Geschichte eines Buches Ein Gespräch mit Margarete von Lupin
Im Januar 1982 erscheint bei Zweitausendeins ein merkwürdiges Buch. Der Titel: France Tour Détour Deux Enfants / Frankreich Weg Umweg Zwei Kinder. Es ist eine eigensinnige Adaption von Jean-Luc Godards und Anne-Marie Miévilles zwölfteiliger Fernsehserie, die 1977/78 produziert und im Januar 1979 beim Film International Festival in Rotterdam uraufgeführt worden war.
Die Besonderheit des Buchs lässt sich mit einem Lineal bestimmen: France Tour Détour Deux Enfants / Frankreich Weg Umweg Zwei Kinder ist 24,5 cm breit, 11 cm hoch (aspect ratio 1: 2,23) und 5 cm dick, es hat mehr als 1000 Seiten und wiegt 1350 Gramm. Die abgenutzte Metapher «Ziegelstein» ist in diesem Fall ausnahmsweise treffend.
Das Buch kompensiert einen Mangel: «Weder die Serie 6 FOIS2 noch die Serie FRANCE TOUR DÉTOUR DEUX ENFANTS wurden bis heute über einen der Fernsehsender im deutschsprachigen Raum ausgestrahlt», ist auf einer der ersten Seiten zu lesen. «Aus diesem Grund entschlossen wir uns zu der nun vorliegenden Form der Veröffentlichung. Sie ist unserer Meinung nach nicht die richtige. Eine Fernsehserie sollte auch über das Fernsehen ausgestrahlt werden.» Die treibende Kraft hinter diesem Buch war Gretel Kemény (heute Margarete von Lupin). Gemeinsam mit Shonagh McAuley übersetzte sie die sechsstündige Serie, zusammen mit Karl-Heinz Heil knipste sie die über 1000 Schwarz-Weiß-Fotos. Im Deutschen Fernsehen wurde die Serie bis heute, knapp 40 Jahre später, nicht ausgestrahlt. Weiterhin ist sie eins der wenigen Werke Godards/Miévilles, das (auch in Frankreich) nicht auf DVD erhältlich ist.
Godard hatte sich in den 1970er Jahren scheinbar vom Kino verabschiedet; er war aus Paris zunächst nach Grenoble, dann in die Schweiz gezogen, hatte sich intensiv mit Videotechnologie beschäftigt (siehe cargo 37), gemeinsam mit Anne-Marie Miéville die Firma SONIMAGE gegründet und die beiden Fernsehserien Six fois Deux sowie France tour détour im Auftrag des INA (Institut National de l’Audiovisuel) gedreht. Mit dem Kinofilm Sauve qui peut (la vie), der im November 1981 in Deutschland anlief, war er Anfang der 1980er Jahre auch publizistisch wieder enorm präsent. Neben der Zweitausendeins-Publikation erscheinen 1981 die von Frieda Grafe und Enno Patalas übersetzte Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos bei Hanser und beim Merve Verlag Liebe Arbeit Kino. Rette sich wer kann (das Leben).
Unter welchen Bedingungen war Anfang der 1980er Jahre zwischen West-Berlin, Frankfurt und München, im Kontext einer Filmakademie, eines alternativen Verlags und einer Zeitschrift, ein so unwahrscheinliches Filmbuch wie Frankreich Weg Umweg Zwei Kinder möglich?
Ein Gespräch mit Margarete von Lupin, verantwortlich für Idee und Umsetzung der Publikation.
Dieser Text ist nur in der gedruckten Ausgabe 47 von cargo verfügbar.
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