Über William T. Vollmann
Meine Nähe zu William T. Vollmann hat eigentlich mit Megacities begonnen. Ein amerikanischer Freund gab mir kurz vor der Fertigstellung des Filmes und nachdem er einen Rohschnitt gesehen hatte, das Buch The Atlas mit den Worten: «Schau da schreibt einer so wie du Filme machst.» Später verwendete ich ein Zitat aus dem Buch, um den Film zu eröffnen.
The Atlas ist schon von der Anlage her ein Buch, das einen nie loslässt, weil es so viele Facetten hat und so viele Gedanken lostritt.
Ich habe darüber einmal in einem Text für eine Zeitschrift, in der ich mein Lieblingsbuch vorstellen sollte, folgendes geschrieben: Ich weiß auch nicht, ob ich dieses Buch je fertig gelesen habe. The Atlas ist eine Reise um die Welt, und der Autor ist nur unterwegs, um ständig etwas zu bemerken, zu beobachten oder nur eindringlich bis verwundert anzuschauen. Die Begebenheiten sind von objektiv unterschiedlichem Gewicht – da sitzt eine Frau auf einer Bank in New York, Bulldozer räumen einen Slum in Mexiko City, und ein Mann sucht eine Prostituierte in den Straßen von Phnom Penh. Die Geschichten haben nichts miteinander zu tun, außer dass der Mensch, der sie beschreibt, immer spürbar bleibt.
Manchmal kommt er selbst auch vor in diesen Notizen und Momentaufnahmen – er überquert mit Schleppern die Grenze zwischen Thailand und Burma oder fühlt sich einfach nur einsam in Berlin. Genau so soll Kunst für mich sein: präzise und flatterhaft zugleich. Und im besten Fall führt sie vom Einen ins Andere. Vollmann führt im Vorwort von The Atlas zu den Palm of the Hand Stories von Yasunari Kawabata, und wenn man den erst einmal zu lesen begonnen hat, landet man irgendwann bei Snow Country, dem schönsten Liebesroman der Welt.
Aber man kehrt immer wieder zurück zu The Atlas, weil man nichts übersehen oder vergessen haben will von diesem unerschöpflichen Buch, das man gar nicht zu Ende gelesen haben kann, weil es kein Ende hat. Eigentlich hätte ich wohl dieses Buch verfilmen sollen, aber vielleicht tue ich dies ja in der einen oder anderen Form immer wieder.
Die Geschichten die ich am liebsten aus The Atlas mitgenommen habe, handelten von einer Prostituierten im Kambodscha der 80er Jahre und die wiederum waren Fußnoten zu einem früher erschienenen Roman, der Butterfly Stories heißt.
Das Drehbuch, das daraus entstand, entstand aus einer seltsamen Zusammenarbeit mit William. Was mir dabei am meisten in Erinnerung blieb, ist, dass wir gemeinsam auszogen, um mit einer alten Fotokamera Huren in Sacramento zu fotografieren, und dass er mich dazu brachte auf einer «shooting ranch» mit einer israelischen 50mm Pistole, wie wild geworden, herumzuballern. Das war schön. Ich glaube es war im Jahr 1999.
Er schrieb eine erste Fassung des Drehbuchs, die mehrere hundert Seiten hatte. Ich schrieb dann weiter und weiter und versuchte es sozusagen verfilmbarer oder überhaupt verfilmbar zu machen. Das hat bis heute nicht aufgehört. Die letzte Fassung des Buches habe ich erst letztes Jahr im Oktober geschrieben, und es trägt jetzt den Titel Love Sick.
Es ist ein Schmerz für mich, dass bisher kein Film daraus wurde und je länger es dauert, in desto weitere Ferne rückt die Möglichkeit einer Verfilmung.
Butterfly Stories selbst ist für mich vielleicht einer der radikalsten Liebesgeschichten. Es handelt von einer melodramatischen Liebe, ohne dass der Held jemals seine Promiskuität aufgeben würde. Er ist mehr in den Gedanken einer Frau oder besser einer jeden Frau verliebt. In Thailand sagen Prostituierte zu einem Mann der von einem Mädchen zum anderen geht «Butterfly». «You butterfly me?!?» ist ein häufig hingeworfener Vorwurf. Und der Held des Romans tut genau das, und er tut es mit großer Hingabe und großer Ernsthaftigkeit.
Selbst seine völlige Fixiertheit auf eine kambodschanische Prostituierte, die sich selbst Vanna nennt, ändert nichts daran, dass er weiterhin von einer Blüte zur nächsten ziehen muss.
Wahrscheinlich war diese Anlage der Haupthinderungsgrund in der Finanzierung des Projektes. Es gibt nämlich nicht diesen Punkt, wo der Held von der Liebe zu der einen Frau sozusagen erlöst wird. Bei Vollmann finden sich viele Menschen schwer zurecht, weil er an die Beschreibung der Welt mit anderen Moralvorstellungen herangeht. Deshalb wird er meistens als dunkel, radikal, aufwühlend beschrieben.
Für mich stellt sich das anders dar, weil mir seine Betrachtungen sehr nahe sind und weil er sich auch beim Schreiben weigert, sich normaler Dramaturgien zu bedienen. Es ist fast so, dass er einfach schlichtweg vor Worten überzuquellen scheint.
William schreibt oft bis zu 17 Stunden am Tag und hat sich vom Schreiben schon Sehnenscheidenentzündungen zugezogen, die ihn sogar am Bedienen seines Computers hinderten. Er hatte sich in den frühen Zeiten der Apple-Computer Programme besorgt, die seine Stimme in Texte verwandeln sollten. Das hat aber nur Nonsenstexte hervorgebracht und er musste weiter geduldig auf die Heilung seiner Hände warten.
Irgendwie ist alles extrem an ihm und doch wird es unter seiner Sprache zu fassbarer Normalität, weil wahrscheinlich alles Extreme in uns ist und wir es nur sehr oberflächlich übertünchen können. Und es ist oft eine schmerzliche Erfahrung zu sehen, wer wir wirklich sind.