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Schwarzweiß Über Engel aus Eisen und Domino von Thomas Brasch

Von Karsten Witte

Wenn in den Schwarzweiß-Filmen Engel aus Eisen (BRD 1980/81) und Domino (BRD 1981/82) von Thomas Brasch das Schwarz dominiert, dann nicht, weil es als Trauer kodiert wäre, sondern, weil das extrem ausgefressene Weiß dagegen verblaßt. Die Rigorosität der Farblosigkeit ist eine Entscheidung für die Reduktion. Als ästhetisches Konzept regiert die hier bewußt gesetzte Abschwächung all dessen, was als Wahrscheinlichkeitsrealismus im Umlauf ist. Dem Anschein des vollen Lebens ist das Leben, das sich insbesondere in den Gefühlswerten der bunten Farbskala behaupten könnte, ausgetrieben. Nicht das Leben lebt in diesen Filmen, sondern das Artefakt.

Der Titel des ersten Buchs von Brasch, Vor den Vätern sterben die Söhne, signalisierte auf seine Weise eine Umkehr des als natürlich angenommenen Kreislaufs. Nicht das ewig sich drehende Lebensrad, das Kontinuität und Konvention garantiert, herrscht im Werk von Brasch, sondern eher das ständig wiederholte Attentat, jenem Mechanismus mit stockender Wirkung in die Speichen zu fallen. Im darauf folgenden Buch Kargo gibt es eine ausdrückliche Notiz auf den Totenkult, dem dieser Titel sich verdankt. Der Erstlingsfilm Engel aus Eisen verschränkt in einer Einstellung vor dem Titelabspann ein historisches Flugzeug aus der Zeit der Berliner Blockade, totenblaß geschminkte Gesichter und eine japanische Ritterrüstung eines Samurai. In der Realität der Hungerjahre einer viergeteilten Hauptstadt fanden sich jene Details nicht zusammen: sie sind, wie ein Concetto, gefügt.

In diesem Debütfilm gehen der schießwütige Chef einer Jugendbande und ein arbeitslos gewordener Henker einen Pakt ein. Die Überfälle der Bande, die armselige Hehlerei, das kleine Swingvergnügen, das im Mittelpunkt zu stehen scheint, sind in Wahrheit Randerscheinungen: Identifikationsangebote an ein Publikum, das um jeden Preis auf Wiedererkennung seines Alltags auf der Leinwand konditioniert wurde. Die Achse der Filmhandlung wird vielmehr bestimmt von der Begegnung des jungen Mannes, der den Tod sucht, mit dem Henker, der dem Sehnsüchtigen den rechten Weg weisen soll. Wo liegt die Grenze von Schwarz und Weiß, wo endet die Lebenslinie, und wo beginnt das Totenreich? Das sind die Fragen, die visuell gestellt und in den gleitenden, suchenden Kamerabewegungen bildlich aufgelöst werden. Die beiden Männer werden Komplicen der Todeserfahrung, die sie doch nicht teilen können. Unerschrocken legt der junge Mann seinen Kopf auf das Brett in der Hinrichtungsstätte und blickt auf das blitzende Eisen der Guillotine über sich. Er will die Kraftanstrengung ermessen, die es kostet, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen.

Domino, der zweite Film Braschs, erzählt im Titel sein Bauprinzip. Der Film als offenes Spiel, als Baustelle, wie Alexander Kluge mit anderen Mitteln behauptete. Domino ist ein Stein unter anderen, in sich schon ein Farbspiel auf Schwarz und Weiß. Mutter und Tochter, die fünfziger gegen die achtziger Jahre, spielen das Spiel, und wer falsch spielt, weiß man nicht. Die Tochter trennt sich von ihrer Tochter, die sie in die Weihnachtsferien schickt, um sich im Berliner Winter allein den Depressionen der im Geläute der Kaufgelüste und in Einsamkeit verirrten Menschen auszusetzen. Ein Regisseur glaubt, in der jungen Frau seine Tochter zu entdecken, stirbt aber, bevor es zu einer gemeinsamen Inszenierung kommt. Liebhaber, Huren, Kohlenhändler auf dem Eis, Arbeitslose und Nackte ziehen vorüber in diesem allegorischen Reigen der Hoffnungslosigkeit. Am Ende steht ein Lager in der Südsee, in das die von der Konsumgesellschaft Marginalisierten verschickt werden sollen. Ein S-Bahn-Tunnel im Grunewald reicht zur Suggestion. Und wer die Stadtgeschichte Berlins kennt, weiß, daß der Bahnhof Grunewald die Vorhalle des Grauens war: in der Sprache des verwalteten Todes «Sammelstelle» für alle aus Berlin deportierten Juden.

Der mit Ruß verschmierte Händler, mit einer Kiepe Briketts auf dem Rücken, geht fremdfreundlich grüßend übers Eis des Lietzensees. In der Wirklichkeit des Charlottenburger Winters tut er das sicher nicht. Hier aber geht er sinnbildlich: schwarz auf weiß und übersetzt in seinen Gang und seine Gesten, was üblicherweise auf die Oberfläche der Dinge im Film beschränkt bleibt. Die Filme von Brasch, so wäre genauer zu sagen, sind nicht: in Schwarz und Weiß, sie sind Schwarzweiß. Nicht nur die Dinge, die Gesamtheit der Erscheinungen, ob Menschen, Szenen, Häuser oder Tiere, führt einen Diskurs über die Denaturierung des Natürlichen. Der Mann, der übers Eis geht, ist nicht in Gefahr. Er erinnert hingegen an einen Mann, der nicht mit Kohlen, sondern mit Gedichten im Kopf übers Eis ging, dabei einbrach und ertrank: Georg Heym, dessen Figur Brasch sein Drama Lieber Georg widmete.

Die Welt im Film Schwarz-Weiß zu zeigen, ist mehr als eine bewußte Entscheidung für die Ästhetik der Armut, abgesehen davon, daß die Produktionskosten, heute, für Farbfilme billiger sind, weil alle Welt Amateurfilme in Farbe dreht: wovon die Kopierwerke leben. Die Welt der Erscheinungen im Film in den Farben Schwarz und Weiß zu zeigen, ist eine Entscheidung gegen den Vollblutrealismus, gegen die Wiedererkennung der Welt im Maßstab Eins zu Eins. Die Filme der expressionistischen Zeit in Deutschland, die Filme der Periode Hollywoods im Zeichen des film noir, die Anfänge des italienischen Neo-Realismus, insgesamt alles erklärte Krisenprodukte, suchten und fanden die Wurzel des Schwarzweißfilmes im Vampyrismus, dessen Kraft sich nach Mitternacht entfaltet, um im Morgengrauen zu entschwinden. Das waren die Filme der Grenzlinien und der territorialen Kämpfe auf dem Gelände von Schwarz und Weiß. Albträume, Heimsuchungen, Visionen und schwarze Messen trieben ihr Spiel, von dem erlöst zu sein, erst das Wort Ende versprach.