Weiße Mantraklone Kritisches Lipsyncing: Zur Videoinstallation Whiteface von Candice Breitz im Folkwang Museum
Weit hinten im Folkwang Museum, hinter dem Lichthof und vorbei an der klassischen Moderne im Tageslicht, geht es die Treppe runter zu Candice Breitz’ Whiteface, in den Keller des Museums. In einem Dreieck aus Räumen ist die internationale Premiere dieser Videoinstallation der südafrikanischen Künstlerin untergebracht, die eigentlich als eine 1-in-3-Installation zu verstehen ist, denn die Räume spiegeln und konkretisieren sich gegenseitig.
Im ersten Raum begegnet man neun Fotos, die Breitz zeigen, immer in gleicher Haltung, in weißem Oversize-Hemd, vor weißem Hintergrund, mit jeweils anderer hellblonder Perücke, weißen Kontaktlinsen, im gleichen Halbprofil, aber nur seitlich beleuchtet. Breitz spielt so acht weiße, blonde, fast geklont wirkende Personen und – wie auf den zweiten Blick zu sehen ist – dann auch noch sich selbst. Mittig blickt sie zwischen den acht Fotos als einzige ohne Perücke, sondern mit ihrem eigenen blonden Kurzhaar, durch die weißen Kontaktlinsen hindurch direkt die Besucher*in an.
Im zweiten Raum, links, dann sieben lebensgroße, hochformatige Bildschirme mit sieben der Personen, die schon im ersten Raum auf den Fotos zu sehen waren. Jede weiße Klonperson scheint einen kurzen Satz zu sprechen, wieder und wieder als Loop, der sich aber beim genauen Hinhören über die Kopfhörer als fremder Soundbite entpuppt. Die englischen Sätze und Satzstücke sind Allgemeinplätze, mutmaßlich gesprochen von Weißen, oft von professionellen Sprecher*innen, mit einer Intonation wie aus Fernsehsendungen, die jede Anschuldigung von Rassismus von sich weisen, sich sogar gegen die Existenz von Rassismus überhaupt aussprechen und gegen jede Anerkennung von Weißsein als Privileg. Es ist das Gegenteil des Voiceovers, das Breitz hier einsetzt. Unter den Ton legt sie neue Bilder, statt Bauchreden könnte man sie «Imageunders» nennen. Diese sieben «Mantras» betitelten Videos isolieren Argumente sogenannter «White defensiveness» und zeigen sie durch Breitz’ überspitztes gestisches Lipsyncing als Sprachgesten der Diskursvermeidung. Ihr argumentativer Inhalt nimmt das Problem des Rassismus nur wahr, indem er es vermeidet und verdrängt. Die von Breitz herausgearbeitete Wiederholung der «Mantras» und die damit einsetzende Serialisierung zeigt, wie sich jede Auseinandersetzung mit der Existenz von Rassismus in der Gesellschaft verhindern lässt, indem bereits seine Anerkennung gebetsmühlenartig blockiert wird.
Schließlich dann der dritte Raum, der die zwei vorherigen weiterführt und zuspitzt: Nahtlos projiziert von der Decke bis zum Boden sehen wir wieder die verschiedenen weißen Breitz-Klone, wieder als ein oder zwei Sekunden lange Videoclips mit ausdrucksstarker Gestik und Mimik. Wieder liefern sie Personifikationen zu existierenden Soundbites, sprechen diese in Lippensynchronisation nach. Die mit den Audioclips synchronisierten Videos werden nahtlos nacheinander abgespielt, zum Teil doppelt im Splitscreen, zum Teil sich wiederholend, und werden so zu einer raumeinnehmenden Choreografie in weiß. «White people talking about race» ist einer der sich wiederholenden Soundbites, und er ist Inhaltsangabe wie Warnung vor dieser Installation. Der mit diesem Satz synchronisierte von Breitz gespielte weiße Klon wogt dazu in einem kleinen Tanzschritt hin und her, und gibt dem Sprachloop einen visuellen Rhythmus, der fast zum Mittanzen anregt.
Doch spätestens wenn man diese Synchronprojektion von Klons mit Soundbites verstanden zu haben meint, fällt einem auf, dass auf der Seite des Raums, durch die man eingetreten ist, ein kleiner, tabletgroßer Bildschirm angebracht ist: Er zeigt die originalen Videoclips zu den Soundbites: Zu sehen sind Fernsehsendungen und Interviews mit Tucker Carlson, Bill O’Reilly, Rachel Dolezal, Richard Spencer und anderen, auch Influencer*innen, also weißen anglo-amerikanischen Media Personalities. In einer medialen Öffentlichkeit, meist ihren eigenen Sendungen und Kanälen, sprechen sie sich darüber aus, dass es mittlerweile Rassismus gegen weiße Menschen gebe, dass Weiße wegen ihres Weißseins auf verschiedenen Ebenen attackiert würden, gerade weiße Männer, dass sie über das Thema nicht mehr sprechen möchten, dass sich das für sie abgenutzt habe, und dass sie sich deswegen dann eben gerne auch «Nazi» nennen lassen wollen. Es sind diese Aussagen von sich meist emotionalisiert gebenden weißen Menschen, größtenteils Männer, die damit frontal gegenüber der Choreografie der Breitz’schen Klone auf der riesigen Leinwand am anderen Ende des Raumes positioniert sind. Fast wirkt es so, als nehme die raumgreifende Projektion der multiplen Whitefaces ihren Ausgang vom kleinen Tablet mit den Onlinevideos.
Erst nach dieser Entdeckung des Vergrößerungsverhältnisses von Tablet und Leinwand lässt sich Breitz’ Whiteface als eine Form von Videographic Criticism verstehen: Ihre Choreografie basiert auf einer Videoclip-Montage der rechten Mainstream-Medien, also auf einer Art Archiv. Daraus entwickelt Breitz eine Form der Diskursanalyse, die die gesamte Spannbreite der «Mantras» reaktionärer weißer Solidaritätsbekundungen als einen Spannungsbogen des sogenannten «white denial» und des «white backlash» zieht, eines Diskurses, der jede Anerkennung eines weißen Privilegiertseins verneint und damit die Aufarbeitung des Rassismus’ gegen Nicht-Weiße blockiert: Vom abwiegelnden «Ich habe doch schwarze Freunde» über das sich beschwerende «Ich werde mittlerweile als Weißer diskriminiert» bis zum trotzigen «Dann nennt mich eben einen Nazi». In der Verkettung wird aus dieser Fülle verschiedener Stimmen das medial vermittelte Master-Narrativ der «white rage» sichtbar.
Sieht man von der Montage der Online-Clips auf dem Tablet dann wieder hinüber zu den weißen Klonen auf der Leinwand, die zunächst nur als komisch-verzerrte Personifikationen erschienen waren, dann entpuppen diese sich als tatsächlich mit Webvideos synchronisierte – um nicht zu sagen: gesteuerte – Figuren. Es wird klar, dass wir uns hier in einer Echokammer befinden, und zwar in einer materiell realisierten, unterirdisch im Keller des Folkwang. Hier ist der digitale Raum aufgespannt, in dem Breitz’ Lipsyncing nicht mehr als Komik oder Satire erscheint, wie es der Begleittext begreift, sondern als schematisierte Darstellung der Steuerung von Diskursen durch Social Media Videos bzw. durch die sie auswählenden Algorithmen. So wie letztere die Videos abspielen würden, sind sie auch hier montiert, nämlich effektmaximierend ausgerichtet auf die Erzeugung weißer Wut. Und wie die Zuschauer*in bei Youtube oder Instagram sind die weißen Klone nicht nur gebannt, sondern es entsteht ein synchronisiertes Sprechen, Gestikulieren und Denken, dessen Entstehen wir bei Breitz in einer Endlosspirale zuschauen können. Die «white rage»-Videos und die Klone, die sich die Videos zu eigen machen, umschließen den Raum, in dem wir uns wiederfinden.
Folgt man dieser Lesart weiter, nach der Breitz hier die Erzeugung von «white rage» als Medienpraxis erfahrbar macht, dann kommen zwei weitere Aspekte in den Blick. Zum einen thematisiert Breitz mit Whiteface eigene frühere Arbeiten, wie etwa Love Story von 2016 oder Profile von 2017. Diese arbeiten mit Mitteln des Dokumentartheaters wie der Reinszenierung, dem Rollentausch oder Laienschauspieler*innen, um entlang der Grenze zwischen Fiktionalität und Faktizität Situationen medialer (Unter-)Repräsentation aufzuarbeiten. Das bei Whiteface zentrale Mittel des Lipsyncings führt diese Praxis fort, geht aber auch über die früheren Arbeiten hinaus. Lipsyncing ist weniger dem Dokumentartheater oder klassischer Schauspielpraxis entlehnt, als vielmehr erst durch soziale Medien etabliert worden. Es war die Comedian Sarah Cooper, die 2020 mit ihren Lipsyncing-Videos auf Basis der gefährlich erratischen Corona-Kommentare Donald Trumps aus diesem spielerischen Tiktok-Feature ein weithin sichtbares Werkzeug der Politsatire machte.
Für Comic Relief ist Whiteface gleichwohl zu dunkel. Das Lipsyncing wird bei Breitz von einer Politsatire oder Socialmedia-Spielerei zu einer szenografischen Forschungsmethode. Von einem medialen Found-Footage Format – hier weißen, tendentiell rechten Journalist*innen und Influencer*innen – werden die sprachlichen Grundstrukturen – Stimme, Worte, Emphase, Mimik – auf Lipsync-Figuren übertragen. Die jeweils persönliche Spezifizität der eigentlichen Sprecher*in wird damit herausgefiltert, wie auch jede Format- und Plattformabhängigkeit der ursprünglichen Rezeptionssituation. Dass die überlebensgroßen Synchronsprecher*innen Breitz’sche «weiße Klone» sind, führt wider Erwarten aber nicht zu einer komischen Entmenschlichung der «white rage»-Aussagen. Gerade weil die bekannten Gesichter von O’Reilly und Co. mit ihren gewohnten Kulissen fehlen, werden die Aussagen umso stärker als verblendet und kindisch, und damit als konzertiert und systematisch leugnend sichtbar.
Zum anderen erzeugt der Einsatz des «Critical Lipsyncing» als Verfremdungseffekt damit auch eine Entwertung des Gesichtes als Träger von Individualität in den sozialen Medien. Denn natürlich kann potentiell jede und jeder zum Breitz’schen «Gesichtsklon» werden, wenn man sich in den Algorithmenstrudel der Plattformen herabziehen lässt, bis die eigene Gestik, Mimik, und Worte sich langsam dem Konsumierten anpassen. Dass Breitz sich im ersten Raum in die Klone als weiße Frau einreiht, bezeugt, dass niemand unbeeinflussbar ist, sondern dass man stattdessen Position zu beziehen hat.
Whiteface befragt also auch die generelle Qualität des Gesichts als vermeintlichem Ausweis authentischer Persönlichkeit in der Online-Ära: Können Gesichter auf Instagram oder Tiktok überhaupt noch als Identitätsträger angesehen werden? Sollten wir ein Gesicht, das vom Lipsyncing beeinflusst ist und online vermeintliche Meinungen abgibt, überhaupt noch als Gesicht eines Menschen wahrnehmen? Oder nicht eher als eine wie auch immer potentiell synchronisierte Erscheinung?
Es scheint, dass Breitz mit dem Fokus auf das Online-Gesicht als einer abgerichteten Bildfläche eine sich bereits vollziehende Ablösung des menschlichen Antlitzes als Träger von Individualität im öffentlichen Raum anzeigt. Historisch ist das Gesicht erst seit der frühen Neuzeit als einzigartiges Merkmal einer Person in den Blick gekommen, und es lässt sich mit Breitz’ und anderen videografischen Arbeiten ein Ende des Gesichtes als authentischem Ausweis der Person in der Öffentlichkeit absehen. Nach dem Besuch von Whiteface bleibt deshalb die Frage, wie mit dem Authentizitätsdruck auf das Gesicht weiter umgegangen wird. Kündigt Breitz’ Kritik das Aufteilen von Authentizität auf verschiedene Devices bzw. «Faces» und Identitäten an? Der selbe Mensch zeigt White Rage auf Tiktok, aber neutrales Influencertum auf Instagram und spielt Seite an Seite mit People of Color auf Twitch? Oder steht viel eher das komplette Verschwinden körperbezogener Authentizität aus der digitalen Öffentlichkeit und damit eine neue Verhaltenslehre der Kälte bevor?
Candice Breitz’ Whiteface war bis zum 21. August 2022 im Folkwang Museum zu sehen