Rude Girl Birgit Weyhe
Birgit Weyhe berichtet in ihrer Graphic Novel (oder vielleicht eher: Graphic Autofiction) Rude Girl als erzählendes Ich von einer Begegnung an einer Universität im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Auf einer Tagung amerikanischer Germanist*innen wird sie mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihren Comics kulturelle Aneignung zu betreiben. Sie ist überrascht und beleidigt: Mit gekreuzten Armen setzt sie sich und das gleich ins Bild. Dabei wird es nicht bleiben.
Die Frau, die sie an der Universität kennenlernt, ist Priscilla Layne, afroamerikanische Professorin karibischer Herkunft. Es ist im Kern ihre Geschichte, die Birgit Weyhe nun rekonstruiert, allerdings mit kleinen Freiheiten und Abweichungen, weshalb alle Protagonist*innen nun andere Namen tragen, die Heldin etwa heißt Crystal. Erzählt wird von der Strenge der Mutter, die mit 22 von Barbados in die USA kam und zeitlebens an den Werten ihrer Herkunftskultur festhält. Vom Vater, der aus Jamaika kommt und bald abwesend ist. Vom Cousin, der sie missbraucht – was im Entzug der Darstellung dargestellt wird: schreiende Farben, Unschärfe, Kleckse.
Dafür bekommt sie Lob, von Priscilla, und auch das ist zu sehen. Der Comic nämlich hat zwei einander abwechselnde Teile, jeweils durch monochrome Seiten beendet (rostig orange) und eröffnet (ins Olive gehendes Gelb). Crystals Geschichte ist farbig, die von Priscilla und Birgit kennt (fast) nur Weiß und Orange. Der Zeichenstil ist hier wie da ähnlich, klare Umrisslinien für die Figuren, Tendenz Kinderzeichnung, naiv. Die Crystal-Geschichte ist weitestgehend in Dialog aufgelöst, der Priscilla-Teil ist die Erklär-Spur, die Zeichnungen sind vor allem in diesem Teil meist illustrativ. Steht da als Text «Für mich war in dem Alter generell die amerikanische Kultur der Bezugsrahmen», sieht man im Bild: Baseballschläger, Popcorn, Burger, Filmklappe mit Movie-Aufschrift.
Es gibt viel Kürzelhaftes dieser Art, peinlich wird es nur spät im Berlin-Teil, wenn Weyhe ihre Heldin in der WG mit der Karikatur einer rigiden Öko-Linken konfrontiert. Anderes ist ohnehin ausgesprochen spezifisch. So die zwei divergenten Kulturen, die sich Crystal/Priscilla – neben der Immersion in Baseball, Hollywood usw. – auf der Suche nach einer eigenen Identität anzueignen beginnt: die (linke) Skin-Kultur karibischer Herkunft mit Reggae und Ska und Kopfrasur als Außenseitertum, das andere Differenzen tendenziell nivelliert; andererseits (teils wegen Indiana Jones, teils Zufall) die deutsche Sprache, dann auch Kultur. Aneigung, Abgrenzung gehen also identitätsbildend durcheinander, immer zugleich stabilisierend und destabilisierend, als Bewegung, die Ausgrenzung in Zugehörigkeit zu einer selbstgewählten Gemeinschaft zu wenden versucht.
Rude Girl ist Kunst als Versuch, es nicht nur besser, sondern gleich alles richtig zu machen. Die Erklär-Spur wird zum Sicherheitsnetz, und wenn Priscilla der Künstlerin immer wieder auf die Schulter klopft, ist das als Teil der Darstellung ein wenig cringe, aber vor allem seinerseits Dokument einer Verunsicherung. Es ist dagegen im Grunde gar nichts zu sagen, außer das, was man gegen Kunst, gegen die nichts zu sagen ist, doch sagen kann: dass sie was Beflissenes hat. Ich fürchte, wir leben in Zeiten, in denen Beflissenheit selbst im Ästhetischen nur noch eine Sekundär-Untugend ist.
Birgit Weyhe: Rude Girl (avant-verlag 2022)