The difficulties of today and tomorrow Ein Dokumentarfilm, der um prekäre Dokumente kreist: MLK/FBI von Sam Pollard
Alle drei Networks, ABC, CBS und NBC, waren am 28. August 1963 live auf Sendung. Oft gesehene, ikonische Bilder, die in Sam Pollards MLK/FBI von den dokumentarischen Rändern her gelesen werden: Martin Luther King Jr., rund fünf Jahre vor seiner Ermordung auf dem Balkon der «King-Abernathy Suite» des Lorraine Motels in Memphis, hält inne, ordnet sein Manuskript (auf dem die berühmte Anaphora dieses Nachmittags nicht steht), schweigt und beobachtet, gleichermaßen selbst- wie geschichtsbewusst, so scheint es heute, die Reaktionen. Schnitt. Gelöste Gesichter einzelner Demonstrant:innen, die in Richtung der Treppenstufen des Lincoln Memorials blicken, befreit wirken. Von dort aus Gegenschüsse auf den sich zentralperspektivisch verjüngenden Reflecting Pool und das darin spiegelnde Washington Monument.
MLK/FBI, eine dokumentarische Arbeit, die überwiegend aus exzellent ausgewähltem Found Footage der Bürgerrechtsbewegung (fotografisches, filmisches, vor allem auch: televisuelles) besteht und die konstellierten Archivbildmaterialien über ebenfalls klug im Off montierte Gespräche mit Zeitzeugen wie Clarence Jones (ein Anwalt und Redenschreiber Kings) und Historikerinnen wie Beverly Gage und Donna Murch erschließt, erzählt die Geschichte einer staatlich orchestrierten Verfolgung.
Ein Dokumentarfilm, der um prekäre Dokumente kreist. Gleich zu Beginn wird die xeroskopische Behandlung eines Schriftstücks mit der File Number 100106670 programmatisch in Szene gesetzt. «Federal Bureau of Investigation. Subject: Martin Luther King Jr.», ist entlang des Halogenlampenlichtstrahls sekundenkurz zu lesen. In der elektrofotografischen Vervielfältigung staatlicher Dokumente verbirgt sich in diesem Fall ein konkret benennbares Problem: die Geschichte ihrer klandestinen Entstehung. Sofern die Verfolgung Kings zahllose Dokumente von Abhör- und Überwachungsaktionen – wiretapping bei jedem Telefongespräch, bugs in jedem Hotelzimmer – hinterlassen hat, von denen einige möglicherweise besonders brisante erst 2027 deklassifiziert werden, ist diese Geschichte noch immer nicht abgeschlossen – was Fragen bezüglich ihrer Geschichts- und Fortschreibung aufwirft: Wie geht man als Historiker:in mit diesen problematischen Beständen um? Ab wann lassen sich Dokumente einer im Kern rassistisch motivierten Überwachungsaktion, die in den allerletzten Winkel des Privatlebens Martin Luther Kings reichen (und dort tatsächlich auch Fragwürdiges zu Tage fördern), selbst durch Verfahren des im historiografischen Zugriff auf Hegemonialdokumente bewährten ‹gegen den Strich› (von unten, in Lücke und Leerstellen) Lesens nicht mehr adäquat prozessieren?
Der natürliche Antagonist dieser Erzählung einer Institution, die Staatsfeinde erfindet und unerbittlich ausspäht, ist der erste und nahezu ein halbes Jahrhundert (1924–1972) amtierende Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, dessen Warnung vor einem «Black Messiah» in den späten 1950er Jahren eindeutig obsessive Züge annahm. Die ihm unterstellte Behörde ließ sich leicht infizieren. Trauriger Höhepunkt ist ein niederträchtiger anonymer Brief an Kings Ehefrau Coretta Scott, für den sich William C. Sullivan, der sich später mit Hoover überwarf, höchstpersönlich an die Schreibmaschine setzte, um ihn Tonbandmitschnitten abgehörter außerehelicher Hotelnächte beilegen zu können («You know what you have to do»). Es ist, mit Blick auf die Gegenwart des institutionellen Rassismus, vermutlich kein Zufall, dass auch zwei aktuelle Spielfilme, beide sehenswert, auf die Konflikte der 1960er Jahre zurückkommen: Regina Kings Kammerspieltheaterfilm One Night in Miami (Malcom X, Sam Cook, Jim Brown und Muhammed Ali, der in dieser Nacht noch Cassius Marcellus Clay heißt, aber gerade Sonny Liston auf die Bretter geschickt hat, versuchen ihre brüchig werdende Allianz zu retten) und expliziter noch Shaka Kings Judas and the Black Messiah, in dem Daniel Kaluuya den Black Panther Chairman Fred Hampton spielt, der im Dezember 1969 bei einem unfassbar brutalen Überfall durch Kräfte des Chicago Police Departments und des FBI regelrecht hingerichtet wurde (er starb in seinem eigenen Bett; 99 abgefeuerte Kugeln der Polizei, der eine einzige zurückgefeuerte gegenüberstand, konnten eine 1970 zur Aufarbeitung einberufene Jury nicht davon abhalten, in der Aktion einen «justifiable homicide» zu erkennen).
Im Fall von Martin Luther King operierten Rassismus und Antikommunismus innerhalb Hoovers FBI nicht nur Hand in Hand, sondern auch, wie Beverly Gage und David Garrow argumentieren (und zeitgenössische Umfragen belegen), mit Zustimmung weiter Teile der weißen Bevölkerung. Dass King der Communist Party USA (CPUSA) überaus distanziert gegenüberstand, dürfte Hoover ebenso klar gewesen sein, wie ihn die taktische Überlegung motivierte, dass die Unterstellung einer direkten Verbindung politische Spielräume zur gezielten Verfolgung von Bürgerrechtlern eröffnete. Und so war es, wie man in Ben Kamins Dangerous Friendship (2014) nachlesen kann, Kings Freundschaft mit dem jüdischen Anwalt Stanley Levinson, die den Justizminister Robert F. Kennedy im Oktober 1963 dazu bewog, Hoovers «G-Men», deren popkulturelle Strahlkraft von Beginn an Teil der institutionellen Strategie war (heute nennt man das ‹Öffentlichkeitsarbeit› und bespielt humorig Twitter-Kanäle), grünes Licht für die umfangreichen Abhöraktionen Martin Luther Kings zu geben. Was bedeuten die aus dieser Entscheidung resultierenden Dokumente mit Blick auf ethische Implikationen historiografischer Praxis, wird David Garrow am Ende von MLK/FBI gefragt. Langes Zögern: «It varies over time».
MLK/FBI ist als DVD/Blu-ray erhältlich und via Amazon Prime (USA)