provinzkinos unserer jugendzeit
Astra (Brescia)
Ich bin in Brescia groß geworden, einer Stadt im Norden Italiens, zwischen Verona und Mailand. Wir sind aus Venedig dort hingezogen. Kirche, Fußballplatz, Grundschule und Kino waren eine Art Konglomerat von Neubauten. In der Grundschule habe ich angefangen, Theater zu spielen, und das Theater war gleichzeitig das Kino. Am Sonntagnachmittag gab es Filme für Kinder. Ich glaube, das Programm hat jemand aus der Pfarrgemeinde gemacht. Das Kino am Sonntag war immer rappelvoll, man musste richtig kämpfen beim Hineingehen. Meistens wurden Cartoons gezeigt: Roadrunner und Coyote, Bugs Bunny, Kater Sylvester, den ich besonders mochte, weil er lispelte, so wie ich. Sonst erinnere ich mich an eine unglaublich lange Reihe von Cowboy-Filmen, Klassiker von Sergio Leone bis zu vielen Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill. Die Landschaften waren interessanter als die Geschichten. Zu sehen waren ja, wie wir wissen, immer nur Männer und Pferde. Lustige und liebevolle Prostituierte warteten im Saloon auf ein besseres Leben. Sie hatten es aber trotzdem besser als die anderen Frauen, die allein in der Prärie in einer Hütte lebten und auf den Mann warteten, während sie sich vor Indianern fürchteten. Was ich im Kino immer mochte, war der Sound. Es ist klar, dass Musik dich mitnimmt und etwas mit dir macht. Filme tun das ohne Scheu.
Ich bin sehr links groß geworden, es waren heiße Zeiten, die 70er und 80er in Italien. So ist es eigentlich kein Wunder, dass der erste Film, den ich bewusst sehen wollte, Die bleierne Zeit (1981) von Margarethe von Trotta war. Wir haben damals dauernd gestreikt, wegen Palästina oder weil wir keine Mensa hatten. An einem Tag im Winter dachte ich mir dann, dass es sinnvoller wäre, ich ginge ins Kino statt ins Gymnasium. Ich folgte der Empfehlung einer trotzkistischen Gruppe und ging alleine in das Kino Astra, am Corso Zanardelli. Dass dieser Film von zwei Frauen erzählt, und die Regisseurin eine Frau war, war mir natürlich sehr wichtig. Die Sessel im Kino waren mit rotem Samt bezogen. Mein Vater hat in der Nähe gearbeitet. Ich habe darauf geachtet, nicht von ihm entdeckt zu werden.
Ich glaube hingegen, dass ich die italienischen Klassiker, den Neorealismus, alle zuerst im Fernsehen gesehen habe. Gemeinsam mit der Mutter habe ich sicherlich Mamma Roma, Ladri di biciclette, vielleicht auch Ossessione angeschaut, später auch Dario Argento, der mir aber zu gruselig war. Monica Vitti stand für etwas Besonderes, wegen ihr heiße ich auch so. Ich habe immer behauptet, dass meine Mutter wie Monica Vitti aussieht, sie gehört zur gleichen Generation, sie hat genau diesen Blick, ein bisschen verträumt und als ob sie nie am richtigen Ort wäre. Il Deserto Rosso von Antonioni, das war für mich meine Mutter, in dieser Landschaft, die nicht Stadt und nicht Land war, sondern Industrie und Nebel, die Poebene. Meine ganze Kindheit habe ich im Nebel in Erinnerung.
Aktuelle Ausstellung: Lover's Material (Kunsthalle Bielefeld bis 30. Mai)