Frau Film Freiheit Iranische Filmgeschichte als Frauenrevolutionsgeschichte
«Ohne Freiheit der Frau ist eine freie Gesellschaft nicht denkbar», lautet eine kurdische Überzeugung, die in dem Slogan «Frau, Leben, Freiheit» (Jin, Jiyan, Azadî) zum Ausdruck kommt. Ein Zusammenklang von drei Worten, der zum Leitspruch der feministischen Befreiungsbewegung im Iran wurde, die sich vor (und seit) nunmehr einem Jahr nach dem gewaltsamen Tod der kurdischen Iranerin Jîna (Mahs¯a) Am¯ın¯ı im September 2022 formierte, um dezentralisiert, führerlos wie klassenübergreifend die gesellschaftlichen Gefängniswände aus Angst, Strafe und Repression zu überwinden. Menschen der verschiedensten sozialen Klassen, Alterskohorten und ethnischen Gruppen – Kurdinnen, Araber*innen, Aseris, Balutsch*innen – haben sich dem Frauenwiderstand angeschlossen. Der Kampf der Frauen gegen die Kolonisierung ihrer Körper wurde zum inklusiven Widerstand der gesamten Bevölkerung.
Auch wenn das Regime der Islamischen Republik Iran alles tut, um die Gesellschaft in einen Zustand der Angst zurückzuzwingen oder in Schockstarre zu versetzen, ist es dieses Regime selbst, das aus Angst vor Veränderung handelt und drakonisch wie zynisch sich selbst erhält: mit Festnahmewellen und Schauprozessen, mit strategischer Gewalt gegen Ethnien und immer mehr Hinrichtungen von Zeug*innen und Protestteilnehmer*innen (darunter auch Beteiligte an früheren Arbeiterprotesten, etwa gegen die Benzinpreiserhöhung 2019), mit Femiziden, dem verschärften Neueinsatz der Sittenpolizei, mysteriösen Vergiftungswellen an Mädchenschulen oder anderen Gewaltstrategien im Namen des Kriegs gegen «Korruption auf Erden» und «Feindschaft gegenüber Gott» – um die wichtigsten Willkürparagraphen des Machterhalts zu nennen. Auch die geheimdienstlichen Kettenmorde aus den 1990er Jahren, im Zuge derer oppositionelle Intellektuelle durch Kaliuminjektionen, Erdrosselung, Messerstiche etc. umgebracht wurden – wobei die Attentate als Suizid, Raubüberfall und (Auto-)Unfall getarnt wurden –, scheinen gegenwärtig eine Wiederaufnahme zu erfahren: Am 2. Juli ‹starb› der Maler und Gesellschaftskritiker Khosrow Hassanzadeh an einer Methanolvergiftung.
Trotz der verschärften Angstverbreitungstechniken haben viele Herrschaftsinstrumente deutlich und nachhaltig an Macht verloren – nicht zuletzt das ist eine Errungenschaft der «Jîna-Revolution», wie sie genannt wird. Sei es, dass die Bevölkerung sich nicht länger vom propagandistisch konstruierten Schreckgespenst «syrischer Bürgerkrieg» in Schach halten lässt, da die revolutionäre Bewegung gezeigt hat, dass dem Vielvölkerstaat Iran kein Zerfall à la Syrien droht. Sei es, dass die mächtigste Reproduktionsmaschinerie von Aufopferungsbereitschaft – der iranische Märtyrerkult – deutlich an Manipulationskraft verloren hat. Nicht nur die Verehrung von – vorrangig männlichen – Staatsmärtyrern, auch die Märtyrer*innen-Hagiographie auf Seiten des Widerstands ist in den Hintergrund getreten. Im Unterschied zur Grünen Bewegung (2009) wird ‹Martyrium› kaum mehr als Deutungsrahmen in Anschlag gebracht, um die Opfer des Widerstandes (als Heldinnen) zu betrauern. Frau, Leben, Freiheit bedeutet eben auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich nicht mehr vom «Märtyrer-Wohlfahrtsstaat» (Kevan Harris) instrumentalisieren lassen will. Die der Parole innewohnende Rückforderung der körperlichen Autonomie stellt die nekropolitische Staatsdoktrin – Selbstaufopferung im Namen der heiligen Verteidigung – fundamental in Frage. Wie heißt es so treffend am Ende von Éric Vuillards Der Krieg der Armen: «Das Martyrium ist eine Falle für alle Unterdrückten, wünschenswert ist nur der Sieg. Ich werde von ihm erzählen.»
Die spezifisch iranische Kultur von Protest, Widerstand und Aktivismus, die eine bemerkenswert performativ-ästhetische Dimension aufweist, regeneriert sich im regen Dialog mit einem medialen Gedächtnis aus Geschichts- und Revolutions(-nach-)bildern, deren Zirkulation von den Filtern der Zensur nur bedingt kontrolliert werden kann. Was Michel Foucault 1974 in einem Gespräch mit Pascal Bonitzer als «populäres Gedächtnis» bezeichnet hat, ist im Iran ganz besonders resistent, weil medial wie sozial komplex geschichtet und über verschiedenste mediale Kanäle, Rituale und (symbolische) Praktiken distribuiert. Das populäre Gedächtnis umfasst bei Foucault sowohl widerständige Techniken der (Selbst-) Bildproduktion wie auch subalterne Artikulationsformen von Geschichts- und Revolutionsbewusstsein. Das «Gedächtnis in Besitz zu nehmen, ihm Vorschriften [zu] machen, es [zu] regieren, ihm [zu] sagen, woran es sich erinnern soll», das ist den Architekten des Gottesstaates nie vollumfänglich gelungen. «Da das Gedächtnis noch immer ein wichtiger Kampffaktor ist […] gilt Folgendes: Hat man das Gedächtnis der Leute in der Hand, dann hat man auch ihre Entwicklung in der Hand. Und ihre Erfahrung, ihr Wissen über die vergangenen Kämpfe. Man soll gar nicht mehr wissen, was das ist, die Résistance …» (Foucault 1974).

The Runner (Amir Naderi, 1984)
© Criterion Collection
Das widerständige Imaginäre inmitten des Sozialen hängt in Iran nicht zuletzt mit einem auch filmischen Wissen über die vergangenen Kämpfe – mit filmischen Imaginationen von «resistant subjectivities» (Howard Caygill) – zusammen. Oft kommt es vor, dass cinephile Momente aus der iranischen Filmgeschichte in den sozialen Medien (als Meme oder Clips) auftauchen. So wurde etwa der Block aus schmelzendem Eis vor loderndem Feuer, den der Junge in Amir Naderis The Runner (1984) am Ende in den Händen hält, als Emblem des Kampfes der environmental activists gegen die verheerende Wasserknappheit (vor allem im Süden Irans) und ihre geradezu ethnozidalen Dimensionen geltend gemacht. Auch religionskritische Dialoge aus Dariush Mehrjuis Kultfilm Hamoun (1989) tauchen gegenwärtig in regimekritischen Musikvideos auf. Hinzu kommt das Nachleben und gegenwärtige Wiederauftreten von Gesten aus der Zeit um 1979, Gesten des Widerstands, von denen manchmal nicht eindeutig gesagt werden kann, ob sie damals (wie heute) von der Straße auf die Kinoleinwand abgewandert oder den umgekehrten Weg gegangen sind: So lassen sich für jene eindrückliche Protestgeste, mit der seit Jahrzehnten Gewalt, Martyrium und Ungerechtigkeit bezeugt wird – es handelt sich um die hochgehaltene, blutrote Hand oder ihren Abdruck auf den Häuserwänden – bemerkenswerte Vorläufer (wie Nachbilder) im Kino finden. Als Reza (Behrouz Vossoughi) am Ende des populären, vorrevolutionären Films Reza Motorcyclist (Massoud Kimiai, 1970) in einem Kino niedergestochen wird, hinterlässt er eine einprägsame Spur in Form eines blutigen Handabdrucks auf der innerdiegetischen Kinoleinwand, als wolle er das körperliche Zeugnis seines Martyriums an den Film und dessen Fähigkeit, weitere Zeugen zu schaffen, weitergeben (vgl. auch den Filmausschnitt in Ehsan Khoshbakhts Dokumentarfilm Filmfarsi, 2019)
Und wenn es Bilder einer Errungenschaft der iranischen Revolution von 1979 gibt, die bis heute anhaften und von der Iconomy der «clerico-engineers» (Mohamad Tavakoli-Targhi) nie inkorporiert werden konnten, dann sind dies die Bilder jener Proteste vom 8. Mai 1979, dem Internationalen Frauentag, an dem Tausende Frauen – Frauen mit und ohne Kopftuch – klassenübergreifend und geschlossen gegen den von Ayatollah Khomeini angekündigten «mandatory hijab» auf die Straßen Teherans gingen. Die Ereignisse sind uns dank eines historiografisch unverzichtbaren Kurzdokumentarfilms von vier Feministinnen aus dem Jahr 1979 überliefert: Mouvement de Liberation des Femmes Iraniennes, Année Zéro.

Mouvement de Liberation des Femmes Iraniennes, Année Zéro (1979)
Filmgeschichte ist im Iran auf vielfältige Weise mit Revolutionsgeschichte verbunden. Auch wenn die islamistischen Kulturfunktionäre nach der iranischen Revolution 1979 versuchten, eine gleichsam islamisierte Version des ‹Drittes Kinos› durchzusetzen – wobei es sich eher um ein staatliches Hijacking des dekolonialen Kinos und eine propagandistische Ausschlachtung seiner antiimperialistischen Rhetorik handelte –, ist es nie zu einer Homogenisierung des Kinos gekommen. Eine Ausnahme stellt der staatstragende Genre-Mainstream dar – hier wäre neben Soaps und anderen Spielformen des Unterhaltungskinos vor allem das (Kriegs-)‹Kino der heiligen Verteidigung› zu nennen, das in Europa kaum gekannt wird und Gegenstand eines anderen Artikels wäre. Trotz islamistischer ‹Purifizierungsversuche› der Filmsprache zwischen Zensur und Förderung, d. h. Supervision, haben wir es nach Revolution und Krieg (1980–88) mit einer faszinierenden Ausdifferenzierung auch der filmischen Formen des Widerstandes zu tun, dessen feministische Facetten von den hegemonialen Repräsentationspraktiken und Zirkulationsroutinen der Festivalnetzwerke höchst unzureichend abgebildet wurden. Während in Europa das iranophile Festivalpublikum im Bann der Grobkonstruktion ‹neues iranisches Kino› stand und rätselte, warum die Frauen in Abbas Kiarostamis Filmen vor allem durch Abwesenheit glänzten (das sollte sich mit dem Auto-Kammerspiel Ten, 2002, schlagartig ändern), wurde die Präsenz von iranischen Frauen vor wie hinter der Kamera konsequent übersehen. Mehr oder weniger intendierte Allianzen zwischen iranischen und internationalen Distributionspolitiken sind hier nie ausgeschlossen, zumal die Kategorie ‹neues iranisches Kino› auch aus der Perspektive des Ministeriums für Kultur und Islamische Führung (und seines exekutiven Arms, der Farabi Film Foundation) ein nicht unwillkommenes Screening-Fenster eröffnete.
Das iranische Kino entlang von Frauenwiderstandsgeschichte neu zu entdecken, bedeutet also zunächst einmal, von Klischees, Trademarks und Stereotypen wegzukommen, auf die das (neue) iranische Kino nach der islamischen Revolution (1979) und vor allem nach dem Iran-Irak Krieg (1980–88) von internationalen Festivalpolitiken festgeschrieben war: einfache, gleichnishafte Geschichten über das Landleben, die dazu führten, dass in Europa der Eindruck entstand, «dass es im gesamten Iran keine Stromversorgung und kein Telefon gibt», wie das der Regisseur und Produzent Mohammad Farokhmanesh einmal aus kritischer Diaspora-Perspektive zum Ausdruck brachte.
Die Solidaritätsretrospektive Frauen filmen Freiheit im Filmpodium Zürich, die ich in diesem Jahr unterstützt von iranischen Filmemacherinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen kuratieren durfte (ich danke an dieser Stelle Mahnaz Afzali, Shirin Barghnavard, Firoozeh Farvardin, Golnar Narimani, Maryam Palizban, Sahar Salahshoor und Farahnaz Sharifi) war ein Versuch, iranische Filmgeschichte als generationenübergreifende Geschichte des Widerstands von Frauen neu zu erzählen. Die Geste der Solidarisierung bestand für uns vor allem darin, sichtbar zu machen, inwiefern sich iranische Regisseurinnen den gängigen Trademarks des iranischen Kinos widersetzten. Der Widerstand der iranischen Regisseurinnen ist somit auch an dieser Front anzusiedeln. Während etwa Abbas Kiarostami in den 1990er Jahren das iranische Kino zum wichtigsten Exportgut nebst «Pistazien, Teppichen und Öl» zählte – und hierbei verschmitzt (und zu Recht) wohl seine eigenen Filme dazu rechnete –, benötigten die nicht weniger bedeutsamen Spielfilme von Rakhshan Banietemad – der wichtigsten Wegbereiterin eines sozialkritischen Filmrealismus nach der Revolution 1979 (siehe das Gespräch cargo 30) – Jahrzehnte länger, um in Europa wahrgenommen zu werden. Die Sozialgeschichte Teherans, die Banietemad in ihren Spielfilmen (und frühen Dokumentarfilmen) erzählt, entsprach eben nicht den exotisierenden, antimodernistischen Sehnsüchten Europas nach Bildern eines vormodernen Dorflebens, sondern zeigte eine vom Klassenkampf zerrüttete Großstadtgesellschaft.
Als Schlüsselfilm kann Under the Skin of the City (2001) gesehen werden, Banietemads im armen Süden Teherans angesiedelte Geschichte des Überlebenskampfs einer mutigen «Mamma Tehrani» namens Tooba (Golab Adineh): Ihr Mann ist arbeitslos, Tooba bringt das Geld nach Hause und sorgt für die Familie. Nebst einer hilflosen Vaterfigur besteht diese Familie aus einer schwangeren Tochter, die unter der Gewalt ihres Ehemannes leidet, einem Teenager-Sohn, der sich in zunehmendem Maße politisch radikalisiert, und einem älteren, in die Drogenkriminalität abrutschenden Sohn, der für seinen Traum, das Land zu verlassen, bereit ist, das Elternhaus zu verkaufen. Um diese Achse werden viele Geschichten von häuslicher und staatlicher Gewalt, aber auch von Solidarität und subalternen, widerständigen grassroots movements erzählt.
Tooba ist übrigens eine Wiedergängerin in Banietemads Filmen. Vor Under the Skin of the City hatte sie bereits in May Lady (1997) einen Auftritt, Jahre später wird sie in Tales (2014) noch einmal auftauchen, wodurch eine ganze Reihe von Banietemads Spielfilmen den Charakter von sozialrealistischen, fiktiven Langzeitbeobachtungen erhalten; hierin Volker Koepps Wittstock I – IV (1975ff.), Nicolas Geyrhalters Über die Jahre (2015), Michael Apteds 63up (1964ff.), Richard Linklaters Boyhood (2014) oder auch der deutschen Seifenoper Lindenstrasse (1985ff.) vergleichbar. So können wir uns auf Basis einer ganzen Serie von verstreuten Momentaufnahmen einbilden, über mehrere Spielfilme hinweg verschiedene Phasen eines möglichen subalternen Lebens im Süden Teherans zu begleiten und auch dem immer stärker werdenden Husten Toobas zuzuhören – als Effekt der mörderischen Luft sowohl in der Textilfabrik wie auch in der Smog-Stadt Teheran selbst.

Under the Skin of the City (Rakhshan Banietemad, 2001)
Das Filmmuseum Wien widmete Banietemad unter dem Titel Unverschleiert. Die Filme von Rakhshan Banietemad im Jahr 2022 die – meines Wissens nach – bislang umfassendste Werkschau. «Rakhshan Banietemad ist eine der bedeutendsten Erforscherinnen sozialer Themen im Kino und eine der subversivsten Filmkünstlerinnen», schreiben die Kuratoren Tara Najd Ahmadi und Jurij Meden. Ich möchte ergänzen: Banietemad ist auch eine der bedeutendsten Erfinderinnen von Filmformen, die das – von der Zensur diktierte – Versteckspiel namens ‹Symbolismus› nie mitspielen wollten und sich somit der gewohnten Trademark ‹allegorisches Arthousekino aus dem Iran› konsequent verweigerten; auch durch eine möglichst ‹unverschleierte›, direkte Auseinandersetzung mit der Materialität und Textualität der Zensurmechanismen selbst, die als soziale Barrieren der Stadt Teheran innewohnen und deren Realität an der Schnittstelle von klassen-, geschlechterpolitischer sowie ethnischer Unterdrückung spalten.
Banietemad, die vor der iranischen Revolution (1978/79) ein Trainingsprogramm bei National Iranian Radio and Television (NIRT) durchlief, verwirklichte auch nach der Revolution immer wieder dokumentarische Projekte, wobei sie das Filmmaterial – im Sinne eines Ethos von Gabe und Gegengabe – nicht nur mit den Gefilmten teilte, sondern dieses auch verwendete, um die Stadtverwaltung zu Reformen zu bewegen, insbesondere als es um die Verbesserungen der Lebensbedingungen in den shanty towns ging. Somit blieb Banietemad, die die Revolution von 1979 als säkulare, sozialkritische Intellektuelle – und nicht als religiöse Fundamentalistin – unterstützte («Our society needed a cinema with a different point of view»), dieser kulturellen Revolution eben auf ihre widerständige Art verpflichtet und widmete ihre Filme den Mikrogeschichten unterdrückter Stimmen, die sich imstande zeigten, die offiziellen Erfolgsgeschichten von Krieg und Revolution gegen den Strich zu bürsten.
«Statistiken besagen, dass der Iran tatsächlich einen höheren Prozentsatz an Filmemacherinnen hat als Amerika», meinte Banietemad einmal in einem Interview. Zwar kann ich dies nicht belegen – und was mit «Amerika» genau gemeint ist, nur erahnen –, doch erscheint mir dieses Statement – als Selbstwahrnehmung – eine interessante Perspektive zu eröffnen. Auch wenn es nach der islamischen Revolution zunächst darum ging, Frauen aus den Filmen visuell wie akustisch zu vertreiben, war das unerwartete Ergebnis dieser ‹Reinigungsphase› eine vorher nie dagewesene Öffnung der Filmindustrie für Frauen. Zwar mussten sie sich vor wie hinter der Kamera an die strengen Regeln der Verschleierung halten – doch erkannten die Kulturfunktionäre immerhin ab 1985, also während des Krieges, dass sie in eine neue Generation auch junger Filmemacherinnen investieren mussten, um die geschwächte Filmindustrie anzukurbeln. Hinzu kommt, dass viele Regisseurinnen (wie etwa Banietemad um 1987) beim staatlichen Fernsehen begannen, dann aber in die Filmbranche wechselten, da dort die Zensurbedingungen nicht ganz so rigide waren.
Allmählich bauten sich die iranischen Filmemacherinnen das Medium Film zu einem ‹trojanischen Pferd› um – und schmuggelten Gegenbilder in die Öffentlichkeit, die die tiefer werdende Kluft zwischen den propagandistisch behaupteten Errungenschaften der Revolution und den tatsächlichen sozialen Ungerechtigkeiten in allen möglichen Facetten ausleuchteten. Nicht weniger populär als Banietemads Under the Skin of the City war Manijeh Hekmats epischer Spielfilm Women’s Prison (2002), der die gesellschaftlichen Verhältnisse am Schauplatz eines siebzehn Jahre umspannenden Frauengefängnis-Geschehens erzählt. Hekmats wuchtiges Gefängnisepos ist Banietemads Filmen darin anschließbar, dass sorgfältige Milieustudien zu einem Spielfilm verarbeitet wurden – wobei Women’s Prison noch dazu ein packender Genrefilm ist, der mit allegorischen Verdichtungen arbeitet: Um die Achse eines erbitterten Konfliktes zwischen der aufsässigen Insassin Mitra und der Gefängniswärterin Tahereh, werden (Vor-)Geschichten von Macht, Sexualität und Gewalt, aber auch Widerstand durch Frauensolidarität erzählt. Der mittlerweile verbotene Film war ein Box Office-Erfolg in Teheran, nicht zuletzt, da er von der Bevölkerung als Echokammer eigener Unterdrückungserfahrungen und Widerstandssehnsüchte betrachtet wurde.

The Ladies Room (Mahnaz Afzali, 2003)
Dies wird in einem anderen Film ganz besonders deutlich, nämlich in Mahnaz Afzalis Dokumentarfilm The Ladies Room (2003), in dem eine darin interviewte Prostituierte Women’s Prison als ihren Lieblingsfilm nennt, weil er kämpferische Frauen zeige. Während es in Women’s Prison um das Gefängnis als Mikrokosmos der Gesellschaft geht, präsentiert uns Mahnaz Afzalis – an Cinéma vérité-Traditionen anschließbarer – Dokumentarfilm The Ladies Room eine Frauentoilette in einem Park Teherans als einzigen Ort, an dem Prostituierte, Heroinsüchtige und runaway daugthers einen ästhetischen «Erscheinungsraum» (Arendt) für ihre Gewalterfahrungen finden und herstellen können. Wobei diese öffentliche Toilette zugleich in einen Schutzraum verwandelt wird, in dem die Frauen ein Recht auf Intimität – also Schutz vor häuslicher und anderer Gewalt – zurückerobern können. Der herausragenden, in Europa noch viel zu wenig bekannten Underground-Regisseurin Afzali ist es mit beeindruckender Fragetechnik – über mehrere Wochen hinweg – gelungen, das Vertrauen dieser schillernden Frauen zu gewinnen und ihnen Performances zu entlocken, die zusammen genommen ein beeindruckendes feministisches Passionsspiel (pers. ta’ziyeh) auf der Damentoilette ergeben. Die Frauen wechseln nicht nur die Rollen – mal sind sie Performerinnen, mal zuhörendes Publikum. Es findet auch ein Wahr- und Freisprechen statt, im Zuge dessen die Protagonistinnen ein Recht zurückerhalten, jene Rollen zu spielen und Masken tragen zu dürfen, die sie tragen wollen – und eben nicht aufgezwungen bekommen. Im Zuge des Passionsspiels werden nicht nur Sorgen, Ängste und Gewalterfahrungen geteilt, sondern auch (sehr gute!) religionskritische Witze erzählt. Auch erfahren wir, dass das System für Sexarbeiterinnen nicht nur keinerlei Rechte, ja im Extremfall Gefängnis, Auspeitschung und Todesstrafe vorgesehen hat, sondern auch kriegsverletzten Frauen den Status «lebende Märtyrerinnen» – und somit finanzielle Zuwendungen – verweigert. «Obwohl der Sex offiziell illegal ist, ist die Zahl der Sexarbeiter_innen in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund der zunehmenden Armut und der sozioökonomischen Ungerechtigkeit drastisch gestiegen, und mindestens 30 % haben einen Hochschulabschluss. Eine Umfrage aus dem Jahr 2007 ergab, dass der illegale Markt für Sexarbeit von zahlreichen Mitgliedern der iranischen Polizei und der Basij kontrolliert wird. Kurzum: Das islamische Regime hat ein für alle Mal ein Problem gelöst, indem es die Sexarbeit völlig ignoriert und unterdrückt hat, während es auf andere, geheime Weise davon profitiert.» (Golnar Narimani)
Im Unterschied zu Rakhshan Banietemad, die den Kampf mit der Zensur offiziell austrägt, ist Mahnaz Afzali in den filmischen Untergrund gegangen und beantragt für ihre Filme kaum mehr Drehgenehmigungen. Trotzdem lebt sie immer noch in Iran, um in Kontakt mit den Entrechteten zu bleiben. Von Afzali ist auch ein zweiter Dokumentarfilm hervorzuheben, der vielschichtige Einblicke in das misogyne Justizsystem der iranischen Gesellschaft bietet. Auf Basis einer virtuos montierten Mischung aus selbstgedrehtem und vorgefundenem Material verhandelt The Red Card (2006) den Schauprozess gegen Shahla Jahed (1969–2010), die zum Tode verurteilt wurde, weil man ihr, als Geliebter des ehemaligen Nationalstürmers Nasser Mohammadkhani, den Mord an dessen Frau angelastet hatte. Der Film ist das denkbar bedrückendste Dokument der Konstruktion von ‹weiblicher Schuld› vor Gericht (vgl. die beeindruckende Ausstellung Guilty, guilty, guilty! Entwürfe einer feministischen Kriminologie, Kunstraum Kreuzberg 2022/23). Es geht um die Bestrafung einer Frau, deren Hals in einen gesellschaftlich schon vorbereiteten Strick passen musste, weil sie eine Liebesbeziehung mit einem Fußballstar so zu leben versuchte, wie sie das für richtig hielt. Umso bemerkenswerter ist es, dass Afzali das fast Unmögliche gelingt: Inmitten eines misogynen Gerichts- und Zurichtungsdispositivs die Kamera konsequent so einzurichten, dass die Perspektive des angeklagten Opfers beibehalten und nicht denunziert wird, wobei die hinzumontierten Homevideos Shahla Jaheds ihres dazu beitragen. Nicht ohne Grund wird Jahed von Regisseurin Afzali in den Credits als Co-Regisseurin genannt.
Übrigens ist The Red Card nicht nur an Massoud Bakhshi’s Film Yalda (2019) anschließbar – eine Art iranische Hunger Games-Version (die von Afzalis Film ziemlich inspiriert scheint) –, sondern auch an Sieben Winter in Teheran (2023), der dieses Jahr bei der Berlinale seine Weltpremiere hatte. Steffi Niederzolls Dokumentarfilmdebüt, das heimlich gedrehtes Bild- und Tonmaterial enthält, rekonstruiert mit enormer Sorgfalt den Fall der Studentin Reyhaneh Jabbari (1987–2014), die, weil sie sich gegen einen Vergewaltigungsversuch verteidigte, im Jahr 2007 zum Tode verurteilt wurde. Vor ihrer Hinrichtung konnte sich Jabbari nicht nur eine Stimme aus dem Inneren des Frauengefängnisses erkämpfen. Sie engagierte sich dort – wie die fiktive Mitra in Hekmats Women’s Prison – auch für ihre Mithäftlinge, welche die Lieder, die Jabbari im Gefängnis sang, nun an ihre Kinder weitergeben.
Dass die iranischen Frauen vor allem an der Front sind, wenn es um autoethnographische Essayfilme geht, zeigt Profession Documentarist aus dem Jahr 2014, ein Kollektiv- und Omnibusfilm, der aus sieben Episoden von jungen Regisseurinnen besteht (Shirin Barghnavard, Firouzeh Khosrovani, Farahnaz Sharifi, Mina Keshavarz, Sepideh Abtahi, Sahar Salahshoor, Nahid Rezaei), die sensationell eigenwillige Formen gefunden haben, um Traumata, Zweifel und Ängste durchzuarbeiten. Die Filmemacherinnen leben zum Teil im Iran, zum Teil in der Diaspora, während der Dreharbeiten lebten sie – meines Wissens – noch allesamt in Teheran. Sie haben eine starke, kollaborative Filmform gefunden, um gegen die sichtbaren und unsichtbaren Gefängniswände der iranischen Gesellschaft anzufilmen. Wie kann man als Filmemacherin all den anderen, zum Schweigen gebrachten Frauen eine Stimme geben, in einer Gesellschaft, die auch die vocal sphere (und besonders die Gesangsstimmen) der Frauen strategisch unterdrückt? Wie umgehen mit den (Kriegs-)Traumata und Ängsten, aber dennoch offen für die Zukunft bleiben? Wie lässt sich eine Welt, wie sie sein könnte, filmen? Wie lassen sich Filme, die nicht sein dürfen, imaginieren? Und wie können die Wände einer walled society mit filmischen Mitteln durchbrochen werden, um Fenster zur Öffentlichkeit herzustellen und aus privaten Netzwerken eine Widerstandsbewegung entstehen zu lassen? – Es handelt sich um Fragen, die alle Beiträge dieses vollkommen unabhängig produzierten Omnibusfilms antreiben und diesem ein hohes Aktualisierungspotential verleihen. (Übrigens sind fast alle Filmemacherinnen auch jenseits dieses Kollektivs ausgesprochen produktiv und ästhetisch innovativ.)

JERRY & ME (Mehrnaz Saeedvafa, 2012)
© Mehrnaz Saeedvafa
Wenn es um Essayfilme iranischer Regisseurinnen geht, so sind vor allem auch die Arbeiten von Mehrnaz Saeedvafa und Mania Akbari zu nennen: Saeedvafa, die mittlerweile in den USA lebt, reflektiert in Jerry & Me (2012) im Zuge einer trans-kulturellen Verflechtungsgeschichte ihr Heranwachsen im Iran im Spiegel der Filme von Jerry Lewis, wobei es auch um Emanzipation vom bloßen Fan-Sein geht. Der jüngste Film der in London lebenden Künstlerin Akbari – How dare you have such a rubbish wish? (2022) – beschäftigt sich mit der Kolonisierung des weiblichen Körpers im populären, vorrevolutionären Kino (filmfarsi). Entlang einer Überfülle von ca. hundert Filmclips und wiederkehrenden Szenen, in denen sich Akbari ein florales Tattoo stechen oder von einem Oktopus liebkosen lässt, werden die sogenannten ‹freien Jahre› vor der Revolution zu einer Geschichte der Tätowierung des weiblichen Körpers durch eindringliche Männerblicke, die Frauen in ‹keusche› und ‹unkeusche› Puppen sortierten. Die Revolution von 1979 erscheint aus Perspektive des Films nicht als Bruch mit diesem Gegensatzpaar, sondern als bloße Umkehrung: Die Codes der Keuschheit begannen den öffentlichen Raum zu dominieren, während das Spektakel der ‹unkeuschen Puppen› unsichtbar gemacht – das heißt: in die Privatsphäre verbannt wurde. Wer also der nostalgischen Ansicht ist, dass Frauen vor der iranischen Revolution unter dem Schah frei waren, wird in Akbaris Essayfilm Gelegenheit finden, die Facetten der Unterdrückung von Frauenkörpern auch aus der Zeit vor 1979 kennenzulernen.
Das Reclaiming der eigenen Sexualität, das Akbari auch unter Einsatz des eigenen Körpers performativ herstellt, schließt an eine feministische Tradition an, deren Grundstein die iranische Dichterin Forrough Farrokhzad legte. Bezeichnenderweise gibt es – abgesehen von Forroughs The House is Black (1963), dem Gründungsdokument der iranischen Neuen Welle – vor der Revolution kaum Filme und noch weniger Spielfilme, bei denen Frauen die Regie führten: Umso bemerkenswerter ist The Sealed Soil (1977) von Marva Nabili. Der ultraminimalistische, an das Slowest Cinema von Sohrab Shahid Saless anschließbare Film – heimlich gedreht mit Laiendarstellern in einem Dorf im Südwesten Irans – thematisiert einen zentralen Konflikt der iranischen Gesellschaft: die Spannung zwischen Tradition und Moderne. Die verzweifelten Versuche der 18-jährigen Rooey-Bekheir (Flora Shabaviz), aus dem Korsett der drohenden Zwangsverheiratung und den Rhythmen des Dorfes auszubrechen, zeigen sich in jenem eindrücklichen Moment ganz besonders emblematisch, in dem die Protagonistin sich des Kopftuchs entledigt, um den strömenden Regen endlich am eigenen Körper spüren zu dürfen. Letztendlich wird ihr Streben nach Unabhängigkeit von der Dorfgemeinschaft als dämonische Besessenheit interpretiert und exorziert.
Spätestens hier wird deutlich, dass der Befreiungskampf der Frauen wie das «Ticken eines Uhrwerks» (Walter Benjamin) die gesamte iranische Filmgeschichte durchzieht – und dass sich dieses Ticken nun zum «Stundenschlag» einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung verdichtet hat. Festival- und Filmkultur kann viel dazu beitragen, die Aufmerksamkeit hochzuhalten und mindestens das Ticken weiter hörbar zu machen, wenn nicht zu verstärken. Genau diese auch kulturelle Verstärkung braucht die gesamtgesellschaftliche Befreiungsbewegung im Iran mehr denn je. Vor dem Hintergrund der dargestellten Vielfalt an feministischen Filmformen im iranischen Kino und im Kino der iranischen Diaspora – Filme von Tahmineh Milani, Faezeh Azizkhani, Chowra Makaremi u. v. m. konnte ich leider nicht mehr berücksichtigen –, wirkt es befremdlich und ziemlich höhnisch, wenn sich kunstbetriebliche Solidarisierungsgesten in Europa darin erschöpfen, dass Museumsfassaden mit orientalisierender Schleierkunst à la Shirin Neshat verkleidet werden, bei der Frauengesichter im Tschador als Projektionsfläche für kunstvoll arrangierte Texte herangezogen werden (vgl. Neshats Serie Women of Allah, 1993–1997). Nicht nur, dass mit diesen Symbolbildern – auch des Arthousekinos – die Frauen des Mittleren Ostens immer und immer wieder genau in jene Rollen der passiven ‹schwarzen Krähen› zurückgezwungen werden, die das iranische Regime für sie vorgesehen hat. Auch die orientalistischen Befreiungsphantasmen des Westens sehen sich durch derartige Projektionsflächen allzu widerstandslos weiter beflügelt – um genau das zu übersehen, was das iranische Kino an Frauenrevolutionsgeschichte wirklich zu bieten hat. Frauen waren eben alles andere als nur Opfer, sondern zentrale Gestalterinnen der historischen Prozesse im Iran. Wenn «der Zweck der Revolution […] die Abschaffung der Angst» ist, wie das Theodor W. Adorno in einem Brief von 1936 an Walter Benjamin geschrieben hat, dann möchte ich hier dem Schlusssatz aus Mani Haghighis jüngstem Film, dem doppelten Doppelgängerfilm Subtraction (2022) auch deshalb das letzte Wort geben, weil Regisseur Haghighi als mutiger Unterstützer der ‹Jîna-Revolution› in Erscheinung trat: «Ich habe keine Angst. Nemitarsam.»