Brückentechnologien
Die elektrische Zahnbürste ist ein eigentümlicher Gegenstand. Bei anderen Elektrogeräten kommt der Strom aus der Steckdose (in die wir nicht greifen dürfen, eine der ersten Lernaufgaben für Kleinkinder). Das Ladegerät für eine elektrische Zahnbürste hingegen ist aus Plastik, natürlich ist die Spannung niedrig, man fragt sich trotzdem ein bisschen, wohin die Gefahr verschwunden ist. Wer sich im Winter 2022/2023 mit so einem Gerät die Zähne putzt, steht vor einer ähnlichen Frage wie der, ob jemand drei Minuten oder zehn und lauwarm oder heiß duscht. Kleinigkeiten des täglichen Lebens, Rituale für das hygienische Wohlbefinden, lange Zeit kaum mehr beachtete Alltagsvollzüge geraten in den Blick, weil eine bestimmte Form von Energiequelle plötzlich teuer geworden ist: Gas, im Vergleich zum Erdöl weniger dreckig, trotzdem im Grunde erdgeschichtlich dasselbe Regal. Gas sollte als Brückentechnologie in ein goldenes Zeitalter der «grünen» Energie dienen. Im Herbst 2022 sieht es plötzlich so aus, als müsste die Brücke neu ausgeschrieben werden – bei anderen Lieferanten als dem bisherigen «Versorger» aus Russland, der durch seine Kriege (in Syrien, in der Ukraine, in Zentralafrika) ein neues Great Game angezettelt hat, an dem nichts great und auch nichts spielerisch ist, abgesehen davon, dass der russische Urheber tatsächlich auch Züge eines Zockers aufweist. An der Rede von Brückentechnologien ist vor allem bemerkenswert, dass darin ein anderes Ende postuliert wird: eine Seite gegenüber, von der aus auch schon gebaut wird (Wasserstoffinfrastruktur, Batterietechnologie, …), und die sich – so die Suggestion – aus der Zukunft auf eine Gegenwart zubewegt, die sich dazu aufgefordert sieht, möglichst ein Bremsmanöver zu vollziehen. Die Gegenwart soll nach Möglichkeit langsamer machen, die Zukunft hingegen sich sputen. In Minnesota wird derzeit ein Einspruch von Ureinwohnern gegen ein Nickelbergwerk verhandelt, von dem die Ojibwe befürchten, dass es den wilden Reis vergiftet, den das Volk traditionell erntet. Eine Jahrhunderte alte Tradition des «Auflesens» trifft auf eine Form von Extraktion, die ganz und gar zu dem Anthropozän gehört, mit dem die Menschheit nun nachfossil Ernst machen möchte. Nickel ist dabei ein Brückenrohstoff, von dem die Firmen Talon Metals und Rio Tinto behaupten, es entstünden bei seiner Gewinnung keine Umweltschäden. Die Ojibwe erinnern uns an eine gar nicht so lange vergangene Zeit, in der es noch gar keine Steckdosen gab, aus denen Strom kam, für dessen Erzeugung es nun auch wiederum Gas braucht, weil Kohle ohnehin in China noch heftig verfeuert wird. Der technische Fortschritt zu sauberer Energie erweist sich an eine antizivilisatorische, korrumpierende Gewalt gebunden, deren Einhegung die eigentliche Aufgabe des Goldenen Zeitalters am anderen Ende der Brücke werden dürfte. Im Augenblick wird der Blick in den Abgrund durch Duschköpfe und elektrische Zahnbürsten verstellt.