlawicks pragmatics of human communication), in sachen triebökonomie (begehren) in verschränkung mit leistung (contra konzeptuell zu barthes’ discours d’amoureux). dies alles läszt sich mit blick und verstand der westlerin nicht leicht bis kaum bis gar nicht erschlieszen. in anderen worten, der gesprochenen originalsprache wie der körpersprache taub und blind ausgeliefert, zumindest zeitweilig – o, die fremden zeichen aus einem fremden reich, die blinden flecken, der unentzifferbare rest –, sitz ich da wie der (wittgenstein’sche) ochs vor der neugestrichenen stalltür, mich ergötzend an anblick und aussagesatz des so bildschönen wie heldenhaften wie melancholischen yakuza boss, der seiner gang angesichts der niedergemetzelten zuruft: «verbrennt sie würdevoll, und mit viel geld fürs jenseits».

jeder dieser serien eignet eine menge bemerkenswertes. so könnte man auch über das schweigen in diesen serien sprechen, ein schweigen, das so ganz anders als das schweigen in hollywoodfilmen ist (gwendolyn leick, der der hinweis auf die k-serien geschuldet ist), somit eine metaphysische dimension ins spiel der zwei unterschiedlichen kulturindustriellen systeme bringt,

oder über das andere verständnis von action als das hollywood’sche,

oder über die art und weise, in der das k-drama die Idee des cool aufzeigt (g. l), 

oder über die gebrauchsweise der spirituose so ju (klaus volkmer zu ehren),

über die schriftkultur, die ihresgleichen nicht kennt,

oder über das fingierte frauenbild, das als emanzipiertes wunschideal herbeigezaubert, dar-und ausgestellt wird.

jedes seriensubjekt, eine philosophin. jeder leading man, eine schönheit à la handsome alain delon, fescher robert mitchum, anmutiger monty clift, bisweilen gar mit den zügen eines hardboiled henry fonda versehen. und wenn noch dazu in historisch opulentester verkleidung wie in den roben der hoheiten, den gewändern der beamtenkasten, den uniformen des militärs – dann kennt die schaulust keine grenzen mehr.

jede serie für sich generiert einen qualitativen seifenopernseitensprung. nie war ein filmende eskapistischer oder kitschiger, nie ein höhepunkt welcher natur auch immer schmalziger, nie eine romanze schmachtfetziger. kinematographische schauwertsuperlative zuhauf.

dabei kommt mir, aus den untiefen meiner fernsehschauerinnerung auftauchend – bei oder trotz aller inkompatibiltät – die urserie österreichs der 50ger jahre in den sinn, habsburgs glanz und sündenfall, die arme romy / sisi in sissi1+2+3 und wie das rehkitz in die anfangsbuntbildsequenz tritt, dem salten / disney bambivon 1942 in nichts nachstehend.

«eure hoheit, wir leben nicht in einem roman», wie die historikerin den prinzen aufklärt. mit dem sie dann am serienende – in den letzten minuten der 40. folge – durchbrennt. was der romy / sisi nicht gegeben war.

allen diesen serien gemeinsam, die wilde genremischgulanz. kolportage, hilfsausdruck. demgemäsz in bester gesellschaft mit honoré de balzac, dem erfinder jener hybriden literarischen gattung, die das zeitungswesen des frühkapitalismus auszeichnet : dem feuilletonfortsetzungsroman. als dessen mediale nachfahrin fungiert in grosso modo heutzutage, im spätkapitalismus, die mit allen technomitteln und production values gewaschene südkoreanische filmindustrie. und deren spezifische eigenarten wiederum gemahnen mich mutatis mutandis an eine andere asiatische kinoindustrie, an die der shaw brothers im hong kong der 1980er jahre.

 

II

es gibt nichts als ersatz. dieser satz, er kam mir plötzlich in den sinn als unzweideutiger beim schauen der k-serien, als mir der ort k respektive das schwarze kinoloch in den sinn kam. das kino, ein ort, dem ein drinnen und ein drauszen innewohnt. an und für sich.

kein ersatz also für ins-kino-gehen und vor-dem-kino-stehen. herumzustehen vor dem kino, um mit den usual suspects, den üblichen oder den unüblichen verdächtigen, das geschaute und gehörte und vorgestellte und eingebildete durchzuarbeiten, zu durchschauen, aufzulösen. synthetisierend oder nicht synthetisierend. wer hat wie was wo wann erblickt gesehen übersehen vernommen. mit oder ohne tschik. rauchend oder nicht rauchend.

um möglicherweise während dieser debatten zum kino und vor dem kino zum autokino zu kommen. aber, wie es litaneihaft in irma la douce, c’est une autre histoire. mit oder ohne zigarette.

 

III

zwei annotationen aus der unheimlichen zeit

unter der überschrift «die ökonomie des todes» findet sich zu ostern, april 2020, auf der wirtschaftsseite der süddeutschen zeitung der satz: «venezia verfügte 1430 über eine obergrenze für die absatzhöhe von stöckelschuhen.» dieses verdikt, um dem dekadenten konsumismus der nachpestzeit einhalt zu gebieten.

zu hören in lienz mitte mai 2020 im radio, auf ö1, herbert kickl, ehemaliger fpö innenminister «geistesdurchseuchung vom schwarz-grünen regierungspersonal», überblendet vom wochen vorher vernommenen satz aus einer der k-serien: «menschen sind gefährlicher als seuchen». und als oberton hölderlins «ungeheuer ist viel. doch nichts ungeheurer als der mensch.