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How To Ohne und mit John Wilson: Kochen und Küchen-Shots im pandemischen Tutorialismus

Von Daniel Eschkötter

© NBC

 

Sie hat Restaurants und Cafés geschlossen, und sie hat Fenster geöffnet, die Pandemie. Fenster, in die wir sonst vielleicht in Architekturmagazinen, Illustrierten, AD-Videos, MTV-Cribs-Segmenten, Instagram-Feeds, Nawalny-Rekonstruktionen geschaut hätten, improvisierte und kuratierte Weltausschnitte und Lebenseinblicke, in Arbeitszimmer, auf Bücherregale. Und in Küchen, wo Heim und Arbeit sich verdichten. Der Küchen-Shot gehört schon deshalb ins Inventar der Corona-Age-Bilder, auch wenn es vor allem amerikanische Küchen sind, die ich gesehen habe, Küchen von Celebrities, Politikpersonal, Journalist_innen. Der damals noch nicht lange von Covid genesene Tom Hanks als Saturday Night Live-Host der ersten Remote-Show 2020. Tuccigangs Stanley mit seiner Cocktail-Routine. Instagram-Story-Cooking with Flo(rence Pugh). Insbesondere in der MSNBC-Nachmittagsshow der ehemaligen Bush- und McCain-Beraterin Nicolle Wallace schien sich irgendwie die Küche als Drehort der zugeschalteten Pundits etabliert zu haben (Studiopräsenzfetischismus mit symbolischem Aerosolabstand ist was für die deutschen Abendtalkshows): beim Zirkusjournalisten-Alpha John Heilemann (Küche Typ Eierschalen-Edelstahl-Ungetüm mit zwei dänischen Doggen) 1, dem McCain-Strategen und Palin-versehrten – siehe Heilemanns Game Change – Steve Schmidt (dunkelbraune Schrankfronten, schwarzer Marmor und ein Totempfahl) 2, der ehemaligen demokratischen Senatorin Claire McCaskill (Landhausstil mit offenen Regalen und rustikal glasierten Kacheln), die ihren Missouri-Sitz an Backpfeifengesicht Josh Hawley verloren hatte. In irgendwelchen Leben ist die Küche nachmittags vielleicht der ruhigste, aufgeräumteste Ort. Oder es ist konzeptuell zu verstehen: als Korrektiv zu all den credibility bookcases (twitter.com/bcredibility), die nicht nur die amerikanischen Screens und universitären Zoomcalls so zuverlässig grundieren. Ein kalkulierter Hintergrund im Sprechen über Brot-und-Butter-Themen, eine Erdung, aber ohne kitchen sink-Realismusanmutung, dafür mit viel poliertem Edelstahl.

Kitchen Shots sind dynamisch, die Küchenachsen und -Architektur selten auf Selbstdokumentation und -transmission ausgerichtet. Und es gibt ein Aktionsversprechen. In Kinoküchen wird schließlich entweder gebrüllt oder gekämpft (2020: Tenet). Irgendwann könnte sich in den Heimküchen zumindest der Kühl- oder Küchenschrank auf etwas öffnen, das aufschlussreicher ist als Obamas Autobiografie im Regal. Der YouTube-Kanal des Kochportals der New York Times hatte schon präpandemisch daraus einen Stil generiert, mit quirky Kochvideos und Inventarisierungen aus kleinen New Yorker Apartments oder größeren Suburbiahäusern, Heimküchen fürs corporate home cooking. Sie waren also schon längst da, wo nun alle hinmussten; Orte und Formen, die schon bei sich waren, wie auch bei vielen anderen längst oft professionellen Heimkochenden bei YouTube, deren Videos seit einiger Zeit zu meiner media diet gehören. Viel sehen ließ sich da im letzten Jahr, viel gesehen wurde es auch: «When terrible things happen, our numbers go up» (Sam Sifton, Redakteur von NYT Cooking).

Wenn pantry cooking das Gebot der Stunde ist, dann ist der tägliche Blick in die Tube wie der in die Speisekammer. Nirgendwo wurde das so klar wie bei J. Kenji López-Alt, in den am Anfang der Pandemie täglichen Postings aus seiner Heim- oder auch mal verwaisten Restaurantküche. 3, 4 Kenji López-Alt ist mit seiner Food Lab-Kolumne und dem daraus entstandenen Buch prominent geworden als Befrager und Dokumentierer von Kochtechniken, als populärwissenschaftlicher Experimentator und Erklärer ihrer Chemie, als Kochmythenbuster und Rezepttweaker. Dem schlichten Vorführen dessen, was funktioniert, wie es die meisten Kochshows hetero- bis ultraorthodox immer noch praktizieren, hat er ein Infotainment des Warum an die Seite gestellt. Eigentlich eines der nervtötendsten Genres von Küchenmännlichkeit. Aber der antidoktrinäre KLA ist in der Coronacookinglandschaft mit seinen nie auffallend bearbeiteten oder auch nur geschnittenen, dafür auffallend barfüßigen GoPro-Videos aus der mäßig aufgeräumten Heimküche, in der Instagramability und mise en place keine Rolle spielt und auch mal eine Minute ein Gewürz gesucht werden muss, ein Solitär der selbstverständlichen Sendung, die beredte Fortsetzung von Silent Cooking, so heimisch in seinem Modus, dass er sein Format auch lässig verlagern kann: sich filmend, wie er nach einem Schneesturm den Gehsteig mit einem Snowboard herabfährt, und gleitend, unapodiktisch aufzählend, was dabei zu beachten sein könnte, die Zutaten, Reihenfolge, Arbeitschritte. «At least I like to make sure there is snow, you can do it however you like.»

Bei Condé Nast war die Lage angespannter, sah anders aus in der offenen Testküche des Bon Appétit-YouTube-Kanals, vor Corona die Office Soap unter den amerikanischen YouTube-Küchenshows. Im März wurden ihre Stars, dessert person Claire Saffitz, Fermentationsvermittler Brad Leone und all die anderen, ins Homeoffice, also die Heimküchen geschickt, mit iPhone-Tripods ausgestattet, in Konferenzcallfenstern angeordnet 5, dann selbst oder von Familienangehörigen gefilmt, kokettierend, lamentierend, sich arrangierend mit dem neu gesetzten Rahmen, der nun eine etwas hilflose Bühnenbereitung war für singulär-kollektive Adressierungsversuche: das sind unsere wichtigsten Küchenutensilien, unsere Kaffeeroutinen, die ältesten Lebensmittel in unseren Kühlschränken. Hey, we are in this together. – Zusammen in irgendwas waren da wenige, trotz der schön inszenierten Küchendynamiken und Spendensammlungen. Juni 2020, Brownfacingfoto des Chefredakteurs, Entgütungsdisparitäten, Diskriminierungserfahrungen der PoC, Rückzüge vieler Kanalstars, die es nun bei den Konkurrenzen (besonders ausdifferenziert unterwegs: Sohla El-Waylly) oder allein in der YouTube-Kanalwildnis und bei Substack versuchen.

 

© Andrew Rea | YouTube

 

Binging with Babish

Andrew Rea gehört einer dieser YouTube-Kanäle ohne Verlagshaus dahinter. Zu Rea waren die Empfehlungswege kurz und zwingend: Serienclips und Kochvideos. Unter dem Pseudonym einer West Wing-Nebenfigur, des White House Council Oliver Babish, kocht sich der Filmhochschulabsolvent seit fünf Jahren durch Filme und Fernsehserien. Mit einem Burgerwettkochen aus Parks and Recreation (nicht nur die große kleine Serie über Big Small Government, sondern auch eine Anthologie ambitioniertester Arterienverstopfung) hat Babish-Rea angefangen und war gleich voll da, mit einer souveränen, schnellen, immer selbstironischen Verrichtungserzählung aus dem Off, hands and pans (also nur der Blick auf Hände und Werkzeug, seinen Kopf hat er ins Logo verschoben), Frasier-Song und Serienclip am Anfang, dann Muzak, selbst eingesprochene Sponsorenwerbung, einige Signaturgesten und -sätze, alles mit einem tiny wisk verrührt. Produktqualität: generisch, Mission: Fanservice, Sponsoren: sind auch aus der Industrie willkommen. Thanks to National Pork Board for sponsoring this video. Jede Woche schickt Rea mindestens eins dieser Videos raus, inzwischen bekommen es neun Millionen Subskribierende mit, und wer mal auf die Idee kommt, ein Seriengericht zu suchen, sagen wir die Tomate du Saltambique 6 aus West Wing S2E17, die landen bei Babish, inzwischen in seinem kleinen Imperium, das nun BCU, Babish Culinary Universe heißt und basics, Erbauliches und von Bon Appétit Aufgenommene beinhaltet. Aus der Wohnungsküche wurde während der Pandemie ein Brooklyn Brownstone-Studio. Irgendwo mussten die Zuhause Bingenden und Essenden ja hin. Babish ist paradigmatisches YouTube-comfort food, ein Ort, wo Original- und Metacontent, Kreativer und hack, Pro und Dilettant ununterscheidbar werden. Im Homecooking und Homebroadcasting sind das obsolete Differenzen. Kochen ist, nicht nur dort, Iteration und Variation; das Handwerk muss nur zur Skalierung passen, die Tools zur Bandbreite; das Körpergedächtnis darf unbeansprucht bleiben. Wer braucht schon ernsthaft Messerskills für drei Karotten und eine Zwiebel? (Sie schaden natürlich trotzdem nicht, auch da gibt’s ja Videos für.)

In diesem niedrigen bis mittleren Segment des Kulinarischen, eben bei den basics, dem Bodensatz, bei dem es entsprechend gerne auch ums Ablöschen und Fonds, um Teigiges und Schweres geht, ist bei YouTube viel los, viele Klicks, viele Leute, viele Kalorien. Mit alten Dispositiven des Kochens unter Anleitung und Einfluss, Kochbüchern, Zeitschriften, Rezeptsammlungen, kommunizieren die Videos weiter, verlagern sie aber in ihre Paratexte (die Videobeschreibung, die Websites), neben die anderen affiliierten Links, das Ausweisen des eigenen Küchen- und Aufnahmeequipments, die Kochbuchbewerbung. Sie stülpen sie und sich nach außen. Die Gefolgschaften und Abneigungen sind entsprechend nicht weniger passioniert als bei anderen Celebrities, mit Tributevideos und Treueschwüren, Redditforen und Memefikationen. Die Algorithmen regeln mit, dass die mittlere Lage voll bleibt, voll mit generischen Gerichten und genehmen Gesichtern, dabei in einem großen englischsprachigen Amalgamierungsunternehmen, das alle Zutaten und Einflüsse aus der globalisierten Speisekammer gefräßig aufnimmt und adaptiert. Selbst bei Diversität des Personals (wie sie Bon Appétit und NYT nun reumütig auf die Agenda gesetzt haben): kulinarische Diversifikation erfordert Seitenwege, scrolling down, unterwegs ins Terrain der vierstelligen Views und der Auto Caption. Ansonsten regiert die impulsverstärkende Empfehlungsmatrix. Aber auch die generische Form macht’s. Fassen wir sie mal unter ‹Tutorialismus›. «How to» ist ihre Formel.

 

© HBO

 

Tutorialismus: How to Cook Risotto

Erstmal 30 Sekunden Hände waschen. 2020/21, das sind schließlich auch Jahre der How-tos. Wie die Masken zu tragen, zu reinigen, aufzubewahren sind. How You Should Read Coronavirus Studies, or Any Science Paper (NYT). Oder eben: How to mask, How to medical, How to testing (Sarah Cooper). Und was Homebodies sonst so machen. Wenn sie nicht putzen wollen, können sie zumindest anderen dabei zuschauen, wie sie ihre Wohnungen reinigen. Clean with me!

How-tos sind die Skripte, die auf ein prozedurales Begehren antworten. Nicht die großen Pläne, Ratgeber, nicht das Existenzielle, wie man reich, Chef, gute Eltern, guter Bürger wird, how to marry a millionaire oder get away with murder oder so. Die kleinen Triebkräfte, Alltag in Aufgabendosen für die DIY-Aufgabenkaninchen, Zwischenspiele des Plattformkapitalismus; zwischen Nachhaltigkeit und Konsumkurbelei, Autarkie und Selbstunternehmertum. Und so werden auch bei mir mit YouTube Kaffeemühlen repariert und eingestellt, Akkus ausgetauscht und kalibriert, Fahrradanhänger zusammen- und Kindersitze eingebaut, Auto- und Backofenlampen gewechselt, Krawatten gebunden, Haare geschnitten, ein Fahrradschloss nicht geknackt, Messer nass geschliffen und trocken gewetzt, wird pochiert, püriert, perkoliert, frittiert, fermentiert, filetiert. Wie die Brooklyn-Hipster, die in save yourselves! (2020) ihren Sauerteigstarter mit ins rurale Digitalentgiften nehmen, aber für die Alieninvasion verständlicherweise Google und Tutorials brauchen. Nach der Neuordnung, was sollte da aus ihnen schon werden: das neue Internet mit aufbauen vielleicht? Aber wir haben doch keine Skills. Ohne Skills allerhand hinbekommen, auch das ist Tutorialismus. Und darüber dann irgendwann doch so was wie Skills ‹erwerben›, nicht soft und nicht so richtig hart. In den Kontrollgesellschaften habe die permanente Weiterbildung die Schule tendenziell abgelöst, meinte Deleuze damals. Und man werde nie mit etwas fertig. Im Tutorialismus wird man ständig mit etwas fertig. Und permanent weiterbilden, das muss man sich eigentlich nicht. Zumindest die Handgriffe kann man einfach nachmachen, das richtige Tutorial vorausgesetzt. Deklaratives Wissen gibt es in der YouTube auch, klar, sattsam. Aber relevanter ist sie als Umschlagsplatz fürs Prozedurale. Beim Kochen heißt das oft: vorführen, was funktioniert. Apodiktisch und präskriptiv wie schon bei den schlimmsten Fernsehköchen, die in der Tube auch längst unterwegs sind, oder einfach beschreibend-erzählend, show-and-tell. «Wir sind rein funktionalistisch, uns interessiert, wie etwas geht, funktioniert, welche Maschine es ist.» So Guattari, der andere im Duo, in einem Gespräch einmal. How-tos sind selbst kleine Maschinen des Internet, seine mitlaufende Kommentarspur und Selbstbeschreibung.

How to Cook the Perfect Risotto, so heißt die letzte Folge der unfassbaren New York-Dokumentaridiosynkrasie von und mit John Wilson, die HBO im letzten Jahr wundersamerweise von Vimeo übernommen hatte, how to with john wilson. Der verschrobene First-Person-Dokumentarist will seiner uralten italienischstämmigen Vermieterin in Queens ein Risotto kochen, aber es sieht wirklich nicht aus wie bei YouTube, wo es nicht nur unzählige Risottotutorials, sondern auch Metariso gibt (etwa: drei norditalienische Köche kommentieren im Dienst der italienischen Gastrolobby einige populäre Risottokochvideos 7; ein malayisch-britischer Comedian seziert unter der stereotypisierten Persona eines chinesischen Uncle Roger fried rice-Filmchen).

Neue Töpfe, neue Zutaten müssen her 8, im März 2020, während in den New Yorker Supermärkten die Schlangen länger und Regale leerer und Menschen nervöser werden 9, 10. Ein frappierender Dokumentarfilm über den Pandemiebeginn, wie nebenbei. Die tutoriale Form wird von Wilson dabei nicht parodiert, auch nicht adaptiert. Wilson versteht das «How to» ganz grundsätzlich, als Chiffre eines überfordernden, übervollen Alltags, voll mit Zeichen, Signalen, Zeug, mit Menschen, Szenen, Welt. How to, das ist ein Bewältigungsversuch, eine offene Frage; gleichzeitig ein Kommunikationsangebot an diese Welt, an uns. Ein Angebot, ein Versuch, an dem er selbst ständig scheitert, der aber gleichzeitig eine große Registratur eröffnet. Wenn schon derzeit nicht New York, dann müssen wir vielleicht YouTube mit John Wilsons Augen sehen.