Die Grenzen der Konspiration Über einen Found Footage-Film der Dubaier Polizei
Aus Dubai erreichen uns ausnahmsweise keine Touristenbilder oder Nachrichten zur Finanzkrise. Eine knapp 27-minütige Kompilation aus Überwachungsaufnahmen, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt von der Dubaier Polizeibehörde, klärt über die Umstände der Ermordung des Hamas- Mitglieds Mahmud Abdel Rauf al-Mabhuh am 19. Januar 2010 in einem Hotelzimmer auf und entlarvt die (gestohlenen) Identitäten sowie die Gesichter derjenigen, die die gezielte Tötung vorbereitet, unterstützt und durchgeführt haben sollen. Mabhuh, führender Funktionär der radikalislamischen Palästinenserorganisation und zentrale Figur im Waffenschmuggel nach Gaza, soll seit langem schon auf einer Todesliste des israelischen Geheimdienstes Mossad stehen. Daher wird hinter der Kommandoaktion die Regierung in Jerusalem vermutet.
In der vergleichsweise jungen Geschichte der Überwachungs-Newsreel markiert der Film aus Dubai eine neue Qualität. Erstmals entfaltet sich eine komplette Erzählung vor unseren Augen, die alle Elemente eines Thrillers enthält: mehrere entschlossene und professionell handelnde Täter, ein ahnungsloses Opfer, ein mondäner Schauplatz, ein dicht gestricktes zeitliches Skript, narrative Haupt- und Nebenlinien. Der Spiegel nennt den Film über die «Dubai Eleven» den spannendsten Beitrag zur Berlinale, der nie auf den Filmfestspielen gezeigt wurde. Was der Dubai-Film vorführt, ist filmische Alchemie: die Transmutation des Banalen ins Besondere. Unter dem detektivischen Blick werden alltägliche Gesten zu geheimen Kommunikationen, gewöhnliche Vorgänge und Begegnungen zu Stationen in einem von langer Hand vorbereiteten Plan. Zwei Männer mit Tennisschlägern, die durch eine Drehtür gehen, sind ein Überwachungsteam. Die Ankunft eines Geschäftsreisenden am Dubaier Flughafen wird zum Verdachtsmoment. Mehrere Männer im Standard-Outfit der Touristen (Baseball-Mützen, bunte T-Shirts) sind das Exekutionskommando. Einkaufstüten enthalten keine Konsumartikel, sondern Mordwaffen.
Über Textinserts, rote Einkreisungen, Standbildvergrößerungen wird unser Blick auf eine geheime Welt innerhalb des Anscheins normaler Betriebsamkeit in Hotelfluren, Shopping Malls und Flughafenlobbys gelenkt. Eine Welt, die aus Rollkoffern, poliertem Marmorparkett, mit Gold beschlagenen Drehtüren besteht, bevölkert von Business People in teuren Anzügen, Urlaubsreisenden und uniformierten Hotelbediensteten. Nichts, was dem ungeübten Auge verdächtig erscheinen könnte, während der Film einen unerbittlichen Countdown bis zum Tod abzählt: «19 hours before the murder», «5 hours before the murder». Dann, schließlich, «The murder has taken place». Danach betreten vier Männer einen Hotelfahrstuhl. Einer von ihnen trägt noch einen weißen Gummihandschuh. Wie im Abspann eines Spielfilms werden zum Schluss detailliert Namen und Passfotos der Beteiligten aufgeführt. Der Thriller wird zum Fahndungsplakat. Ein Mord hat stattgefunden, er hat seinen Platz gefunden, aber dieser liegt außerhalb der Bilder, die wir zu sehen bekommen. Tatsächlich lag der Eingang zum Zimmer von Mahmud im Al Bustan-Hotel im toten Winkel der Überwachungskameras. Dass es einen Versuch gab, das elektronische Schloss zu Zimmer 230 mit einer gefälschten Türkarte zu überwinden, weiß man nur aus den Protokollen des hoteleigenen Überwachungssystems. Auch das von den Agenten gemietete Zimmer gegenüber wird von keiner Kamera eingesehen.
Forensiker der Dubaier Polizei haben mehrere Tage gebraucht, um den Nachweis führen zu können, dass Mahmud keines natürlichen Todes gestorben ist. Als man die Leiche fand, war das Zimmer von innen abgeriegelt und die Türkette eingehängt. Eine erste Vermutung lautete, dass Mahmud erst mit einem Elektroschocker betäubt und anschließend mit einem Kissen erstickt wurde. In der Zwischenzeit wurden Spuren einer muskelentspannenden Droge nachgewiesen, die dem Opfer injiziert worden sein soll.
In der Unsichtbarkeit des Mordes liegt ein weiterer Unterschied zu bisherigen Präsentationen von Überwachungsfilmen. Mohammed Atta, dem wir zusehen, wie er die Sicherheitsschleuse des Flughafens von Portland durchquert, war ein Terrorist und auf dem Weg, das spektakulärste Verbrechen des Jahrzehnts durchzuführen. Auch die Attentäter, die Sprengsätze in der Londoner U-Bahn zündeten, setzten darauf, dass ihre Tat über die Medien möglichst weithin verbreitet würde. Die Auftragsmörder von Dubai wollten weder erkannt werden, noch, dass ihre Tat publik würde. Keine Aufsehen erregende Hinrichtung, sondern eine heimliche Liquidation. Daher wandten sie alle Maßnahmen aus dem Handbuch für Spione an: gefälschte Pässe, verschlüsselte Kommunikation. Mindestes zwei der Kommandomitglieder änderten während des Auftrags auf Hoteltoiletten ihr Aussehen mit Perücken und falschen Bärten, um mögliche Verfolger loszuwerden. Dennoch sind sie jetzt zu Protagonisten in einem weltweit publizierten Found Footage-Krimi geworden, dessen abschließendes Kapitel wohl noch aussteht. Möglich wurde das, weil selbst die Geheimdienste angesichts sich ausbreitender Überwachungstechnologien, angesichts von Überwachungskameras, automatisierter Bildauswertung, biometrischen Erkennungssystemen, Datenbanken und fälschungssicheren Personalausweisen, offenbar an die Grenzen der Konspiration gelangen.