dokumentarfilm

Aufenthalt bei den Dingen Über Objectified und Rams von Gary Huswit

Von Felix Hüttemann

Rams (2018)

© Gary Huswit

 

In Sekunden fällen wir ein Urteil: Was macht dieses Ding? Wofür gebraucht man es? Woraus besteht es? Was kostet es? Die Frage, «Wer hat es hergestellt?» oder auch «Warum ist es so gestaltet und nicht anders?», stellt man sich wahrscheinlich seltener.

Die Beziehungen zu Objekten um uns herum machen jeden Augenblick unseres Lebens aus. Wir sind umgeben von gefertigten, das bedeutet designten, Gegenständen. Die so bemühte wie auch vermeintlich banale Frage, welche Dinge man auf eine einsame Insel mitnehmen würde, war wahrscheinlich noch nie so unmöglich zu beantworten wie heute. Vor allem ohne vorher zu wissen, ob es dort WLAN gibt oder nicht.

In einer längeren Phase des gedanklichen Aufenthalts bei den Dingen – etwa durch das Einrichten eigener Wohnumgebungen – kann sich die Beobachtung einstellen, dass die Dinge, mit denen man sich umgibt, Zeugnis ablegen sollen davon, wer man ist. So grundsätzlich, vielleicht auch langweilig, dieser Sachverhalt klingt, so kompliziert und heterogen ist im Grunde jedoch dieser Prozess. Material, Form, Haptik, wohl auch Preis – all das sind essentielle Faktoren in unserem Umgang mit Produkten und machen unsere Beziehung mit und zu diesen aus. Die Dinge deuten, so betrachtet, nicht nur auf uns, die wir unsere Umgebungen mit ihnen füllen, sondern stellen ebenso aus, wer sie gefertigt hat und auch unter welchen Bedingungen.

Zwei Dokumentarfilme des amerikanischen Filmemachers Gary Hustwit, Objectified (2008) und rams (2018), umreißen dieses von mir kurz skizzierte menschliche Verhältnis zu designten Objekten. Beide Filme sind Hommagen an das Produktdesign und seine Protagonist*Innen. «Was ist gutes Design?», lautet die Leitfrage beider Filme, die nicht einfach mittels bloßer Geschmacksurteile zu beantworten ist. Objectified elaboriert ausgehend von einem Satz Henry Fords – demzufolge jedes Objekt eine Geschichte erzähle, wenn man es denn zu lesen verstünde – eine allgemeine Reflextion der menschlichen Beziehung zu gestalteten Produkten. Von der Zahnbürste über Sitzmöbel und Autos bis zum Macbook wird weitgehend Ikonisches aus dem Produktdesign aufgerufen. Hustwit bittet für Objectified einige der einflussreichsten ProduktdesignerInnen (u. a. Paola Atonelli, Naoto Fukasawa, Jonathan Ive, Marc Newson) zum Interview. Der zweite Doku-Film Rams widmet sich gleich ganz dem Schaffen und Selbstverständnis des gleichnamigen Braun- und Vitsoe-Designers.

Die schon in den 1960er Jahren vom Minimalismus-Propheten Rams geäußerte Maxime des Geschichtenerzählens erfährt seit gut und gern zehn Jahren eine recht dezidierte Renaissance. Denn dieser dürfte mit seinen «10 Thesen für gutes Design» vor allem Apple-Aficionados ein Begriff sein, sind diese «Thesen», laut Selbstauskunft des ehemaligen Apple-Chefdesigners Jonathan Ive, doch einflussreiche Bezüge der Gestaltung der Apple-Produkte gewesen, spätestens seit dem iPod. Rams’ Minimal-Prinzip, dass gutes Design so wenig Design wie möglich sei, man also die Formgebung und Gestaltung nicht primär wahrnehmen solle, sondern die Gegenstände vor allem erstmal gebrauchen möge, wird in Rams als Antizipation von kontemporären Nachhaltigkeitsdiskussionen interpretiert und visualisiert.

Der vor allem durch die Haushalts- und Hi-Fi-Produkte von Braun bekannt gewordene Designer wird im Film, das macht unter anderem auch der Ambient-Soundtrack von niemand geringerem als Brian Eno deutlich, zum Stichwortgeber und Vorläufer zeitgenössischer Auseinandersetzung mit Sustainability verstanden und in einer gewissen «Hipness», fast möchte man sagen «Hipsterness», inszeniert.

In langsamen Schnitten und Kamerafahrten blicken wir in Rams eigene Wohnräume, in seinen Bungalow im hessischen Kronberg. Immer wieder blickt der Designer, von Enos Ambient-Sound untermalt, bedeutungsschwer in die Kamera. Viel Weiß, viel Oberfläche, viel Glätte. So lässt sich die Wohnumgebung von Rams zwischen funktionalistischem Zahnarztpraxisweiß und japanisch angehauchtem Minimalismus verorten. Kritiker seines Designs würden vermerken: klinisch, glatt, systematisch, bei aller Sympathie in seiner Fokussierung auf «nützliche Dinge», im klischiertesten Sinne, dann doch «sehr deutsch».

Beide Filme machen auf ihre Art unterhaltsam deutlich, dass Design, zumal Produkt- bzw. Industriedesign, zum einen eine unhintergehbare Tatsache unserer Umgebungen ist und zum anderen unzweifelhaft auch ein Problembeschleuniger von Massenproduktion und Industrialisierung.

Rams, der angebliche Nachhaltigkeitsguru, nutzt vor allem Metall und Holz in seinem Möbeldesign. Gegen diese Form von Sustainability sprechen jedoch beispielsweise seine Haushaltsprodukte aus Plastik für Braun. Es stellt sich mehr und mehr die Frage nach der Langlebig- und Zeitlosigkeit angesichts der früheren Welle von Wegwerfprodukten, für die sich die meisten (Industrie-)DesignerInnen mitverantwortlich zeigen. Dies wird in Zwischentönen der Filme auch immer wieder deutlich. So schildert ein Interviewpartner, wie er im wohlverdienten Urlaub eine vom ihm selbst designte Zahnbürste, mit allerlei weiterem Plastik, an den Strand geschwemmt vorfindet.

Wenngleich die Filme die Designer*innen sprechen lassen, bleiben ihre Äußerungen in weiten Teilen unkommentiert. Keine Stimmen aus dem Off, keine Voiceover werden über die Dinge gelegt. Einordnungen nehmen Design-Historiker*innen und Kunstwissenschaftler*innen vor. Etwas mehr als populäre Design-diskursive Gemeinplätze zu äußern, hätte der filmischen Diskussion mitunter gut getan. So hätte man beispielsweise die Heilsgeschichte über Apples Aluminiumfaszination, die Jonathan Ive im Interview mit kindlicher Freude entwirft, durchaus unter den sonst so hervorstechenden Nachhaltigkeitskommentaren der Filme anders rahmen können. 

 

Objectified und Rams können sind hier via Stream verfügbar