Deadpan Anmerkungen zu Takeshi Kitanos Ausstellung Gosse de peintre in Paris
Jeder weiß, dass Takeshi Kitano nicht nur ein Filmemacher ist, sondern auch ein Maler. Seine Gemälde jedoch, wie man sie etwa zu Beginn von Hana-Bi (1997) sieht, werden gerne als naive Stücke eines nicht unbegabten Sonntagsmalers betrachtet. Jedenfalls haben sie uns weniger beeindruckt als manche seiner Filme. Kitano, der sich mit Selbstironie als «Malerkind» («gosse de peintre») bezeichnet, sagt, dass er nur zum eigenen Vergnügen malt und nicht, um seine Werke zu verkaufen. Also habe ich, um ehrlich zu sein, nicht viel erwartet, als ich von der Ausstellung in der Fondation Cartier hörte.
Es ist dann aber so, dass seine Gemälde nur einen kleinen Teil des Ganzen ausmachen. Der Großteil besteht aus einer Reihe seltsamer Installationen (oder eher kindischer Apparaturen), die nach seinen Vorstellungen von ausführenden Technikern hergestellt worden sind. Stark fühlt man sich in den Ausstellungsräumen an einen japanischen Tempeljahrmarkt erinnert, etwa so wie in Tora-sans Welt. Die mechanischen Puppen nach traditionellen japanischen Charakteren im Erdgeschoss, das Dekor der Theaterfassade im Keller, der Lebensmittelstand im Garten – all das erzeugt die typische Feststimmung. Die «interaktive» Installation, in der man Dinosaurier mit seiner Lieblingsfarbe besprühen kann, erinnert an eine Jahrmarktsattraktion. Obwohl die meisten der Apparaturen, die man auf dem Boden verstreut findet, so etwas wie die Verkörperungen der Launen und Fantasien eines Schuljungen sind (wie die eine, in der es um mögliche Gründe fürs Aussterben der Dinosaurier geht – alle zu blöd, etwa «weil sie sich nicht den Hintern abwischen können» –, oder die mit den fünf Ventilatoren, die einem eine Brise aus Nizza oder Korsika herüber wehen soll und einen dann mit unerwarteten Bewegungen überrascht, sobald man den Knopf drückt), hat es gar keinen Sinn, sich über ihren kindischen Charakter aufzuregen, weil sie ja als Jahrmarktsunterhaltung begriffen werden wollen.
Einige Installationen ziehen unsere Aufmerksamkeit jedoch ganz besonders auf sich, und zwar, weil man eine Art Todestrieb hinter ihrer Aktivität spürt – dabei beruhen sie so ziemlich auf denselben seltsamen Ideen. Das sprechendste Beispiel ist die Installation mit verurteilten Verbrechern, die verzweifelt den Galgen auszutricksen versuchen: Jeder von ihnen versucht seinen Körper am Fallen zu hindern, entweder indem er heftig in die Schlinge beißt oder mit gespreizten Beinen auf einem breiten Spalt des Gerüstaufbaus steht (der war mal beim Zirkus), oder indem er seine Backen extrem weit aufbläst (ein früherer Trompeter). Unter den komischen Situationen gähnt ein unermesslicher Abgrund des Todes: dies gilt, im übertragenen Sinn, auch für andere dieser Arbeiten. Ein herausragendes Beispiel ist «der sicherste Fahrersitz der Welt», den man in jede Art von Fahrzeug einbauen kann, einen Transporter, einen Jumbo-Jet und ein nukleargetriebenes Unterseeboot (der Sitz ist ein Produkt von HONPA – statt HONDA – , ein ärmliches Wortspiel, vielleicht eine bissige Seitenbemerkung zum chinesischen Plagiatswesen). Es versteht sich von selbst, dass das ein lebensgefährlicher Ausrüstungsgegenstand ist, der an Kitanos eigenen Motorradunfall vom 2. August 1994 erinnert, den er selbst als «gescheiterten Selbstmordversuch» bezeichnet hat, und von dessen Nachwirkungen seine starren Gesichtszüge bis heute zeugen. Ein anderes Beispiel ist ein Kurzfilm über Kalligrafie, im Keller zu sehen, in dem ein schwebender Mann, der einen großen Pinsel hält, mit Seilen von mehreren Männern manipuliert wird, die nichts tragen als einen Lendenschurz (wie Sumo-Ringer), und zwar in der Absicht, dass er einen großen Brief auf die Bodenplatte schreiben soll. Diese spielerische Anordnung, die einen unmittelbar in seine verrückten Fernsehshows der Achtziger zurückversetzt – insbesondere zum berühmten Takeshi’s Castle –, könnte sehr gefährlich sein, mit dem aufgehängten Körper in Lebensgefahr.
Tatsächlich sind das Spielerische und der Tod zwei zentrale Eigenschaften seiner filmischen Arbeiten. Während Getting Any (1995) und Kikujiros Sommer (1999) eine große Vielfalt harmloser Gags bieten, erzählen Hana-bi und Dolls (2002) Geschichten vom Tod. Die besten Momente haben seine Filme aber in der Begegnung dieser beiden Elemente. Jeder erinnert sich, wie sich das Paar in Hana-bi, bevor es am Ende Doppelselbstmord begeht, den ganzen Film hindurch mit kleinen Spielen und harmlosen Späßen vergnügt. Auch eine Szene in Sonatine (1993) ist unvergessen, in der zwei junge Yakuza, die am Strand von Okinawa nichts Besseres zu tun haben, als sich mit einem geladenen Revolver zu amüsieren, sprachlos reagieren, als ihr Boss, gespielt von Kitano, ihnen ein Russisches Roulette vorschlägt und an seiner Schläfe schelmisch den Abzug drückt. Für Takeshi Kitano sind auch die künstlerischen Aktivitäten von diesem Dualismus bestimmt. Kein Zweifel an der Existenz des Spielerischen, zu bewundern etwa in «Monsieur Pollock», einem Automaten, der abstrakt-expressionistische Gemälde herstellt, oder bei mehreren lustigen Kunstwerken, die mit höchst unerwarteten Geräten hergestellt werden (ein Ventilator und ein ferngesteuertes Auto erzeugen abstrakte Gemälde, ein Duschkopf arbeitet pointillistisch, ein Bunsenbrenner produziert Tuschmalerei usw.). Dass aber Kunst untrennbar mit Tod und Zerstörung verbunden ist, belegt Kitanos Film Achilles unddie Schildkröte (2008), der die Lebensgeschichte eines erfolglosen Malers namens Machisu (benannt nach Matisse) erzählt. Er versucht alles, folgt dabei etwa auch den wenig hilfreichen Empfehlungen seines Händlers, um Gemälde zu schaffen, die sich verkaufen. Ja, er geht so weit, sich in der Badewanne zu ersticken, nur um sich in einer Extremsituation zu befinden und dadurch künstlerische Inspiration zu erlangen. Kunst ist nicht möglich, setzt man nicht das eigene Spiel aufs Leben – das wäre die Moral dieses Films.
Sehen wir uns nun Kitanos Gemälde genauer an. Seine jüngsten zwanzig oder dreißig Acryl-Gemälde mit unterschiedlichen Motiven, die im Keller hängen, sind nicht so interessant. Schon eher eine Gemäldeserie, die bis 1996 zurückreicht und die man teilweise in Hana-bials diejenigen gesehen hat, die die im Rollstuhl sitzende Figur Horibe sich ausdenkt, als er an der Front eines Blumenladens vorüberkommt. Diese Gemälde, auf denen man imaginäre Gestalten mit Tierkörpern und Blumenkopf sieht (eine Sonnenblume auf einem kopflosen Löwenkörper, eine Lilie auf einem Panther, ein Stiefmütterchen auf einem Waschbären etc.), finden sich ausdrücklich in dreidimensionale Objekte mit dem Titel «Die Tier-und-Blume-Vasen» transformiert. Die Wiederkehr dieser über ein Jahrzehnt alten Stücke verweist auf die fundamentale Bedeutung chimärischer Figuren in der Fantasie des Künstlers. In der Tat findet man halb-klandestin auf der Innenseite der düstren Theaterfassade im Keller unheimliche Geschöpfe, die buchstäbliche Chimären sind, darunter ein Elefant-Goldfisch, ein Kuh-Fisch und ein Giraffen-Degenfisch. Ganz dieselbe Fantasie sieht man in anderen Arbeiten am Werk. Etwa eine Serie wiederentdeckter «Geheimwaffen der Kaiserlichen Japanischen Armee», auch sie eine Art Chimären, nämlich Kombinationen aus Elefant und Gewehr, Walhai und Flugzeugträger, Chamäleon und Beiwagen etc. Man findet auch genmanipulierte Fische, deren Bauch vollgepackt ist mit bereits zubereitetem Sushi (hier kommt der Effekt einer mise en abyme hinzu). Diese Beispiele legen nahe, dass Takeshi Kitano ein Erbe der surrealistischen Imagination und ihres Vergnügens an der unerwartetsten Verbindung ist. Er würde perfekt in das letzte Kapitel von Romis Histoire de l’insolite (1964) passen, in dem sich eine Reihe seltsamer, bizarrer und exzentrischer Kunstwerke von der Antike bis ins 20. Jahrhundert versammelt finden.
Ausschnitte aus Fernsehsendungen, die im Kellertheater als «die wahren Werke von Beat Takeshi» vorgeführt werden, müssen für ein europäisches Publikum von besonderem Interesse sein. Seine TV-Performances sind zum größten Teil verstörend lächerlich, wie man nicht nur aus den Ausschnitten ersehen kann, sondern auch in seinem fünften Film Getting Any erkennt, den er unter seinem Bühnennamen Beat Takeshi gedreht hat, um so den Zusammenhang mit seiner Fernseh-Persona zu betonen. Man könnte sogar fast sagen, dass die ganze Ausstellung mehr von Beat Takeshi als von Takeshi Kitano bestimmt scheint. Das gilt ganz besonders für einen neuen sechsminütigen Film mit dem Titel Das ist Japan!, eine sardonische und nonsenselastige Vorführung typischer westlicher Irrtümer über Japan (Geishas, Ninjas, Hara-kiri usw.). Wenigstens sollten wir nicht vergessen, dass diese zwei Takeshis keineswegs so unvereinbar sind, wie man oft glaubt, sogar in seinen Filmen, besonders aber in dieser Ausstellung. Darum heißt der Künstler hier ja auch «Beat Takeshi Kitano», eine Kombination, die er in Japan niemals benutzt.
Die Ausstellung ist sicher in mancherlei Hinsicht interessant. Ich muss jedoch zugeben, dass ich die Filme definitiv höher schätze als das, was ich hier gesehen habe. Was beim Filmemachen unverzichtbar, im Museumsraum aber optional ist, ist ein entscheidendes Element: Zeit. Und meiner Ansicht nach ist die Manipulation der Zeit eine der großen Stärken von Takeshi Kitano. Sonst hätte er nicht fast all seine Filme so brillant montieren, noch hätte er überhaupt in der Welt des Komischen Karriere machen können. Letzendlich scheint es mir doch so, dass seine eigentümlichen Nonsense-Konzepte für sich selbst recht unoriginell und sogar banal sind – und dass sie am hellsten leuchten, wenn sie in einer bestimmten Abfolge vorgeführt werden.
Ausstellung Gosse de peintre in der Fondation Cartier, Paris, 11. März – 12. September 2010