literatur

Blinder Oberzensor Über Shariar Mandanipurs Eine iranische Liebesgeschichte

Von Ekkehard Knörer

Sara und Dara gehen ins Kino. Sie sehen Abbas Kiarostamis Quer durch den Olivenhain, der Titel wird vom Erzähler nicht genannt, aber die Beschreibung ist eindeutig. Ein Film, der von einer Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Dreharbeiten zu einem Film erzählt und einen Filmregisseur in den Film einführt. Sara und Ara gehen ins Kino in Shariar Mandanipurs Eine iranische Liebesgeschichte zensieren, einem Roman, der einen Erzähler in die Erzählung einführt und von einer Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des hoch politisierten iranischen Alltags erzählt.

Der Roman hat drei Ebenen, die sich verselbständigen und wieder verbinden. Die Fäden in der Hand hat ein Erzähler, der sich im Erzählen immerzu unterbricht, um Leserinnen und Leser zu adressieren, die die Verhältnisse im Iran der Gegenwart nicht kennen. Mandanipur lebt seit einigen Jahren im Exil, das Buch konnte in seiner Heimat (selbstverständlich, muss man leider sagen) nicht erscheinen und existiert als Buch nur in Übersetzungen. Wie Mandanipur diese Erläuterungen für nichtiranische Leser zum organischen Bestandteil seiner Erzählkonstruktion macht, gehört zu den gelingenden Kunststücken seines souverän metafiktionalen Verfahrens. Refrainartig kehrt die Aufforderung wieder: «Ihr wollt wissen, wie das im Iran funktioniert?» «Dann fragt mich, ich werde es euch erklären.» Wie bei Kiarostami wird im Roman nie völlig klar, was Vordergrund, was Hintergrund ist: die Liebesgeschichte selbst, die Erläuterungen des Erzählers, die intertextuellen Verweise oder die Interaktion des Erzählers mit seinem (fiktiven) Zensor mit dem (intertextuell bei Dostojewskis Verbrechen und Strafe gewonnenen) Pseudonym Porfiry Petrovich: eine Mobile-hafte Konstruktion, in der lange mit großem Geschick und Rhythmusgefühl mal das eine, mal das andere Element nach vorne gespielt wird.

Die Intertexte sind literarisch und sie sind filmisch. Zu Beginn kontrastiert Mandanipur die von den Mullahs brutal von expliziter Erotik gereinigten Künste mit einem der berühmtesten klassischen Gedichte der persischen Vergangenheit: Nezamis Dreiecksliebesgeschichte Chosrow und Shirin aus dem 12. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung. Äußerst gewitzt kommentiert der Erzähler die erotische Metaphorik dieses Epos und die absurden Versuche, das Erotische daran religiös umzudeuten oder zu tilgen, eines Epos, das übrigens vielfach (früh schon in Persien, immer wieder auch von Bollywood) verfilmt worden ist und das unlängst – wiederum – Abbas Kiarostami so eigenwillig wie triumphal in Szene gesetzt hat: als Licht- und Soundinstallation, die sich einzig in den im Close-Up gezeigten Gesichtern der (fiktiven) Zuschauerinnen wiederspiegelt. (Der Film ist kürzlich in Großbritannien auf DVD erschienen.)

Sara studiert in Teheran iranische Literatur, was freilich heißt: die Literatur des 20. Jahrhunderts ist verpönt und verachtet. Dara studiert Film, ist politisch aktiv, gerät ins Gefängnis, wo er sich unter anderem mit einer an die Wand der Gefängniszelle imaginierten 7-Stunden-Version von Titanic und einer Farbfassung von Casablanca die Zeit vertreibt, gerät wieder aus dem Gefängnis heraus und landet unerkannt in der Kommission, die unter Vorsitz des blinden (sic) Oberzensors iranische und amerikanische Filme für den möglichen Einsatz in den Kinos des Landes begutachtet, bearbeitet und beschneidet. (Liebende werden kurzerhand zu Geschwistern und das «Tanzen» im Titel von Der mitdem Wolftanztist ein echtes Problem.)

Die Liebesgeschichte zwischen Sara und Dara, die am Rand einer Demonstration ihren Beginn nimmt, sich in Form von Buchstabenunterstreichungskassibern in verbotener Literatur (Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Die blinde Eule) und der erwähnten ersten «Begegnung» im Kino bei Kiarostami fortsetzt, gerät je länger sie dauert in immer größere Schwierigkeiten. Und das obwohl, daher der Titel des Buchs, der Erzähler die verfänglichen und teils ausgesprochen deftigen Stellen immer schon selbst zensiert – man kann sie im Text als durchgestrichene lesen. Ein reicher, von Saras Eltern als Gatte vorgesehener Mann namens Sinbad taucht auf, der Email- und SMS-Wechsel zwischen den Liebenden gerät ins Stocken und die ganze, zunächst so geschickt austarierte Geschichte beginnt zu zerfleddern und zu zerfallen. Was kein Kunstfehler ist, sondern in ästhetisch folgerichtiger Weise deutlich macht, wie schwierig, wenn nicht unmöglich es ist, im Iran unserer Tage eine Liebesgeschichte zu erzählen und auch zu leben.

 

Shariar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren (Unionsverlag 2010)