[… i shall punch a time clock in my studio on the hour for one year …]
Während der Lockdown-Monate fiel mir wieder Tehching Hsieh ein, von dem ich vor ein paar Jahren gelesen hatte, ein Taiwanese, der 1974, mit 24, in Philadelphia von einem Schiff sprang und sich danach in New York als illegaler Einwanderer durchschlug. 1978 begann er die erste seiner One Year Performances: Er verbrachte ein Jahr in einem notdürftigst eingerichteten Holzkäfig, durfte, so hatte er es sich selbst auferlegt, weder sprechen noch lesen noch schreiben noch Radio hören oder fernsehen. 1980 folgte das Time Clock Piece: 365 Tage lang betätigte er jede Stunde eine Stechuhr und ließ mit einer 16 mm-Filmkamera ein Einzelbild von sich aufnehmen. Den Film, der so entstand, kann man sich auf YouTube ansehen: ein junger Mann in einer grauen Unform, zu Beginn mit rasiertem Kopf, sechs Minuten später mit schulterlangen Haaren
& ich glaube, kein Künstler hat mich je mehr gerührt als dieser seltsame Mann. In den Interviews, die er seit einigen Jahren gelegentlich gibt (er war nach seiner fünften One Year Performance aus der Öffentlichkeit verschwunden und hatte nach seiner sechsten, dem Thirteen Year Plan, nur noch durchgegeben, dass er es geschafft hatte, am Leben zu bleiben, und kurze Zeit später verkündet, er sei kein Künstler mehr), sagt er immer dasselbe: dass es ihm nicht ums Leiden gegangen und seine Kunst nicht endurance art gewesen sei, dass sein trauriger Gesichtsausdruck auf dem Stempeluhr-Film nichts zu bedeuten habe, er sei jemand, der nach innen lache, er sei die ganze Zeit über glücklich gewesen, es sei um das Vergehen der Zeit gegangen, und um das Sinnlose daran – Arbeit, die nichts produziert, Zeit, die nichts anderes tut, als zu vergehen, manche seiner Sätze wirkten wie diese Sinnspruch-Textblöcke auf Instagram, aber das liegt wohl eher daran, dass Tehching Hsieng grundsätzlich jemand ist, der nicht allzuviel spricht.
& sah mir nun alle paar Tage diesen Film an, gegen meinen Verdruss an meinem superkomfortablen Aus-dem-Verkehr-gezogen-Sein
& mochte diesen Mann immer mehr, sein Pflichtgefühl, das ihn jede Stunde an die Stempeluhr zog, dass er aufstand und machte, was gemacht werden musste, und durchzog, wozu er sich selbst verpflichtet und worauf er sich eingelassen hatte
& wie er kein Aufheben um sich machte, kein existenzialistischer Bullshit, es sei ums freethinking gegangen, sagte er, ohne zu erzählen, was er gedacht hatte, so wenig, wie er je Auskunft darüber gab, welche Kunstwerke er in seiner 13-Jahres-Performance geschaffen hatte, in der er sich erlaubt hatte, Kunst zu machen, nicht aber, sie öffentlich zu zeigen
& dachte, dass ich gerne so werden würde wie er, ein wenig jedenfalls. Statt das alles nicht mehr zu ertragen.