Netz und Nebel Über die Ausstellung Nebel Leben von Fujiko Nakaya und Yuriko Furuhatas Buch Climatic Media. Transpacific Experiments in Atmospheric Control
In einer großformatigen Videoinstallation ist eine Spinne dabei zu betrachten, wie sie ihr Netz webt. Die Arbeit ist assoziativer Prolog der Ausstellung Nebel Leben zum Werk von Fujiko Nakaya im Münchener Haus der Kunst. Das Netz ist Technologie der Natur und ebenso stabil, wie es schwer zu greifen ist. Es dient als Metapher für menschengemachte, materielle und immaterielle Netzwerke. Der 1973 auf Video festgehaltene Webvorgang reflektiert die Differenz zwischen der Dauer eines natürlichen Vorgangs und der Kapazität menschlicher Aufmerksamkeit, die durch die im Vergleich zum Film höhere Aufzeichnungskapazität des Mediums Video in ein neues Verhältnis gesetzt werden. Das Magnetband hat synthetisierendes Potential und zeigt, dass technische Distanzierung von der und mediale Wiederannäherung an ‹die Natur› Teile eines heterogenen Prozesses sind.
Aufmerksamkeit und Dauer, Material und Medium, Natur und Technologie sind Begriffe, zwischen denen die Ausstellung Fujiko Nakayas Praxis situiert. Seit Beginn der 1970er-Jahre arbeitet die 1933 in Sapporo geborene Künstlerin bei der Erforschung dieser Zwischenräume hauptsächlich mit künstlich hergestelltem Nebel. Ein heterogenes Material, in dem sich zwei Aggregatzustände – flüssig und gasförmig – und zwei Elemente – kondensierendes Wasser mit Staub-, Salz-, Rußpartikeln oder ionisierten Gasmolekülen als Kondensationskern – miteinander verbunden haben. Der Dreck der Existenz ist Voraussetzung auch für den reinsten weißen Nebel. Mit dem Anwachsen der Dreckmenge in der Industrialisierung wird der fog zum potentiell lebensbedrohlichen smog. Im Nebel finden Faszination der Naturbeobachtung und Schrecken der menschengemachten Transformation von Umwelten und Atmosphären als Dialektik menschlichen Lebens auf der Erde zusammen. Insofern ist das zunächst eher einfallslos wirkende Palindrom des Ausstellungstitels ziemlich gehaltvoll.
Hinter dem Spinnennetz ist im zentralen Ausstellungsraum die Boden- zur Wasserfläche geworden, über der Holzlatten zur Begehung montiert sind. In einer offenen Wasserfläche im Zentrum ist ein Metallgestell installiert, auf dem drei Rohre mit kleinen Düsen verlaufen, aus denen in regelmäßigen Intervallen zischend das Wasser in kleinste Tröpfchen zerstäubt wird. Eine Nebelwolke steigt auf, breitet sich in die Länge des Raums aus, sinkt ab und steigt an den Enden wieder auf. Mit wachsender Dichte des Nebels werden die Bewegungen vorsichtiger. Wie bei Michel Serres’ Eindrücken aus der Erbsensuppe werden andere Körper zu Phantomnachbarn und die eigenen Extremitäten zu Phantomgliedern. Im Nebel, schreibt Serres, gehen Distanzen, Maße und Identitäten verloren, alles wird variabel. Die Ungewissheit und Unheimlichkeit, die der Verlust von visuellen Zusammenhängen mit sich bringt, bleibt bei Nakaya zeitlich und räumlich begrenzt und damit spielerisch. Kinder haben besonders viel Spaß an der Unmittelbarkeit der kollektiven Vereinzelung und Desorientierung.
Gleichzeitig macht Nebel nicht nur unsichtbar, sondern vermittelt auch das Unsichtbare; für Serres ähnelt Nebel dem Medium und den Objekten, ist Schleier und Verschleiertes zugleich. In seiner Vernebelung wird die Funktion des Kunstraums wahrnehmbar. Darin vermittelt sich der Nebel durch die ihm kulturell eingeschriebenen malerischen Aspekte als ein Bild, das keine distanzierte Betrachtungsposition zulässt, weil es sich bewegt, seine Betrachtenden umhüllt und integriert. Auch die Bewegung der Luft, für die in Pandemiezeiten besonders sensibilisiert wurde und die sich dem Sinnesapparat doch weitgehend entzieht, wird durch Nebel sichtbar. Insofern ist Nebel Medium der Visualisierung und zugleich Medium der Reflexion von Visualität. Man könnte ihn als Metamedium bezeichnen, das andere Medienfunktionen befragen kann, beispielsweise wenn im Nachbarraum, in dem Videodokumentationen von Nakayas Nebelskulpturen an anderen Orten gezeigt werden, die weißen Nebelschleier die Belichtungsspielräume der verwendeten Videokameras überfordern und die Bilder ausbrennen lassen.
Auf der Ostseite des Gebäudes führen offene Türen auf eine Terrasse. Nebel fällt von der Dachtraufe und verwischt die Grenzen von Architektur, Körper und der kultivierten Natur des angrenzenden Englischen Gartens. Je nach Windrichtung zieht er in Richtung Straße oder in Richtung des Gartens ab, wo auf der Eisbachwelle Surfer:innen ihr eigenes Spiel der Körper in Auseinandersetzung mit natürlichen Elementen und menschlichen Beobachter:innen aufführen. Im Begleitmaterial zur Ausstellung wird die lange Recherche Nakayas zu den meteorologischen und geografischen Bedingungen an den Installationsorten ihrer Nebelskulpturen herausgestellt, die sie mit der wissenschaftlichen und wissensvermittelnden Arbeit ihres Vaters Ukichiro verbindet. Ukichiro Nakaya erforscht in den 1930er-Jahren Schneekristalle und gilt als Erfinder des Kunstschnees. Bereits zu dieser Zeit macht er Lehrfilme und gründet 1950 Iwanami Productions mit, eine Filmproduktionsfirma, die Auftragsfilme für Regierung, Industrie und Lehrzwecke herstellt, und deren Regisseur:innen teils zu zentralen Figuren der japanischen Nachkriegs-Filmavantgarde und des politischen Dokumentarfilms werden (siehe cargo 44). In einem Raum im Obergeschoss wird eine Auswahl von Iwanami-Produktionen gezeigt, die gemeinsam mit ausgewählten Artefakten der wissenschaftlichen Arbeit des Vaters teils enge, teils lose Bezüge zum Zusammenhang von Beobachtung und experimenteller Synthese in Fujiko Nakayas künstlerischen Arbeiten herstellen.
In einem der konzentrisch um den zentralen Ausstellungsraum angeordneten Räume im Erdgeschoss deuten Textfelder mit kurzen Abrissen von Biografie, Kunst-, Technik- und politischer Geschichte an den Wänden ein Netzwerk von Inspirationen, Kooperationen und möglichen Fernwirkungen zwischen Japan, den USA und Europa an. Leben eben: Alles hängt potentiell mit allem zusammen. Die Assoziationen, die sich daraus ergeben, sind so schillernd wie die silbernen Isobarenlinien im Hintergrund der Textfelder, die einen kaum kontrollierbaren Austausch von Luftmassen durch Druckunterschiede andeuten. Dabei wird die Ornamentik des forecast zur Grundlage eines recast, der die Wahl von Nebel als künstlerisches Material retrospektiv als so schlüssig erscheinen lässt wie die Windrichtung von gestern. Bei einem Symposium zu Fujiko Nakayas «Multiversum» (so haben die Kurator:innen auch die Anordnung der Textfelder in der Ausstellung benannt) bemerkt die Medienwissenschaftlerin Mi You sinngemäß, dass das Netzwerk nicht der Endpunkt einer Analyse sein könne, sondern ihr Ausgangspunkt sein müsse. Denn die Idee des Netzwerkes verunklare Verantwortlichkeiten und lasse sie diffundieren. Insofern müsse man der Relationalität auch etwas entgegensetzen, um über sie hinaus handeln zu können. Mi Yous Feststellung war keine versteckte Kritik an der Vermittlungsperspektive der Ausstellung, sie ist in einem anderen Kontext getroffen worden. Doch bleiben in der durch meteorologische Metaphern angedeuteten Großwetterlage Wirkungszusammenhänge innerhalb des bio-geografischen Netzwerks konturlos, zumal die vom künstlerischen Leiter Andrea Lissoni betonten «transnational exchanges in a post-war landscape» mögliche Kontinuitäten von Vorkrieg und Krieg weitgehend auslassen. Geopolitik wird dabei zum atmosphärischen Hintergrund künstlerischer Praxis reduziert.
Climatic Media – Atmosphärische Geopolitik
Die Film- und Medienwissenschaftlerin Yuriko Furuhata dreht dieses Verhältnis um und erforscht in ihrem Buch Climatic Media. Transpacific Experiments in Atmospheric Control (Duke University Press 2022) Atmosphäre als Gegenstand von Geopolitik. Transpazifische Netzwerke zwischen Japan und Nordamerika sind dabei nicht Ergebnis, sondern Grundlage einer genealogischen Untersuchung konkreter Praktiken der Kontrolle atmosphärischer und sozialer Mikro- und Makroklimata. Im ersten Kapitel ihrer Studie stellt Furuhata die Verbindung zwischen den Nebelskulpturen von Fujiko Nakaya und der wissenschaftlichen Forschung ihres Vaters in diesen Kontext der «atmosphärischen Kontrolle». Dabei identifiziert sie zwei Abstammungslinien der Nebelskulptur. Einerseits die Visualisierung atmosphärischer Phänomene durch Nebel oder Rauch (z. B. in der Wolkenkammer) und ihre künstlerische Applikation (von den Wolkenprojektionen des 19. Jahrhunderts bis Anthony McCalls Line Describing a Cone). Andererseits die Manipulation der Atmosphäre durch die Beeinflussung meteorologischer Phänomene wie Nebel, Schnee, Regen.
Mit Peter Sloterdijks Idee, der Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg habe eine «Explikation» der bis dahin im Hintergrund des kulturellen Bewusstseins befindlichen Atmosphäre forciert, indem Atmen zum Risiko und eine zunehmend militarisierte Atmosphäre zum Medium des Todes wird, verlagert Furuhata den Schwerpunkt der Kontextualisierung von Nakayas Nebelkunst. Techniken der Nebelauflösung, die der Navigierbarkeit von Flugzeugen und Schiffen dienen, sind im militärischen Kontext entwickelt worden. Ihnen voraus geht seine Herstellung im Labor – die wiederum militärischen Anwendungen ein Mittel der Camouflage zur Verfügung stellt. Furuhata fügt Nakayas Arbeit so in eine Genealogie der Explikation der Atmosphäre ein, die heterogene Experimente von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Architekt:innen und Ingenieur:innen miteinander verbindet.
Dabei fügt sie der Einflussgeschichte zwischen Vater und Tochter eine Komponente hinzu. Nach einigen anderen kriegsrelevanten Projekten, bei denen er seine Expertise mit Schnee und Eis einbringen konnte, arbeitet Ukichiro Nakaya ab Juni 1944 an der fotografischen und filmischen Beobachtung von Nebel. Auf deren Grundlage soll eine mobile Nebelauflösungseinheit für die japanischen Streitkräfte entwickelt werden.
Anhand von Fujiko Nakayas Planungen für ihre erste Nebelskulptur auf der EXPO 70 in Osaka hält Furuhata eine direkte Kontinuität fest: Zwei der Wissenschaftler, die Nakaya beraten, sind ehemalige Studierende ihres Vaters, die während des Krieges am Projekt zur Nebelauflösung beteiligt waren. Die Kontinuität der wissenschaftlichen Arbeit von Ukichiro Nakaya nach Kriegsende mit Forschungsgeldern aus den USA und später auch am Snow, Ice, and Permafrost Research Establishment, das 1949 von Ingenieuren der US Army gegründet worden war, steht bei Furuhata beispielhaft für die geopolitische Reorientierung Japans als engste Partnerin der USA im Kalten Krieg.
Vor dieser transpazifischen Folie betrachtet sie die Entwicklung von Fujiko Nakayas Vernebelung des Pepsi Pavillon auf der EXPO 70. Der Pavillon wird von US-amerikanischen und japanischen Mitgliedern der Gruppe Experiments in Art and Technology bespielt, die wenige Jahre zuvor von Ingenieur:innen der Bell Telephone Laboratories und Künstler:innen in den USA gegründet wurde.
Auch technologisch lässt sich die Verbindung nachverfolgen. Nakaya entscheidet sich nach ausgiebigen Recherchen gegen chemische Substanzen und für reines Wasser als Nebelmaterial. Die dafür notwendige technische Lösung, mit der Wasser in feinste Tröpfchen zerstäubt werden kann, findet sie in Kalifornien beim Ingenieur Thomas Mee, dessen Firma Mee Industries Wasservernebler für Industrie und Landwirtschaft herstellt.
Für Furuhata ist der Realisierungszeitpunkt von Nakayas erster Nebelskulptur kein Zufall, seien doch die negativen Auswirkungen von Wettermanipulationen allmählich deutlich geworden – und man könnte hinzufügen, dass das auch der Zeitpunkt ist, zu dem die Proteste in Japan gegen die transpazifische Bindung an die USA und die Verwicklung Japans in den Krieg in Vietnam (vielleicht das Versuchsfeld militarisierter atmosphärischer Kontrolle schlechthin) am lautesten werden.
Die EXPO 70 wird so zum Ort und Zeitpunkt der Verdichtung für Furuhatas genealogische Methode. Hier verschränken sich die Praktiken der Akteur:innen aus den einzelnen Kapiteln des Buches in einem «social laboratory where various technological experiments with airconditioning, climate engineering, networked computing, ambient surveillance, and crowd control were executed.»
Zugleich ist die EXPO so etwas wie der showroom für den Phönix-aus-der-Asche-Mythos Nachkriegsjapans, der Kontinuitäten aus der Kriegs- und Vorkriegszeit unter einer Fülle technologischer Neuentwicklungen verschüttet. Furuhata spürt sie auf, stellt Verbindungen her zwischen biomorphen Staatsvorstellungen von aus Deutschland adaptierten Geopolitikkonzepten und dem japanischen Faschismus, den kolonialen Wurzeln des Tange Lab, computergestützter Simulation und Techniken der Klimatisierung, den bio- und geopolitischen Implikationen kybernetischer Umwelten, die Tange und die Metabolisten auf der EXPO realisierten, oder dem Einsatz von Tränengas und vernetzten Überwachungstechnologien als Instrumente der Kontrolle sozialer Mikroklimata außerhalb des Ausstellungsgeländes.
In ähnlicher Weise verfolgt Furuhata die technologische Genealogie von Nakayas Nebel in die Gegenwart weiter: Mittlerweile dienen die Wasservernebler von Mee Industries auch zur Kühlung von Rechenzentren, unter anderem wird das MeeFog-System von Facebook/Meta eingesetzt. Die künstliche Nebelwolke dient direkt dem Erhalt der metaphorischen Datenwolke. Damit partizipiert Nakayas Nebelpraxis nicht nur an Wasserzyklen, transpazifischen und -historischen Austauschbewegungen von Wissen und Technologie, sondern auch an Dateninfrastrukturen und den mit ihnen verbundenen geopolitischen Interessen, ihrem massiven Ressourcenverbrauch und den daraus resultierenden Klimaveränderungen.
An dieser Stelle zu bemerken, dass die Besucher:innen der Münchener Ausstellung, die mit ihren Kameratelefonen versuchen den Nebel festzuhalten, in diese Strukturen und Kreisläufe impliziert sind, führt direkt in die von Mi You ausgemachte Relationalitätsfalle. Auch Yuriko Furuhata tappt gelegentlich hinein: Ausgehend von der Medialität der Nebelskulptur entwirft sie in ihrem Buch einen umfassenden Medienbegriff, in dem technische und künstlerische Medien, räumlich-environmentale Milieus und «elemental media» (John Durham Peters) zusammenfinden sollen.
Im schlechtesten Fall dienen Medien- wie Netzwerkbegriffe dazu, höchst heterogene Materialien zu absorbieren und als Teile von nur schwer greifbaren und begrenzbaren Ordnungen zu verhandeln. Die titelgebenden climatic media mögen die medienwissenschaftliche Relevanz von Furuhatas Buch erhöhen, doch die theoretischen Exkurse, mit denen sie ihr Material überfrachtet, hüllen ihre hellsichtigen Analysen zu den geopolitischen Kontexten künstlerischer und anderer Praktiken gelegentlich selbst in begriffliche Nebelwolken.
Nebel Leben war bis Ende Juli 2022 im Haus der Kunst in München zu sehen | Climatic Media. Transpacific Experiments in Atmospheric Control ist im März 2022 bei Duke University Press erschienen