der demokratische wald

Der demokratische See

Von Ludger Blanke

© Ludger Blanke

 

Im Süden der Seenplatte, die sich in Berlin vom nördlichen Charlottenburg bis hinunter nach fast Dreilinden zieht, befindet sich der Schlachtensee. Der Name bezieht sich nicht auf kriegerische Auseinandersetzungen, die an seinen Ufern stattgefunden haben könnten, sondern auf ein Pfahldorf (niedermitteldeutsch: .Slaht., Pfahlwerk), das sich vor langer Zeit an ihm befunden haben soll. Der See ist entstanden, als sich die letzte, die sogenannte Weichsel-Eiszeit, vor 15 000 Jahren zurückzog und das abfließende glaziale
Schmelzwasser eine Rinne bildete, als deren letzte Pfützen diese Seen betrachtet werden können.

Man könnte also auf die Idee kommen, das Wasser des Schlachtensees sei deshalb so klar und habe deshalb eine so gute Qualität, weil es sich im Grunde noch um Gletscherwasser handele. Aber in Wirklichkeit wird der See seit einiger Zeit über eine aufwendige Rohranlage mit Wasser aus der nahegelegenen Havel aufgefüllt, das vorher durch eine Kläranlage gelaufen ist. Wie auch immer, CNN nahm vor ein paar Jahren den Schlachtensee in eine Liste der zehn besten Orte auf der Welt zum Schwimmen auf – wegen des tollen Wassers, aber besonders auch, weil er sich beinahe mitten in der Stadt befindet und über die S-Bahn in kurzer Zeit aus den Innenstadtbezirken zu erreichen ist. Ein Bahnhof befindet sich kaum hundert Meter von seinen Ufern entfernt. Man steigt aus der Bahn, läuft hinunter zum Wasser, sucht sich einen Platz, entledigt sich seiner Klamotten und springt in den See.

In diesem Sommer, weil ich den Beschluss gefasst hatte, ihn in der Stadt zuzubringen – was ich bis auf ein Wochenende zur Recherche auf Sylt und einer Woche auf Korsika, zu der mich spontan ein Freund eingeladen hatte, auch in die Tat umsetzte – legte ich mir ein Sup-Board zu, mit dem ich mich an den freien Tagen auf den Flüssen und Seen in und rund um Berlin herumtreiben wollte. Der Ort, an dem ich das dann am häufigsten tat, war der Schlachtensee.

An den heißen Tagen dieses Sommers und an den Wochenenden hatte ich den Eindruck, halb Berlin, jedenfalls der Teil der Einwohner der Stadt, der sich nicht zur gleichen Zeit am Mittelmeer befand, sei mit mir an diesem See unterwegs, lagere im Schatten unter den Kiefern und auf den Lichtungen des umgebenden Parks und an den vielen kleinen Strandöffnungen. Schwamm, tobte herum, vergnügte sich in Schlauchbooten, auf Luftmatratzen, in Ruderbooten und auf Boards auf dem Wasser. Picknickte, unterhielt und feierte sich auf spanisch, englisch, türkisch, französisch, deutsch und arabisch. Ließ sich von den Ästen der überhängenden Bäume ins Wasser fallen. Mir kam es wie ein Wunder vor, dass das ging, jeder den anderen zu achten schien, dass das alles funktionierte, ohne dass es zu Konflikten kam. Es gab ein paar Parkläufer, Studenten, die für knapp überm Mindestlohn vom Bezirk engagiert waren, aber das Ordnungsamt, die Bademeister, die Naturschutzbehörden, der Kontroll- und Regulierungsapparat dieser Gesellschaft machte Ferien. Die Gesellschaft fand sich zusammen und ihr Glück auch ohne sie.

 

© Ludger Blanke