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Respektable Schulden Was wissen Filme der 20er von ihren Finankrisen? Was für einen Film erzählt die Börse? Zwei Beispiele von Murnau und L’Herbier

Von Daniel Eschkötter

DIE FINANZEN DES GROSSHERZOGS (1923)

© Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

 

In seiner Archäologie der unmittelbaren Gegenwart, seinen Fernsehgesprächen, Dialogen mit der Geschichte und faits divers sucht Alexander Kluge mit seinen Stichwortgebern und Gewährsleuten nun nach den Früchten des Vertrauens: «Finanzkrise, Adam Smith, Keynes, Marx und wir selbst: Auf was kann man sich verlassen?» – Man kann den Großverbrecher Dr. Mabuse, der die Börsenkurse manipuliert, als Helge Schneider befragen und andersherum. Es gibt eine ökonomische Klugheit der Märchen, die kann man aufsuchen.

Die Finanzen des Grossherzogs von 1923/24 ist ein solches Märchen, eine normale Anomalie zudem: ein Lustspiel inmitten des Werkzusammenhangs F.W. Murnaus, vielleicht seine einzige Komödie (wenn man vom aufgesetzten Epilog zu seinem darauf folgenden Film, dem zwischentitellosen Arbeitsdrama Der letzte Mann absieht), dabei fest verankert in den Produktionskontexten des Weimarer Kinos – Drehbuch Thea von Harbou, Kamera Karl Freund, produziert von Erich Pommer. Der fragmentarisch überlieferte Film ist, gewiss, formelhaft, dabei keineswegs ohne Aufwand, mit einer großen Anzahl eleganter Außenaufnahmen an der jugoslawischen Küste, klarsichtig und verklärt zugleich. Es ist sein doppelter Zug ins Ökonomische, der ihn in seiner Formelhaftigkeit aus ihr heraushebt, eine kalkulierte Komödie – eine Komödie der Kalkulation. Und ein Fall von missbrauchten, entwendeten Liebesbriefen: «Diese märchenhaft unvorsichtigen Briefe …»

Das Großherzogtum Abacco wird regiert von einem «liebenswürdigen Tyrannen», der das Geld nicht aus dem Fenster raus, aber die Klippe runterwirft und seine Untertanen lieber dort nach ihm tauchen als in der Schwefelabbauhölle eines diabolischen Investors arbeiten sehen will. Abacco ist ein kleiner Inselstaat mit einer «sehr respektablen Staatsschuld», fast ein failed state, dessen Bürger man nicht sieht, der aber, in Abwesenheit des Großherzogs, durchaus auch mal von der Köchin regiert werden kann. Nicht von der Liebe des Großherzogs, von seinen Finanzen handelt die Komödie. Sie trägt sich zu in einem Jenseits der Großen Geschichte, sie schrumpft die Hochinflation, den Staatsbankrott, die Revolution auf ein märchenhaftes, ein märchenhaft kleines Maß zusammen – nichts, was nicht durch eine Heirat zu lösen, von einem Freund zu borgen, in einer Komödie zu erzählen wäre.

Briefe & Aktien, Ehe- & Staatspapiere: was die Komödie antreibt, ist die Spekulation mit und auf, mit diesen Papieren, auf das gute Ende – die Hochzeit, die Monarchieerhaltung. Die Ehe – die Haushaltssanierung, das ist die Gleichung der Anlage, darin Lubitschs Bankrott-Eheanbahnungskomödie Die Austernprinzessin (von 1919) nicht unähnlich, wenn auch mit verschobener Perspektive. Bei Murnau dominiert jene des Bankrotteurs, der in beiden Fällen, als Prinz Nucki bei Lubitsch und hier als Don Ramon XXII., gespielt wird von Harry Liedtke, vor allem aber die des matchmakers und Mittlers. Dieser, Agent des guten Endes und Lenker der Geschichte und Geschicke, ist ein Abenteurer und Hochstapler, Phillip Collin alias Professor Pelotard, ein moderater Arsène Lupin, ein Gentlemangauner aus der Romanserie des schwedischen Autors Frank Heller/Martin Gunnar Serner. Bei Phillip Collin, Moderator der Leidenschaften und Handlungsstränge, gespielt mit wohltemperierter Ironie von Alfred Abel, kommen sie alle zusammen, die Fäden, sie laufen ihm in die Arme, fallen ihm in die Hände – eine russische Großfürstin auf der Flucht vor der Verwandtschaft; ihr Brief, der, dem Großherzog von Abacco Ehe und Staatshaushaltssanierung versprechend, gehandelt wird wie ein Wertpapier; die Staatsanleihen Abaccos, die er in einem Börsencoup kauft. Was mit den Fäden, den Papieren und Verbindungen anzufangen ist, das fragt sich Collin, fragt sich der Film ganz beiläufig bis er alles auflöst.

Der Plot, der nicht schnurrt

Kredit und Erlös, Schuld und Schulden, Kapitalismus als Religion, die Fortdauer des Ökonomisch-Theologischen: das ist nicht eben Gegenstand der Komödie (aber gerade wieder Sujet eines kleinen Buches von Samuel Weber). In Die Finanzen des Grossherzogs ist der Kredit, die Zeit des Aufschubs, einfach die Zeit der Komödie, deren Plot nicht schnurrt. Vielmehr hangelt er sich von Akt zu Akt, Wendung zu Wendung, Maskerade zu Intrige. (In dem filmhistorisch-panoramatischen, beiläufig parlierenden Kommentar auf der Masters of Cinema-DVD, der sonst hauptsächlich die Protagonisten der Produktion im Kontext vorstellt, spekuliert David Kalat über eine mögliche serielle Verwertungsoption, die in dem Cliffhangerprinzip der sechs Akte des Films angelegt gewesen sein mag.)

Am Ende wird der Kreditzirkel geschlossen, wird der Glaube an eine mögliche Kommensurabilität von Fiktionen, Briefen, Papieren, auch von Gefühlsökonomie und Volkswirtschaft wiederhergestellt (oder als herstellbar fingiert) und in eine Fluchtlinie der Öffnung und Schließung gebracht – vielleicht mit dem Namen Liebe.

Alfred Abel als heimlich-lenkender Aktienerwerber im Hintergrund: das ist eine der wenigen Kontinuitätspassagen, die von Murnaus Finanzen zu Marcel L’Herbiers L’Argent von 1928 führen. L’Argent ist, wie Dr. Mabuse, der Spieler: ein Bild der Zeit. Eine Groß-, vielmehr Riesenproduktion – eine «flammende Anklagerede gegen das Geld», die keine Kosten scheute, so L’Herbier selbst zur Paradoxie seines Unternehmens. (In den technischen und gestalterischen Aufwand gewährt eines der gewiss frühsten making-ofs der Filmgeschichte Einblick: Autour de L’Argent von Jean Dréville, zu finden auf den DVD-Editionen von Carlotta Films und Masters of Cinema.) Marcel L’Herbier ist, mindestens in L’Argent, ein Experimentator des Monumentalen. Bei Vorführungen ließ er zu zwei Szenen Flugzeuggeräusche und das Summen der Börsenmassen auf Schellackplatten abspielen; die dokumentarisch anmutenden Pariser Börsenszenen drehte er über einige Feiertage mit 2000 Komparsen on location.

 

L'Argent (1928)

© Eureka/Masters of Cinema

 

L’Herbiers Prométhée … banquier, ein kurzes exemplarisches Drama von 1921, das es mit seiner Titelanalogie nur mäßig genau nimmt, erzählte bereits aus dem Innersten der Bank von der Ankettung an den Berg des Geldes (Diener soll es sein, nicht Meister, heißt es in L’Argent immer), von Prévoyan, einem Spekulanten, also eben Vorausschauenden, dem die Gegenwart verloren geht.

Weniger als Anklage des vampirischen Geld-Charakters ist der fast dreistündige L’Argent freilich interessant, denn als Film zur Genealogie und Kontinuität von Visualisierungsstrategien und –paradigmen der Bildordnung Globalfinanz: zu den äußeren Repräsentationsräumen und den inneren Arkana der Banken und zum Bildregister Parkettbörse, das heute noch die unsichtbaren Kapitalbewegungen metonymisieren muss (dazu auch immer noch: Antonionis L’Eclisse von 1962 mit dem Börsentreiben Roms und Monica Vittis ausdrucksfreiem Gesicht im Gegenschuss). Ökonomie wird als globale in die opulenten gigantischen Sets zu übersetzen gesucht: mit Raum und Bildtiefe dominierenden Weltkarten bis hin zu einem Panorama der Weltwirtschaft, einem runden Bankraum, der die globalen Warenströme visualisiert – Verräumlichungen «fiskalischer Erhabenheit» (Joseph Vogl).

Von der Masse vor und in der Börse über eine Generalversammlung bis zu den Hintermännern überbrückt L’argent mit einer oftmals entfesselten Kamera schnell die Akteursräume und gelangt zu einer Rivalität unter großen Männern, zwei Großbankiers: Abels Alphonse Gunderman und Pierre Alcover als Nicolas Saccard, Direktor der Banque Universelle. Der massige Saccard (dessen Sekretär von Antonin Artaud gespielt wird) ist das amoralische Gravitationszentrum des Films, er trägt den falschen Universalismus des Kapitals in die Welt (von den globalen Kolonisierungsunternehmungen in Zolas Romanvorlage ist bei L’Herbier eine Überseeinvestition geblieben); sein Gegenspieler Gunderman, sekundiert von einer intriganten Baronesse (dargestellt von Brigitte Helm, wie Abel gerade mit Metropolis-fame versehen), ist zumindest scheinbar ein Ethiker der Spekulation, der nur Schach, nie an der Börse spielt.

Saccard braucht einen Coup: ein Rekordflieger soll Auftrieb verschaffen – und seine Frau in dessen Abwesenheit als Saccards Geliebte herhalten. Vierzig Stunden, die der Flug dauern soll: vierzig Stunden Ängste der Frau um ihren Geliebten, vierzig Stunden für Manöver und Spekulationen Saccards, so lakonisch ein Zwischentitel. Der Transatlantikflug des Mannes bringt die kalkulierte hausse, der mutmaßliche Absturz die baisse, aus der sich wiederum Kapital schlagen lässt – ein Insidergeschäft. (Gefängnis, Schluss.) Entscheidend sind die filmaffinen Intensitäten, die der Börsenkapitalismus generiert: das Fieber, das alle erfasst, Euphorie und Panik, die beiden affektiven Medien der Börse. Vertovsche Akzelerationsmontage von Arbeits- und Kommunikationsprozessen ist ihr entsprechendes Verfahren, das dabei immer wieder unterbrochen erscheint, Zeiträume des Wartens eröffnend, in denen die Protagonisten nicht auf den Börsenticker schauen, aber dem Radio lauschen. Nicht prophetisch, aber vielleicht doch seismografisch steuert L’Argent einen Crash an, auch den im Off der Historie.

 

Die Finanzen des Großherzogs im 2-Disc Set mit Phantom bei Eureka/Masters of Cinema | L’Argent im 2-Disc Set ebenfalls bei Eureka/Masters of Cinema