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Schwerpunkt

Viele Menschen haben in den letzten Jahren vorhergesagt, dass der Kapitalismus in eine schwere Krise geraten würde. Einige kennen wir persönlich, andere aus den Medien. Der Ökonom Nouriel ­Roubini lag mit seinen Prognosen so unangenehm richtig, dass die New York Times ihm den Titel «Dr. Doom» verlieh. In seinem Metier ist der Doktor des Untergangs ein Star, im Kino aber muss er sich auf ein Cameo beschränken: Nouriel Roubini spielt in Oliver Stones Wall Street: Money Never Sleeps einen Hedge-Fonds-Manager, also einen Vertreter jener Zunft, die es schon seit Längerem mit Staaten aufzunehmen bereit ist. Das Kapital «attackiert» nicht nur die grundlegendsten Institutionen menschlicher Vergesellschaftung, es frisst sich durch alle Bereiche: Infrastruktur geht vor die Hunde, weil sie sich nicht kurzfristig amortisiert; Fußballclubs gehen unter den Schuldenbergen risikofreudiger Investoren fast zugrunde; Kultur­einrichtungen fehlt das Geld, das die kommunalen Einrichtungen in spekulativen Deals verloren haben; Universitäten hängen am Tropf bankrotter Länder.

Wir haben mit Blick auf den Start von Wall Street: Money Never Sleeps ein Dossier konzipiert – den Film selbst konnten wir vorab nicht sehen, die Veröffentlichung großer Filme gleicht inzwischen den Bilanzpressekonferenzen großer Firmen, die in ähnlicher Weise von Gerüchten, Embargos und Kalkül umgeben sind. Dass der Starttermin unmittelbar vor Drucklegung dieses Hefts auf den 30. September verschoben wurde, passt da nur ins Bild, tut unserem Vorhaben aber keinen Abbruch, einen noch unbekannten Film in einen differenzierten Kontext zu stellen. ­Christian Petzold hat sich für cargo noch einmal Wall Street von Oliver Stone aus dem Jahr 1987 angesehen. Cord ­Riechelmann stellt die Finanzkrise in einen größeren Zusammenhang der Ressourcenkrise, wie er in dem Dokumentarfilm Collapse von Chris Smith aufgezeigt wird. ­Daniel Eschkötter hat sich zwei Filme aus der Zeit angesehen, in der die Welt schon einmal das Verhältnis zwischen Kapital und öffentlicher Hand grundlegend neu austarieren musste: Zwischen 1920 und 1935 stellten Hyperinflation und Börsencrash die Zukunftsfähigkeit der freien Marktwirtschaft auf entscheidende Proben. Ergänzt wird dieser Schwerpunkt durch Lektürenotizen und eine Anmerkung zu einem Revolutionsfilm aus dem Jahr 1973: In L’an 01 von Jacques Doillon ließ Alain Resnais schon einmal die Wall Street in einer visuellen Phantasie untergehen. Wir werden sehen, ob Oliver Stone eine andere Perspektive findet.