medienwissenschaft

Digitale Männerphantasien Über Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus von Simon Strick

Von Roland Meyer

Wohl nur selten wurde eine krude Strichzeichnung mit so viel Empathie beschrieben: «Perfekt» fingen die wenigen Linien den Ausdruck eines jungen Mannes ein, der «ehrlich» genug sei, seine «emotionale Ohnmacht» zu erkennen, aber zugleich unfähig, dagegen anzukämpfen. «Sanftmut und Wärme» vermittle dieses Gesicht, und doch sei da «kein Licht in seinen Augen, kein Feuer in seiner Seele». Die Rede ist vom «Feels Guy», auch bekannt als «Wojak», jenem Internet-Meme, das sich seit etwa 2010 ausgehend von Imageboards wie 4Chan im Netz verbreitete.

Eben dort fand sich auch diese einfühlsame Beschreibung eines anonymen Autors, der blumig formulierte, was den alterslosen Glatzkopf mit den traurigen Knopfaugen für viele adoleszente männliche User zur Identifikationsfigur machte. Wojak verkörperte für sie «that feel when», das Gefühl, ohne Freundin, ohne soziale Anerkennung und ohne Zukunftsaussichten zu sein, und er spendete zugleich Trost: «I know that feel bro».

In einschlägigen Foren bildeten sich anonyme Kommunikationsgemeinschaften, denen die zeichnerisch ungelenke wie visuell eingängige Cartoonfigur ein Vehikel zur Artikulation ihrer sozialen Isolation und sexuellen Frustration lieferte. Dort tauschte man nicht nur immer neue Variationen des Memes und in Kurzgeschichten verewigte Erfahrungen sozialer Kränkung aus, man gab sich vor allem gegenseitig emotionalen Halt – und erging sich dabei in Rachephantasien und Frauenverachtung.

«White male safe spaces» nennt der Genderforscher und Medienwissenschaftler Simon Strick diese Online-Communities, die ihr Ziel in der «kämpferischen Verteidigung des Mannes als fühlendes Wesen» gefunden hätten. Wojak und das digitale Affektarchiv verunsicherter Männlichkeit, das um ihn herum entstand, stehen im Fokus einer der 15 «Screenshots» genannten Vignetten, die den Hauptteil von Stricks umfangreicher Studie über Rechte Gefühle bilden. Andere Einzelanalysen widmen sich etwa weinenden Nazis auf Youtube, dem inszenierten Beziehungsalltag identitärer Influencer*innen oder der Gamifizierung des Faschismus in Gestalt der QAnon-Verschwörungsmythologie.

Der vermeintlich unpolitisch erscheinende Feels Guy passt nicht zuletzt deswegen in diese Reihe, weil er sich, ähnlich wie «Pepe the Frog», zur ikonischen Figur der Incel- und Alt-Right-Bewegung entwickelt hat. In zunehmend extremeren Varianten des Memes wandelte er sich vom «emotionalen Loser» zum «Gefühlsfaschisten», der sich in seiner exklusiv weißen, männlichen Innerlichkeit von Feminist*innen, Antirassist*innen und Linken bedroht sah und zu aggressiven Abwehrmaßnahmen griff: Sei es, dass Wojak in die Uniform eines GIs schlüpfte, um sein Recht auf Gefühle mit Waffengewalt zu verteidigen («born to feel»), sei es, dass er als Alter Ego Hitlers auf einem umgestalteten Cover von Mein Kampf auftauchte: «Mein Fühl». Der scheinbar unpolitische Trost, den jene, die sich gescheitert und unverstanden fühlten, in Wojak suchten, wurde so sukzessive radikalisiert und ideologisch vereindeutigt: Die Alt-Right fühlt mit dir, Bro.

An Beispielen wie diesen kann Strick eines der zentralen Argumente seines Buchs illustrieren: Der digitale Faschismus ist deshalb so erfolgreich, weil er virtuelle «Gefühlsgemeinschaften» stiftet, die sozial isolierten wie digital vernetzten spätkapitalistischen Subjekten Halt und Orientierung versprechen.

«Rechte Gefühle», das wird am Feels Guy deutlich, beschränken sich dabei keinesfalls auf Hass, Angst und Zorn. Denn so hasserfüllt und angstbesetzt viele der Narrative der «alternativen Rechten» sind, vom «Großen Austausch» bis zum «Gendergaga» – ihr «Gefühlskern», so Strick, liege woanders, nämlich in einer «Stimmung, an der man partizipieren kann, wenn man sich unwohl oder bedrängt fühlt». Entscheidend für diese Stimmungsangebote ist ihre ideologische Niedrigschwelligkeit: Sie bieten sich als affektive Deutungsmuster für alltägliche Mikroerlebnisse der Kränkung und Zurückweisung an.

Social-Media-Plattformen spielen dabei eine entscheidende Rolle als Foren, in denen solche Erfahrungen abgeschöpft, aufbereitet, verdichtet und kollektiv gedeutet werden. Vor jeder Radikalisierung, so argumentiert Strick mit der Affektforscherin Kathleen Stewart, steht der Wunsch nach Orientierung in einer überwältigenden Fülle von Alltagsaffekten. Aus performativ vor Publikum entworfenen «Alltagsskizzen» formieren sich dann schließlich ganze «Weltbilder». Und genau hier setze die «Metapolitik» der alternativen Rechten höchst effektiv an: Sie versorge (vor allem, aber nicht nur) weiße, männliche Subjekte mit «Skripten, Formeln, Wünschen und Neigungen», die ihre Alltagserfahrungen vorstrukturieren, ihnen eine Vorstellung von sich selbst und ihrem Platz in der Welt bieten – einen Platz jedoch, so die Botschaft, den ihnen andere wegzunehmen drohen und den es daher zu verteidigen gelte.

Neu an dieser Botschaft, so beschreibt es Strick im methodischen ersten Teil des Buchs, ist ein affektiver wie strategischer Registerwechsel: An die Stelle der ideologischen Großerzählungen und kollektiven Überlegenheitsphantasmen älterer Faschismen träten individualisierte «Mikrodiskurse der Selbstverteidigung», die sich selbst als dissident, ja antitotalitär verstünden. Der «reflexive Faschismus», wie Strick ihn nennt, ist dabei wesentlich ein «Faschismus von unten», der gut ohne charismatische Führerfiguren auskommt.

Worauf er allerdings angewiesen ist, das ist ein diskursives Gegenüber, das er zur übermächtigen Bedrohung aufblasen kann. Er ist mithin reflexiv nicht zuletzt insofern, als er jene Diskurse des Antifaschismus, Antirassismus und der Diskriminierungskritik voraussetzt und antizipiert, gegenüber denen er sich als widerständig inszenieren kann. Und dies tut er, wie Strick an einer Fülle von Beispielen zeigen kann, mit großer Professionalität und strategischer Präzision.

«It’s ok to be white» – bloß dieser kurze Satz stand auf den Postern, die plötzlich an mehreren nordamerikanischen Universitäten nach der Halloweennacht 2017 auftauchten. Die Reaktionen verliefen nur allzu erwartbar. Es gab Proteste, Entfernungsaktionen, sogar strafrechtliche Ermittlungen, und während die meisten US-Sender die Aktion mit der Alt-Right in Verbindung brachten, warf Fox-Rechtsaußen Tucker Carlson all jenen, die die Poster etwa per Twitter-Hashtag als #HateCrime bezeichneten, nun ihrerseits «anti-weißen Rassismus» vor: Offenbar glaubten die liberals tatsächlich, dass es nicht «okay» sei, weiß zu sein. Waren sie nicht die wahren Rassisten?

All diese Reaktionen folgten präzise einem zuvor formulierten Skript, auf dem die ganze Aktion basierte. Deren Ziel, so hieß es in dem anonym auf 4Chan geposteten «Gameplan», sei nämlich der «maximale Kontrast» zwischen der erwartbaren Aufregung und der wohlkalkulierten Scheinharmlosigkeit des Slogans. Für Strick eine exemplarische «klimatische Operation» der alternativen Rechten – der Versuch, diskursive «Wetterzonen» performativ herzustellen, in denen sich gesellschaftliche Mehrheiten als diskriminierte Minderheiten fühlen können. Und dieser Versuch nimmt die Form eines Spiels an, in dem die Züge des Gegners immer schon Teil der eigenen Strategie sind.

Indem sie es Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft erlaubt, ihre hegemoniale «Normalität» als bedroht zu erfahren (und damit zugleich diese gesellschaftliche Normalität immer weiter diskursiv verschiebt), bietet die «alternative Rechte» nicht zuletzt auch Formeln und Narrative, mit den Frustrationserfahrungen eines entgrenzten neoliberalen Wettbewerbs umzugehen.

Doch zielen diese keineswegs auf eine Alternative zu diesem Wettbewerb. Das zeigt das Beispiel des ehemaligen Google-Programmierers James Damore, der in einem antifeministischen Memo die Corporate-Diversity-Politik des Unternehmens als «ideologische Echokammer» attackierte, dafür gefeuert wurde und rasch zum Märtyrer der Alt-Right avancierte.

Der Fall demonstriert für Strick, dass die rechten Gefährdungsnarrative mittlerweile «intersektional» geworden sind: Damore fühlte sich als weißer, «konservativer» Mann von seinem Arbeitgeber gleich mehrfach diskriminiert und sah in den Antidiskriminierungsmaßnahmen des Unternehmens eine Verzerrung des «freien Wettbewerbs». Letztlich, so verstand er es zumindest selbst, zielte sein Protest darauf, ein «inklusiveres» Arbeitsumfeld für Menschen wie ihn selbst zu schaffen – ein Umfeld, in dem man angstfrei Frauen die Fähigkeit zum Programmieren absprechen kann. Und nicht zuletzt waren seine sexistischen Ausführungen von der Sorge um den Unternehmenserfolg getrieben: «Alienating conservatives is both non-inclusive and generally bad for business.»

Rechte Gefühle ist ein im besten Sinne undiszipliniertes Buch. Wie eines seiner Vorbilder, Klaus Theweleits Männerphantasien, lebt es vor allem von der ebenso wilden wie genauen Lektüre seines Materials. Die eingängigen Begriffsbildungen, die Strick dabei entwickelt, von den «dissidentischen Gefühlslandschaften» bis zum «Rassismus als Selbsthilfe», fügen sich vielleicht weniger zu einem kohärenten Erklärungsmodell, als dass sie sich als Werkzeuge anbieten, um Phänomene in den Blick zu bekommen, Sondierungen vorzunehmen und Dynamiken freizulegen.

Seine theoretisch schärfsten Passagen gelingen Strick, wo er seinen methodischen Gegner attackiert: soziologische Großerklärungsversuche, die die vermeintlichen Marginalisierungserfahrungen großer Teile der Mehrheitsbevölkerung als empirisches Faktum nehmen – statt danach zu fragen, wie diese Erfahrungen hergestellt werden, wie sich in ihnen subjektive Alltagsaffekte emotional verdichten, ideologisch verhärten und zu Welterklärungsmodellen zusammensetzen.

Wer also, wie Cornelia Koppetsch und andere, den «Rechtspopulismus» als bloßen Reflex auf vermeintliche soziale Verwerfungen erklärt, sei, so Strick, der affektiven Realitätskonstruktion der alternativen Rechten schon auf den Leim gegangen: «Der reflexive Faschismus spricht nicht nur über das gesellschaftliche Wetter oder ist Symptom ‹unserer› Widersprüche. Er macht das Wetter, … [e]r baut selbst die Widersprüche, für die er Symptom sein soll.»

Man sollte die Akteur*innen der alternativen Rechten also ernster nehmen, als es generalisierende Sozialdiagnosen tun, genauer hinschauen und zuhören, wovon ihre Weltentwürfe und Gefühlsangebote handeln und was sie versprechen.

Keinesfalls darf man dabei all die Memes, Videos, Statements und Slogans als Ausdruck authentischer Erfahrungen missverstehen. Vielmehr, so die zentrale Lektion von Rechte Gefühle, müssen wir lernen, sie als Bauelemente strategisch konstruierter «Gefühlskraftwerke» zu entziffern. Das ist ein dezidiert kulturwissenschaftliches Programm, und eines, das gerade keine objektive Distanz zum Gegenstand beansprucht. Strick schreibt explizit in der ersten Person, nämlich als jemand, dessen eigene akademische Position als rassismuskritischer Genderforscher im Fadenkreuz des rechten Kulturkampfs steht. Und der sich täglich damit konfrontiert sieht, wie weit dieser Kulturkampf mittlerweile bereits bestimmt, was als gesellschaftliche Normalität gelten kann. Die theoretische wie analytische Leidenschaft, die sich dadurch freisetzt, vermittelt sich auf jeder Seite dieses wichtigen Buches. Wer die gegenwärtige Rechte und ihr digitales «emotioneering» verstehen will, kommt um seine Lektüre nicht herum.

 

Simon Strick: Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus (transcript 2021)