Kunst glotzt TV Zur Ausstellung Changing Channels. Kunst und Fernsehen 1963-1980 im Wiener MUMOK
Wenn man der Legende eines gewissen Ron Burgundy Glauben schenken mag, so war es in den USA der 70er Jahre ziemlich schlecht bestellt um das schon längst zum Massenmedium avancierte Fernsehen. Was Will Ferrell und Adam McKay in ihrer Slapsticksatire Anchorman (2004) mit herrlichem, reichlich testosterongetränktem Brachialhumor zerlegen, zelebrieren sie zugleich als eine Liebeserklärung an die guten alten Zeiten, als die TV-Branche (noch) unfassbar naiv, ja reaktionär sein durfte und sich zugleich im Glanz des Neuen sonnen konnte. Diese Errungenschaft einer neuen «Sehweise» von einer heutigen Perspektive aus zu betrachten, kann freilich eine höchst aufschlussreiche Angelegenheit sein; denn gegenwärtig mehren sich gerade die Spekulationen über ein Ende des Fernsehens, etwa aufgrund zunehmender digitaler Alternativangebote. Es ist also ein geeigneter Zeitpunkt, dass sich eine aktuelle Ausstellung nun den künstlerischen Auseinandersetzungen (die ja im Idealfall immer auch ein Stück weit Kritik oder Reflexion in sich bergen) mit dem Medium Fernsehen widmet.
Im Blickpunkt der gerade zu Ende gegangen Schau des Wiener MUMOK, das bereits vor einigen Jahren mit «X-Screen» (2003) eine ähnlich groß angelegte Überblicksausstellung zu Phänomenen des Expanded Cinema ausrichtete, steht also die Verquickung von Kunst und Fernsehen, wie sie von den frühen 60er bis zu den späten 80er Jahren stattfand. Auch diesmal zeichneten die Künstler Julie Ault und Martin Beck für das Display der sich über vier Etagen erstreckenden Präsentation «Changing Channels» verantwortlich, was in Anbetracht der immensen Materialfülle eine besonders dienliche Setzung ausmacht, zumal die Arbeiten so in ihrem kuratorischen Konzept besser nachvollziehbar wurden. Dieses ist nach thematischen Blöcken strukturiert, die sich etwa dem spezifischen Bildstatus (und dessen Manipulation), den Konsum- und Rezeptionsformen oder auch den Mechanismen von Prominenz widmen.
Utopien demokratischer Nutzung
Wenig überraschend ist das Vorkommen großer Namen wie Nam June Paik, Wolf Vostell oder Peter Weibel, die unumstrittene Pionierarbeit bei der Beschäftigung mit dem Fernsehen geleistet haben. Das Medium Video spielt in diesem Kontext ebenso eine wichtige Rolle; Sony brachte Mitte der 60er Jahre den «Portapak» heraus, jenes tragbare Videoaufnahmegerät, mit dem es Künstlern wesentlich leichter fiel, gleichsam ihre Gegenentwürfe zu den offiziellen TV-Produktionen zu entwickeln.
Diese Utopie einer demokratischen Nutzung, die natürlich auch in Zusammenhang mit dem damaligen Zeitgeist betrachtet werden muss und für die das Konzept des Feedbacks eine geeignete Metapher lieferte, stand im Fokus des Kollektivs Raindance Corporation, das Anfang der 70er Jahre die Zeitschrift Radical Software herausgab, in der Einlassungen zum Thema veröffentlicht wurden, die vom Theoretischen bis zum Esoterischen reichten. 1972 schloss sich Raindance mit anderen Aktivisten zu TVTV («Top Value Television») zusammen, um just auf dem Parteitag der Demokraten eine mediale Gegenöffentlichkeit zu schaffen: Das rund einstündige Video «The World’s Largest TV Studio» zeigt eben nicht die offiziellen, formatierten Pressebilder, sondern bezieht neben Politikern ebenso Befürworter wie Kritiker und darüber hinaus die Macher selbst mit ein. Zweifellos ist das Moment der Partizipation, für die schon Brecht in seinen Überlegungen zum Radio plädiert hatte, wesentliches Merkmal und Anliegen vieler Arbeiten.
TV-Gerät als Objekt
In vielen Fällen kommt natürlich das TV-Gerät als Objekt zum Einsatz: Während Paiks berühmte installative Arrangements oft mehrerer, bunt flimmernder Monitore die Nobilitierung zur Skulptur anvisierten und somit doch recht affirmativ erscheinen, ging das Kollektiv Ant Farm aus San Francisco geradezu kampfeslustig vor. Zu einem regelrechten Postkartenmotiv wurde ihre Aktion Media Burn (1975), bei der sie am amerikanischen Unabhängigkeitstag mit reichlichem Brimborium die Fahrt eines Cadillacs durch eine Wand von Fernsehgeräten inszenierten, die sodann eindrucksvoll in Flammen aufging – ein Spektakel, zu dem man eine Vielzahl von Journalisten geladen hatte, womit die Popularisierung dieser Bilder garantiert war.
Die zumeist unliebsame Nähe von Dokumentation und Überwachung findet desgleichen in vielen Arbeiten Niederschlag, so plante etwa Michael Asher 1976 mit einem kommerziellen Sender eine Live-Schaltung in den Kontrollraum, um den Zuschauern einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren (ein Vorhaben übrigens, das in der ursprünglich geplanten Form nicht umgesetzt werden konnte). Nicht minder entlarvend und dabei auch noch komisch ist Allan Kaprows interaktives Telehappening Hello (1969), bei dem er die Sendungsregie übernahm und so die Mechanismen des Mediums vorzuführen vermochte, indem er den Gehalt der schnell wechselnden Bilder auf die pure Faszination der an unterschiedlichen Orten gefilmten Protagonisten von der technischen Möglichkeit einer Kontaktaufnahme beschränkte. (Mit Wehmut erinnert man hier die leider Wunschdenken gebliebenen TV-Inszenierungen der letzten Fussball-WM durch Godard).
Das ebenso aggressive Potenzial dieses Dispositivs veranschaulicht Yoko Onos Video Rape (1969), das zwar keinerlei Körperkontakt zeigt, aber dennoch die von Kameraleuten verfolgte Frau zum Opfer dieses Blickregimes werden lässt. Im gleichen Jahr traten Ono und John Lennon bekanntlich die Flucht nach vorne an, als sie während ihrer Flitterwochen die zu erwartenden Journalistenscharen zu sich ins Hotel luden und die mediale Aufmerksamkeit zu instrumentalisieren wussten, indem sie ihren Friedensprotest auf solche Weise öffentlich machten.
Warhols Soap Opera
Die Dekonstruktion der gegenständlichen Apparatur sowie des Betriebssystems Fernsehen unternahmen oft gerade jene Künstler, die mit den Sendeanstalten kooperierten – eine Liaison, die rückblickend nur mehr in diesen Sternstunden des Mediums möglich scheint, und hier vor allem im europäischen Raum, wo die staatlichen Programme viel länger quotenunabhängige Nischensendungen erhalten konnten, als dies etwa in den USAder Fall war.
Die Tatsache, dass wesentliche Impulse für eine erst im Entstehen begriffene Medienkunst von Österreich ausgingen, erschließt sich in der MUMOK-Schau nicht unbedingt, was auch daran liegen könnte, dass vor einigen Jahren ebenfalls in Wien eine Ausstellung genau diese Entwicklungsgeschichte eingehend rekapitulierte («RE-PLAY», Generali Foundation 2000).
In Zusammenarbeit mit dem WDR bzw. ORF jedenfalls gelang es etwa Jan Dibbets oder Weibel, mit Arbeiten wie TV as a Fireplace (1969) oder TV-Aquarium (TV-Tod 1) (1970/1972) die Flimmerkiste als festen Bestandteil des häuslichen Mobiliars zu ironisieren, indem diese Motive als (irritierendes) Fernsehbild ausgestrahlt wurden.
Weit mehr als bloße Randnoten bilden in diesem Zusammenhang zwei höchst erfreuliche Nebensektionen der Ausstellung: zum einen Gerry Schums Programme «Land Art» und «Identifications», die nur wenige Minuten dauernde 16-mm-Filme von so namhaften Figuren wie Alighiero Boetti, Richard Serra oder Robert Smithson auf die Bildschirme brachten und dabei sogar weitgehend auf einen erklärenden Kommentar verzichten konnten.
Zum anderen nimmt natürlich der Prediger der «15 minutes of fame» eine wichtige Rolle in dieser Überblicksschau ein: Sämtliche Fernsehsendungen von Andy Warhol, die von 1979 bis zu seinem Ableben 1987 für einen New Yorker Kabelsender und später für MTV entstanden, wurden hier versammelt. Die Dominanz von Oberfläche und «Lifestyle» erinnert nur zu sehr an die unzähligen Formate, die sich auch heute großer Beliebtheit erfreuen, doch wusste Warhol dieses Ungleichgewicht bereits mit Soap Opera (1964) zu fassen: In diesem Film wechseln sich bruchstückhafte Episoden ohne Ton mit musikalisch unterlegten Werbespots ab, was aufgrund der Montage letztlich doch eine seltsame Korrelation suggeriert. Und das ist es vielleicht auch, was die Ausstellung gerade in ihren komplexen Verzweigungen, die sie sich gönnt, zu veranschaulichen vermag; denn das Fernsehen wird hier keineswegs pauschal zu einem Feindbild gestempelt, vielmehr ist hier der Versuch gelungen, das Phänomen mit Weitsicht in all seinen wie auch immer gelagerten Facetten zu ergründen. Der gegenwärtigen Fernsehpraxis würde man davon nur zu gerne konstruktive Rückkoppelungseffekte wünschen.
Changing Channels. Kunst und Fernsehen 1963-1987 | Museum Moderner Kunst, Stiftung Ludwig, Wien 5. März – 6. Juni 2010