Kräfte des Codes Gesteigerte Lebensgefahr und Pulpifizierung: Über die digitalästhetischen Verschaltungen des Snyderverse
Nicht mehr die bloße Aufzählung, die schier endlose Reihung einzelner Filme, sondern das episch strukturierte Narrativ des Aufstiegs und Falls von Franchises bildet die angemessene Darstellungsform fürs gegenwärtige kommerzielle Kino. Das Franchise ist, so gesehen, nicht nur eine Verschaltung (unterhaltungs-)industrieller und narratologischer Mechanismen, sondern auch ein Medium, das das Kino selbst erzählbar macht. Zack Snyders Justice League etwa lässt sich als ein Plot Twist beschreiben, der seinerseits gleichfalls doppelt codiert ist: filmästhetisch und medienhistorisch.
Ihre Existenz verdankt die erweiterte, auf epische vier Stunden Laufzeit aufgeblasene neue Version eines 2017 an den Kinokassen gescheiterten und von der Kritik in der Luft zerrissenen Superheldenspektakels der jahrelangen Lobbyarbeit unermüdlicher Fans, die die eigensinnige, düster-apokalyptische Vision des ursprünglichen Regisseurs Snyder gegen ein an der Marvel-Konkurrenz geschultes und von Joss Whedon durch Nachdrehs sowie Eingriffe in der Postproduktion implementiertes stromlinienförmiges Produzentenkino verteidigten; für das verantwortliche Studio Warner Brothers gewann die im Frühjahr 2020 angekündigte Wiederauferstehung der Superhelden-Oper allerdings erst durch den Corona-bedingten Streamingboom und den Fehlstart der hauseigenen Plattform HBO Max massiv an Bedeutung: Der ‹auteuristischste› Blockbuster der jüngeren Filmgeschichte soll nun dabei helfen, die ökonomischen Folgen der innerbetrieblichen Fehlkalkulationen eines vertikal integrierten Medienkonzerns zu mildern.
Gleichzeitig hat der «Snyder Cut» Auswirkungen auf sein textuelles Umfeld. Das zuletzt totgesagte sogenannte Snyderverse, das zu etablieren Justice League im Jahr 2017 ursprünglich angetreten war und das die von Warner Brothers erworbenen DC-Comics-Superheldenrechte auf Jahrzehnte hinaus monetarisieren sollte, scheint wieder in greifbare Nähe zu rücken; und gleichzeitig fügen sich Snyders letzte drei Filme – Man of Steel (2013), Batman v Superman: Dawn of Justice (2016) und eben Justice League – im Rückblick zu einer einigermaßen kohärenten Justice Trilogy. In deren Zentrum steht freilich gerade nicht die Heldengemeinschaft der Justice League, sondern ein einzelner Superheld: Superman in seiner Verkörperung durch Henry Cavill.
Programmatisch abwesend ist in der gesamten Justice Trilogy ausgerechnet das in allen älteren Kinoauftritten zentrale, emblematische Kernstück der Superman-Ikonografie: das Bild des zwar rasanten, aber gleichzeitig relaxed in sich ruhenden, eine Faust nach vorn streckenden, durch die Wolken gleitenden Superhelden – ein zwischen Natur und Technik vermittelndes, letztlich eher tröstliches als unheimliches Flugobjekt («It’s a Bird… It’s a Plane… It’s Superman!»). Cavills Superman hingegen fliegt nicht, er knallt. Er kanalisiert die Superkraft, die in ihm steckt, nicht mehr als eine Fähigkeit, über die er verfügt, sondern wird im Gegenteil zu ihrem Werkzeug, zu Waffe und Projektil in körperlicher Funktionseinheit, zu einem nicht zwischen, sondern jenseits von Natur und Technik verorteten kinematografischen Objekt, das zuerst diverse Widersacher und später ganz Chicago zusammenknallt.
Snyder und Superman – das ist ein Glücksfall, der angesichts der vorherigen Laufbahn des Regisseurs nicht unbedingt absehbar gewesen war. Zum Kino kam Snyder nach einer nicht sonderlich auffälligen Karriere als Musikvideo- und Werberegisseur (lediglich die obskure Fernsehproduktion Michael Jordan’s Playground (1990), in der der Chicago Bulls-Star unter anderem dank exzessivem Zeitlupeneinsatz zum proto-Man-of-Steel stilisiert wird, verweist auf spätere Großtaten). Zum Einstieg dreht er 2004 ein ebenfalls weitgehend unauffälliges Remake von Romeros Dawn of the Dead: ein lediglich technisches Update, angepasst an zeitgenössische Actionkinoparameter und Shopping-Mall-Innenarchitekturstandards.
Das Zombiemotiv, dem er sich nun in der Netflix-Produktion Army of the Dead (2021) ein zweites Mal widmet, könnte dennoch ein verborgener Schlüssel auch für das restliche Werk sein. Die Imago einer auf bloße Biomasse und Reiz-Reaktions-Schemata reduzierten Restmenschheit kann verstanden werden als eine notwendige Kontrastfolie für die Genese des Snyder’schen Begriffs vom Superhelden. Tatsächlich tauchen in seinen nächsten beiden Filmen, zwei Graphic Novel-Adaptionen, die ihn zu einer Schlüsselfigur fürs gegenwärtige Hollywood-Filmschaffen aufsteigen ließen, ebenfalls entsprechende Bilder auf. In 300 (2006) errichten die Spartaner in ihrem verzweifelten Abwehrkampf gegen das persische Empire einen Schutzwall aus Leibern der im Kampf gefallenen Gegner und Kameraden. Im «Ultimate Cut» von Watchmen (2009; Snyders Filme beginnen schon früh, aus dem Leim zu gehen) wiederum wird parallel zur Haupthandlung die Geschichte eines Schiffbrüchigen erzählt, der sich aus den Leichen seiner Mitreisenden ein Floß bastelt.
Eine solche Perspektive verkompliziert auch den Snyder seit 300 begleitenden (und in Bezug auf dieses schon eher schwer erträgliche Machwerk voll gerechtfertigten) Faschismusvorwurf. Wenn Faschismus auf der Fantasie eines Bandes zwischen Volk und Führer – und damit einem ‹direkten›, nicht mehr institutionell vermittelten Repräsentationsprinzip beruht –, dann geht Snyder von der möglicherweise noch radikaleren Prämisse aus, dass dieses Band von Anfang an und unwiederbringlich zerschnitten ist. Sein Kino stellt nicht nur die institutionelle Vermittlung, sondern das Prinzip der Repräsentation selbst in Frage (und lässt damit vielleicht auch Diskurse über die politische Nutzbarmachung von Ästhetik hinter sich). Das Snyderverse zerfällt in zwei Teile, die einander nichts mehr zu sagen haben: auf der einen Seite eine unstrukturierte Ansammlung bereits toter oder nur noch reflexhaft am Leben klebender Leiber, auf der anderen Seite eine transhumanistische, von Göttern und Quasigöttern bevölkerte Gegenwelt, die sich politischen oder anderweitig außerästhetischen Begründungszusammenhängen in keiner Weise mehr verpflichtet fühlen muss.
Voll in den Blick gerät diese Gegenwelt erstmals in Sucker Punch (2011), dem ersten Snyder-Film, der sich nicht sklavisch an popkulturellen Vorlagen abarbeitet, nicht das mimetische, sondern das generative Potential des Digitalen betont. Zur Vollendung verhilft ihr jedoch erst Superman, der auf Krypton geborene Außerirdische, den es auf die Erde verschlagen hat. Der ideale Protagonist fürs Snyder-Kino ist Superman insbesondere deshalb, weil er von allen ikonischen Superhelden am wenigsten psychologisch gedacht ist. Seine back story erzählt nicht von einem Menschen, der in sich übermenschliche Kräfte entdeckt, sondern von übermenschlichen Kräften, die einen menschlichen Körper für sich entdecken. Wo andere Superhelden lernen müssen, mit ihren Fähigkeiten und dem Wissen um die eigene Erwähltheit zu leben, sieht sich im Fall von Superman eine von Anfang an den Dimensionen des Menschlichen entzogene Kraft mit der Frage konfrontiert, wie es ihr gelingen kann, einen einzelnen, physisch zunächst kaum bemerkenswerten menschlichen Leib (beziehungsweise: die bloße, fast gar nicht individuierte Skizze eines menschlichen Leibes; kaum zehn Striche benötigt das Gesicht in den Comics) nutzbar zu machen.
Man könnte auch sagen: Superman ist ein unzureichend säkularisierter Superheld. Seine Kräfte sind nicht ohne Weiteres als Allegorisierung von Selbsttechniken in modernen Leistungsgesellschaften les- und damit gewissermaßen auch naturalisierbar (im Sinne von «Erwecke die Kräfte, die in dir stecken!»). Stattdessen verweisen sie auf eine externe Instanz, auf die Intervention einer höheren Macht, die zwar nicht im engeren Sinne metaphysisch begründet wird, aber auf Transformationen verweist, die vom Subjekt und seinem Sensorium nicht voll einholbar sind.
Kultur- beziehungsweise comichistorisch müsste man sicherlich weiter ausholen (dem Golden Age der amerikanischen Superheldenliteratur der späten 1930er Jahre entspringt schließlich neben Superman auch Batman, der säkularste Superheld überhaupt), aber in Bezug auf die Justice Trilogy bietet es sich an, Superman in einen Zusammenhang zu stellen mit den Modernismustheorien des frühen 20. Jahrhunderts. Indem Snyder das weniger Über- als Außermenschliche der Superman-Figur betont (und außerdem eher das kategoriensprengende «Super» als den immer schon qua Narration gebändigten Helden), kehrt er zurück zu Walter Benjamins Choc, zu Film als der «der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende[n] Kunstform», zu Vertovs Kino-Auge. Selbst dem allerdings entkommt das Superman-Projektil in Man of Steel. (Dass sie das Superheld:innentum nicht als die Erfüllung, sondern als die Überschreitung zeitgenössischer, popkulturell vermittelter Subjektivitätsentwürfe konzeptualisieren: Genau das ist, nebenbei bemerkt, auch die entscheidende Differenz der Snyder-Filme zum Konkurrenzunternehmen des Marvel Cinematic Universe. Die Helden des kommerziell ungleich erfolgreicheren MCU verfügen über ihre Fähigkeiten wie wir über all die schicken, teuren Gadgets, die uns zeitgenössischen Prosumern ja im Allgemeinen als etwas erscheinen, das die Welt navigierbar macht, statt uns unserer ontologischen Fremdheit zu versichern.)
Die «gesteigerte Lebensgefahr», der Snyders letzte Filme ins Auge schauen, so offenherzig wie wenig andere im heutigen Kino, ist, natürlich, die Digitalisierung. Oder vielleicht besser: das Digitale. Also nicht die Digitalisierung als der stets bereits auf seine Vollendung hin perspektivierte prozessuale Übergang von träger, analoger Substanz zur prinzipiell grenzenlosen Manipulierbarkeit von Code, der einen Lebensbereich nach dem anderen erfasst und (im Allgemeinen) so organisiert ist, dass er sich selbst unsichtbar macht; sondern das Digitale als eine mit jeder anthropozentrischen Kultur- und Technikgeschichte inkompatiblen Externalität, als eine dem zivilisatorischen Fortschritt selbst entspringende Fremderfahrung, die sich letztlich weder als liberale Befreiungserzählung noch als gesteigerte Kontrollparanoia einhegen lässt.
Die These wäre dann: Genau wie Supermans Körper ein (notwendiges) Hilfsmittel für die Darstellung einer alle menschlichen Maßstäbe übersteigenden Kraft darstellt, werden die Snyder-Filme zu Behältnissen für die Superkräfte zeitgenössischer Digitalbildproduktion. Das heißt, sie sind nicht die Kräfte selbst, sondern experimentelle Anordnungen, die den Versuch unternehmen, prinzipiell weltverändernde Kräfte doch wieder in den (generischen, narrativen) Grenzen eines einzelnen Films dingfest zu machen.
In diesem Sinne sind 300 und Watchmen in ihrer Ambition, ein anderes Medium mithilfe digitaler Technik eins zu eins, beziehungsweise Comicpanel für Comicpanel, in Bewegtbilder zu übersetzen, noch unfertige Vorstufen des Snyder-Kinos, eben weil das Digitale doch wieder auf eine bloß unterstützende Funktion reduziert wird. Die Justice Trilogy hingegen hebt sich von der Blockbusterkonkurrenz unter anderem dadurch ab, dass die Filme, insbesondere Man of Steel und Justice League, den Versuch unternehmen, das Digitale ‹direkt› zu repräsentieren: als Bildelement.
Die Mittel, die sie dafür wählen, wirken zunächst anachronistisch: Das binäre Prinzip der totalen Formbarkeit manifestiert sich als quecksilberähnliche Flüssigkeit, die vor sich hin wabert und diverse Gestalten annehmen kann. Eine filmhistorisch geläufige Ikonografie ist das, die erstmals von Terminator 2 (1991) perfekt ins Bild gesetzt worden war und seither unermüdlich variiert wird – am eindrücklichsten oder zumindest affektpolitisch monumentalsten vielleicht in der Birth of Sandman-Szene aus Spider-Man 3 (2007). Die weltverändernde Macht der Digitalisierung wird in solchen Szenen einerseits anerkannt, andererseits im stets leicht trashigen Fantasma einer doch wieder handfesten ‹Digitalmasse› gleich wieder gebändigt. Für Snyder jedoch ist die Digitalmasse nur der Ausgangspunkt, von dem aus sich eine Dynamik der Überschreitung entfalten lässt.
Superman seinerseits wird, im ziemlich wahnwitzigen Prolog von Man of Steel, direkt aus dem derart rematerialisierten, beziehungsweise pulpifizierten Digitalen geboren. Wir sehen, im ersten Bild des Films, das schmerzverzerrte Gesicht einer Frau. Es folgt ein Schnitt auf eine Art erweiterte Ultraschallapparatur, in der die erwähnte Digitalmasse wabert und die das Wesen, das sich noch im Geburtskanal der Frau befindet, präfiguriert (oder vielleicht erst hervorbringt?). Ein Superembryo, das im weiteren Verlauf zu Henry Cavill heranwächst und den Fluch seiner digitalen Genese nicht mehr los wird. Nicht in Man of Steel, einem Film, der von seiner Hauptfigur regelrecht besessen ist und gleichzeitig kein bisschen Interesse daran zeigt, eine herkömmliche «origin story» zu entwerfen (besonders deutlich in den Kindheitsszenen in Kansas: Superman kennt keinen Ursprung, keine Unschuld; wo er ist, ist immer schon Oz); nicht in Batman v Superman, dem nicht rundum gelungenen Mittelteil der Trilogie, in dem sich Superman lange einem von Ben Afflecks Batman verkörperten technokratischen Begriff von Heldentum unterordnen muss, bevor er, unterstützt von Gal Gadots Wonder Woman, Snyders zweitbester Schöpfung, doch wieder die Kräfte des Codes entfesseln darf; und erst recht nicht in Justice League, dessen nun vorliegende integrale Fassung komplett um die deutlich religiös konnotierte Wiederauferstehung des Kryptonianers herum konstruiert ist.
Die beiden zusätzlichen Stunden Laufzeit, die die aktuelle Version dem Whedon Cut voraus hat, nutzt Snyder keineswegs dafür, seine Figuren lebensweltlich und psychologisch auszuleuchten. Vielmehr geht es darum, ihren Superheldenkräften endlich jene große Bühne zur Verfügung zu stellen, die ihnen der Theatrical Cut verweigert hatte. Es geht, mit anderen Worten, um Ausdruck, aber um eine Form des Ausdrucks, die gerade nicht, oder höchstens akzidentiell, Selbstausdruck ist. Nicht nur Superman, sondern allen Mitgliedern der Justice League (mit Ausnahme von Batman, der höchstens als sardonisches, melancholisches Selbstporträt Snyders Sinn ergibt: ein ehrgeiziger Impresario der digitalen Superkräfte, der seinerseits hoffnungslos den Begrenzungen des Analog-Irdischen verhaftet bleibt) erscheint ihre individualbiografische Prägung als ein Ballast, den sie bei erster Gelegenheit und so rückstandslos wie möglich von sich abschütteln.
In Justice League ist die digitalste Figur der Bösewicht. Genauer gesagt schaut dieser Steppenwolf aus wie ein Komposit zweier unterschiedlicher Aggregatzustände des Digitalen: ein amorpher, visuell stumpfer, fast eigenschaftsloser Kern, umgeben von einer glitzernden, dynamischen, beständig morphenden Rüstung. Das Spektakel unendlicher Formbarkeit tarnt den kalten Schrecken des entseelten Codes. Das ist der Feind. Gegen ihn positioniert sich die Justice League nicht als eine Schutzmacht des heimeligen Analogen, sondern als eine Utopie der vielstimmigen Verkörperbarkeit des Digitalen – und damit auch: der Fortsetzbarkeit von Kino.
Army of the Dead (Netflix) und Zack Snyder’s Justice League (HBO Max/Sky) sind im Frühjahr 2021 veröffentlich worden