Computerberlinale
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Bad Luck Banging Or Loony Porn (Radu Jude, 2021)
© Silviu Ghetie / Micro Film
Klar, eine merkwürdige Berlinale, die Computerberlinale 2021. Zur Premiere war per Klick zu bestätigen, dass man die Nutzungsbestimmungen hinter sich lassen und nie mehr wiedersehen wollte. «Aufgrund des veränderten Festivalformats entfallen Pressetermine wie Pressekonferenzen, Photo-Calls oder Rote Teppiche. Auch virtuell wird es diese Formate nicht geben». Auch egal, denkt man erst, der Realroteteppich vor dem, noch eine Marketingmetapher, «Berlinale Palast» ist auch sonst immer eine eher virtuelle Angelegenheit, nach einigen Tagen im Berliner Schneeregen, der dieses Jahr, als wolle er der Berlinale zeigen, wie es auch sein könnte, zugunsten frühlingshafter Temperaturen, die man aus anderen Gründen bedenklich finden kann, ebenfalls zu Hause geblieben war. Dann, zurück zum Screen, wird es ernst, nämlich digitaltechnisch: «Die Filme des diesjährigen Programms stehen tageweise ab 7:00 Uhr, MEZ für 24 Stunden zur Verfügung. Einzelne Länder können von den Rechteinhaber*innen durch Geoblocking ausgeschlossen werden.» Ein fünftägiges Zeitfenster für große Festivalfilmdaten, die, paketförmig portioniert, nach Maßgabe von Protokollen, die keinen Spaß verstehen, auf private Bildschirme transportiert werden. Die in Deutschland hergestellten Filmdaten waren, vermutlich irgendwie pandemiebedingt, teilweise sehr exklusiv darauf bedacht, endlich aus diesem Land raus und nicht zurück zu kommen. «Why doesn’t it open?», heißt es einmal im neuen Hong Sang-soo, der unter anderem direkt auf dem Potsdamer Platz spielt. «Because it’s Germany», antwortet die andere Figur und blickt auf eine geschlossene Tür. Wer die neuen Arbeiten von Julian Radlmaier oder Ramon und Silvan Zürcher sehen wollte, musste ins benachbarte IP-Ausland reisen. Real oder virtuell privatvernetzt: belgische Blutsaugerbits, spanische Spinnendaten. Ob das Digital Rights Management des hinsichtlich der umgesetzten bildtechnischen Qualität auch jeden anspruchsvollen Heimprojektor erfreuenden «Berlinale Media Service» ebenfalls so, sagen wir: durchlässig realisiert wurde oder ob doch schicke Tools digitalen «traitor tracings» zum Einsatz kamen, habe ich dann nicht näher herauszufinden versucht. Die Computerberlinale war jedenfalls eine plattformisierte, mit allen Konsequenzen, die nicht nur digitaltechnische, sondern auch filmkulturelle sind. Natürlich wurde auch das Event als Event plattgemacht. Wollte man das nicht immer? Eigentlich doch nicht, der reine Filmdatennennwert einer solchen Veranstaltung, die nun ein Nichtereignis war, lässt selbst den häufig als Nichtort geschmähten Potsdamer Platz zu einem Habitat erinnerter Festivalsozialitäten werden. Unterm Strich war es nur eine weitere Kulturveranstaltung, die der immer noch aktuellen Lage zum Opfer gefallen ist, sich einreihen ließe in Beschwerdelisten, die allerdings keinen Adressaten haben. Und so versammelte man sich nicht, lief in niemanden zufällig rein, sah keine Filme spontan, um Lücken im zusammengestellten Tagesablaufprogramm zu überbrücken. Zeitökonomisch gesehen ein Rationalisierungsprogramm (mit insgesamt sehr viel besserem Carbon Footprint): Was nicht gefällt, wird sofort weggeklickt, kostet nichtmal ein Aufstehen (wie auch, man musste ja auch nicht anstehen). Festivals lassen sich als Ereignisse natürlich nur bedingt informatisieren. Wo Festivalfilm draufsteht, war nun digitaler Content drin. Die Umformatierung ist durchaus folgenreich. Was die Filme sofort verlieren, wenn sie eine kinoferne Computerpremiere erleben, ist der Abstand zur restlichen visuellen Kultur, zu all den anderen Streams, zur Intensität digitaler Kommunikate, zur Normalität des Plattformkapitalismus. Je sozialmedialer, aggregierter, datafizierter, proprietärer die dominante visuelle Kultur wird, desto bedächtiger, öffentlicher, reflexiver kann einem das Kino vorkommen. Die einen sagen: Eigentlich eine Chance für «The Last Machine» (Hollis Frampton), die einst als Agent der exzessiv beschleunigten Bildzirkulation angetreten war, smart zu altern, am besten noch langsamer, endlich aus freien Stücken und völlig bewusst museal zu werden. Die anderen meinen: So wird das nicht lange gut gehen, kein Gegenwartsanschluss unter dieser Nummer. Also besser mitströmen, netzwerken. Die Computerberlinale, ein Festival des Second Screens, war ein Filmbildtransferprogramm, von dem ich nicht genau zu sagen wüsste, wieviel Zukunft ihm zu wünschen ist.