Wechseljahre
Vor ein paar Jahren betitelte ich einen Blogbeitrag über eine öffentliche Diskussion von Klimaforschern, zu der auch ein Skeptiker eingeladen war, mit «Männer im Klimakterium». Man hatte es nicht für nötig gehalten, eine Frau einzuladen und gefiel sich darin, Alarmisten lächerlich (also weiblich) zu machen. Saubere Wissenschaft und technologischer Fortschritt werden das Ding schon schaukeln, so der Konsens. Hinterher kritisierte mich einer der Betroffenen, wo denn der Erkenntnisgewinn meiner Überschrift sei. Not funny, so das Urteil.
Diese Episode fiel mir anlässlich der 4. Staffel von Borgen wieder ein, wo Birgitte Nyborg als Außenministerin zurückkehrt und sogleich mit Ölbohrungen in Grönland konfrontiert wird. Dänemark ist auf dem Weg ins postfossile Zeitalter, Klimapolitik ist weibliche Machtpolitik. Während die Gletscher in Grönland schmelzen, kommt Birgitte Nyborg in die Wechseljahre, ist abwechselnd müde, friert oder hat Schweißausbrüche. Der Klimawandel vollzieht sich auf allen Ebenen, er verursacht geopolitische Konflikte, bestimmt die Identitätspolitik der Grönländer und verschiebt familiäre Konstellationen in der Familie Nyborg. Wie damit umgehen, mit den existentiellen Wechseljahren, wohin mit der ganzen Paranoia? Zum Glück haben Serien immer eine Antwort, als Option für eine nächste Staffel.
Darauf wird auch die Transformationsforscherin Maja Göpel hoffen, die von der ZEIT gedisst wurde, weil Marcus Jauer als Ghostwriter ihres Bestsellers Unsere Welt neu denken. Eine Einladung nicht mit auf dem Buchtitel steht. Auf seinen Wunsch, was die Sache kompliziert macht. Handelt es sich um ein wissenschaftliches Fehlverhalten, ist es womöglich eine gezielte Kampagne wie die gegen Baerbock, oder ist das einfach nicht wichtig? Dabei diente der Ghostwriter lediglich dazu, das zu erfüllen, was in den Medienwissenschaften permanent gepredigt wird: Wissenschaft den Leuten da draußen nahezubringen. Das ist ihm offensichtlich gelungen. Allerdings frage ich mich, ob der öffentlich-rechtliche Anbiederungston («Ich lade Sie ein» oder «Merken Sie es?») wirklich einen Systemwandel einleiten kann. Wie auch immer, am Schluss schreibt sie/er: Keine Angst vor dem «Bloody Monday». Nach diesem fiesen Nachspiel bin ich mir da nicht so sicher, die Paranoia kommt immer durch die Hintertür.
Paranoia ist auch das Thema des Romans Wetter von Jenny Offill. Er handelt davon, wie sich das Leben unter Trump und drohender Klimakatastrophe anfühlt. Der Zustand der Erzählerin, einer Bibliotheksangestellten in New York, ist zerrüttet: Die Nerven liegen blank, sie balanciert am Abgrund der Verzweiflung und versucht, sich und ihre Nächsten bei geistiger Gesundheit zu halten. Die passende Lektüre zwischen Pandemie, Hitzewellen und Krieg in der Ukraine. Wie Prepper schleichen wir durch die Gegend auf der Suche nach Heizkörpern, Konserven und Informationen, um durch den nächsten Winter zu kommen.
Nicht fehlen im Survival Paket sollte das Buch Über Freiheit, in dem Maggie Nelson eine Tour de Force durch die neuere Klimaliteratur unternimmt. Sie brauchte fünf Jahre dafür, und es unterlaufen ihr schon mal Formulierungen wie «Das ist nichts Neues für Leute, die sich auch nur ein bisschen mit feministischen, ökologischen, postkolonialen oder indigenen Denkansätzen beschäftigt haben». Das ist hoffentlich kein Problem, oder? Aber auch sie muss tief in die kulturelle Schatzkiste hipper Kalifornierinnen zurückgreifen, um angesichts der Zukunftsaussichten ihres kleinen Sohnes nicht in Tränen auszubrechen. Manchmal, so zitiert sie Pema Chödrön, ist es sinnvoll, «aus dem Drehbuch auszusteigen», und zwar «aus allen Drehbüchern».