Sie nennen es Heimat Zwischen Kartoffelparty und Kulturindustrie: Neukölln unlimited öffnet einen «Problembezirk»
Die Ausländerbehörde in der Berliner Nöldnerstraße bietet amtliche Dienstleistungen zum Thema «Flüchtlinge und Rückführungen» an. Kunden werden mit einem unmissverständlichen Repatriierungs-Plakat empfangen: «Wir helfen Ihnen bei der Rückkehr in Ihr Heimatland». Das klingt übersichtlicher als es in der Realität oft ist, weil nicht wenige der Adressaten sich bereits in dem Land befinden, in dem sie aufgewachsen sind.
Wie kompliziert es sein kann, von den deutschen Behörden nicht in ein «Heimatland» abgeschoben zu werden, dessen Boden man noch nie betreten hat, zeigt der Dokumentarfilm Neukölln Unlimited (nun streambar hier) von Agostino Imondi und Dietmar Rasch, der an der Peripherie der Berlinale seine Premiere feierte und nun mit einer kleinen Kopienzahl in die Kinos kommt (zunächst nur in Berlin). Der Film porträtiert die drei ältesten Kinder der Familie Akkouch, die seit 16 Jahren in Berlin Neukölln lebt, unterbrochen von einer zwischenzeitlichen Abschiebung 2003 in den Libanon.
Die deutsche Staatsangehörigkeit hat hier niemand; Lial (19) und Hassan (18), die beiden ältesten Geschwister, erhalten immerhin eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die anderen sind «geduldet», also von permanenter Abschiebung bedroht. Für eine «Kartoffelparty», die der kulinarischen Leitkultur des Gastlandes symbolisch Reverenz erweisen würde, reicht die Begeisterung über den zeitlich begrenzten Stempel ohnehin nicht aus. Lial steht dem Ritual auch aus historischen Gründen skeptisch gegenüber und verweist auf den Migrationshintergrund der Kartoffel – sie stammt schließlich aus Amerika.
Neukölln Unlimited spielt in einem medienöffentlich einschlägigen «Problembezirk», verhandelt sämtliche dazugehörigen Sujets (nur das Kopftuch spielt keine Rolle) aber nicht im Modus «Problemfilm», sondern mit Sinn für das Selbstverständnis und Sympathie für die Selbstinszenierungen seiner Protagonisten. Darin gleicht er seinem politisch unbedarfteren Komplementärfilm Prinzessinenbad (2007), wo es nicht um Angst vor Abschiebung, sondern um Adoleszenzzeugs und wer alles eine Muschi ist geht.
Auch wenn rund um die U-Bahnstation Rathaus Neukölln ein rauerer Wind weht als im Kreuzberger Prinzenbad: Die im Off mitlaufende Institution Schule nervt vergleichbar, etwa wenn eine um Anschaulichkeit bemühte Mathelehrerin ihren Rechenübungen die Hartz 4-Sätze zugrunde legt. Insgesamt bilden die stadtteilpatriotisch gesinnten Akkouchs bereits familienintern ein ganzes Spektrum mehr oder weniger gelingender Integration ab: Maradona (14), das Muster-Problemkind aus dem Rütli-Kosmos, wird von der Schule suspendiert, weil er nicht auf seinen «Totschläger» verzichten will; Hassan war hingegen Schulsprecher der Alfred-Nobel-Oberschule, steht jetzt kurz vor dem Abitur und reibt sich in der Doppelrolle als Vaterersatz und Sozialarbeiter im Jugendclub «Scheune» auf. Die Mutter bleibt meist unauffällig im Hintergrund, man vermutet einen kleinen Aktionsradius, der sich vor allem auf die eigenen vier Wände beschränkt.
Die beiden Filmemacher begleiten den Alltag der Geschwister, beobachten sie in der Schule, bei Behördengängen, allgemein bei dem Versuch, der Familie eine erneute Abschiebung in ein fremdes Land zu ersparen. Die «Rückführung» droht vor allem, weil der Unterhalt der fünfköpfigen Familie (der Vater hat sich schon vor längerer Zeit aus dem Staub gemacht; ein weiteres Kleinkind stolpert munter durch die Wohnung) von sozialen Transferleistungen abhängt und der von der Härtefallkommission eingeschaltete SPD-Innensenator Erhart Körting nicht recht weiß, ob es im «öffentlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist, diese Menschen hier zu behalten.» Die Behörden registrieren die Bemühungen der älteren beiden Geschwister kaum; hier wird einfach das Einkommen addiert und für zu wenig befunden. Da kann man schon mal die Zuversicht verlieren: «Also meiner Meinung nach schüren Sie einen Hass bei mir», gibt Hassan dem Politiker höflich mit auf den Weg, als dieser diffus verallgemeinernd vom Problem des «Nachschleusens» zu sprechen beginnt.
Der andere Deutsche, auf den sich die Akkouchs besser nicht verlassen sollten, ist Dieter Bohlen, der Maradona in einer frühen Supertalent-Ausscheidungsrunde zwar eine tolle Lebensgeschichte bescheinigt, für den minderjährigen Breakdancer dann aber doch keine weitere Verwendung hat (nebenbei ist hier zu erfahren, wie absurd die Vertragswerke sind, die die «Stars» in spe unterzeichnen müssen). Auch Gymnasiast Hassan, der Tanzwettbewerbe und Meisterschaften gewonnen hat und während der Fußball-WM 2006 in einer Doku-Soap des ZDF sein subkulturelles Talent in den öffentlich-rechtlichen Dienst stellte, scheint sich weiter mit akrobatischen Einlagen im Wintergarten Varieté über Wasser halten zu müssen, die dort offenbar zwischen Hauptspeise und Dessert serviert werden.
Überhaupt ist Neukölln Unlimited über weite Strecken auch als Porträt eines migrantisch geprägten Kulturindustrieproletariats lesbar, das nicht mit «Obst und Gemüse» (Thilo Sarrazin) handelt, sondern in einem anderen Sinn körperliche Arbeit verrichtet. Die Karrieren beginnen bei lokalen Breakdance-Wettbewerben und auf kleinen Hip-Hop-Bühnen, meist entwickelt sich daraus aber keine berufliche Perspektive jenseits der Talentshow-Welt. Wer dort integriert werden möchte, muss seine Geschichte im Bushido-Schema erzählen. Beiläufig hält Neukölln Unlimited auch diesen Mechanismus fest und ist selbst: ein Film ohne «Ghetto-Kids».