Alfred Hitchock Noël Simsolos & Dominique Hé

Unlängst sah ich den damals noch recht jungen Noël Simsolo, der Film ist von 1980, in Marie-Claude Treilhous grandiosem Debüt Simone Barbès ou la vertu. Er spielt da einen belgischen Pornofilmregisseur, der im einschlägigen Kino, in dem der erste Teil des Films spielt, vorbeikommt, um sich über die Vorführbedingungen zu beschweren. Treilhou gehört ins Umfeld der Diagonale, also der Produktionsgesellschaft von Paul Vecchiali. Mit letzterem ist Simsolo schon ewig befreundet, hat kleinere und größere Auftritte in dessen Filmen, sie haben, 1979, auch ein Theaterstück zusammen geschrieben.
Wie Vecchiali hat Simsolo auch Romane verfasst, und zwar nicht zu knapp. Nicht nur, aber oft gehören sie ins Genre von Pulp und Noir, erscheinen in renommierten Verlagen, eine ganze Detektivserie, Edgar Flanders heißt der Held, ist darunter. Daneben: Schon 1969, da war Simsolo gerade 25, ein Essayband über Hitchcock, erste Statistenrollen seit 1970, in La maman et la putain sitzt er im Café de Flore, als gehörte er da hin, eine Darstellerkarriere am Ende von Credit-Sequenzen, oft ohne Eigennamen, sondern nur: spectateur, infirmier, l’ami critique de Paul, le journaliste und so weiter.
Noël Simsolo ist also ein Bewohner der Kultur, einer, der vieles macht und vieles kann, viel weiß und viel probiert, gut vernetzt, in einschlägigen Pariser Kreisen notorisch, darüber hinaus nicht weiter berühmt. Seit den Nullerjahren hat er sich nun, was in Frankreich so ungewöhnlich nicht ist, auf Comics, pardon: Bandes Dessinées, verlegt, als Szenarist mit wechselnden Zeichnern. Zwei Bände mit dem Titel Pornhollywood über einen fiktiven Regisseur der 1930er Jahre, der sich, nachdem er in Hollywood nicht reüssiert, auf Pornos verlegt. Außerdem Historisches, unter anderem zu Napoleon und Marie Antoinette, dazu Comic-Biografien von Sergio Leone und Francois Truffaut.
2019 dann der erste von zwei Bänden zu Hitchcock, der zweite wird auch in Frankreich erst noch erscheinen. Auf dem Rücken von Hitchcock hat es Simsolo nun, spät in seiner Karriere, nach Dutzenden Büchern, erstmals mit einer Übersetzung nach Deutschland geschafft, Zeichner ist Dominique Hé, Jahrgang 1949, nur drei Jahre jünger als Simsolo, ein Veteran seiner Kunst, sie haben schon den Pornhollywood-Doppelband zusammen gemacht. Sollte eigentlich nur schiefgehen können, denkt man, zwei dirty old men, die die Geschichte von dirty Alfred erzählen.
Sie ziehen sich aber sehr elegant aus der Affäre. Ausgangspunkt ist das Jahr 1954, am Rande des Drehs zu Über den Dächern von Nizza erzählt Hitchcock erst Cary Grant, dann kommt auch Grace Kelly dazu, aus seinem Leben. Von hier springt der Band vor und zurück, hin und her, was aber nicht verwirrend ist, sondern von einer schönen Fluidität. Erzählt ist das klassisch, schwarz-weiß, figurativ-sachlich, die Panels wechseln, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, souverän die Einstellungsgrößen. Das Verhältnis zu Alma Reville spielt eine wichtige Rolle, schon der erste Dialog der beiden wird mit einem Achsensprung erzählt, weitere Dialoge und Achsensprünge werden folgen: Das Ganze ist, der Erzählkonstruktion zum Trotz, keineswegs monoperspektivisch.
Dieser erste Band endet, als Hitchcock England verlässt. Es wird seine Kindheit und Jugend, der frühe Tod des Vaters, die Depressionen der Mutter, erzählt. Sein Aufstieg im britischen Kino, seine große Liebe zum Theater, das Werben um Alma, die Geburt der Tochter; auch sein Hang zu eher grausamen Scherzen, seine Angst vor der Polizei, seine schlechte Behandlung nicht nur, aber vor allem der Schauspielerinnen. Die Distanz bleibt also, bei aller Sympathie, durchaus gewahrt. Es wird durchweg die Spezialistin nicht für dumm verkauft und der Nicht-Spezialist weiß hinterher mehr. Fehlt also nur noch: Band zwei.
Noël Simsolo, Dominique Hé: Alfred Hitchcock. 1 – Der Mann aus London (Splitter Verlag 2021)