Krankheit als Waffe Über die US-Serie Breaking Bad
Segelt eine Hose aus dem blauen Himmel über der Wüste. Sie wird von einem auf der rötlich-braunen Sandpiste heranrasenden Wohnmobil erfasst und mitgerissen, an dessen Steuer ein Mann, mit nichts am Körper außer einer Gasmaske und einer Unterhose. Hinter ihm im Inneren des wild schlingernden Fahrzeugs auf dem Boden umherschleudernde Flüssigkeiten und Gegenstände sowie ein lebloser Körper.
Als der Wagen schließlich von der Piste abkommt und im Graben landet, torkelt der Fahrer hustend und sich die Gasmaske vom Kopf reißend heraus. Wieder einigermaßen zu Atem kommend, zieht er sich ein grünes Hemd über. In der Ferne hört man Sirenen wie von Polizeifahrzeugen.
Der Mann nimmt eine Handycam aus dem Van, richtet sie auf sich und spricht eine Botschaft an seine Familie, die klingt wie ein Testament: «Mein Name ist Walter White …» Er rechnet offenbar damit, nicht mehr lange zu leben. Die Sirenen kommen näher.
Mr. White stellt sich auf die Sandpiste, grünes Hemd, weiße Feinrippunterhose, braune Socken und Schuhe der Marke «Hush Puppies», der Blick starr in Richtung der herannahenden
Sirenen. Langsam hebt er die rechte Hand, in der er eine große Pistole hält. Die Waffe im Anschlag, verharrt White wie jemand, der zu allem entschlossen ist und nichts mehr zu verlieren hat.
So beginnt die erste Folge der Serie Breaking Bad, und schon in dieser Szene ist die eigentümliche Mischung aus (genuinem) Drama und (absurdem) Humor erkennbar, die diese Serie prägt, vergleichbar vielleicht mit einigen Filmen der Coen-Brüder wie Blood Simple oder Fargo. Nach Mad Men ist Breaking Bad die zweite Großtat des US-amerikanischen Kabelsenders AMC, der die von Sony Pictures produzierte Serie jetzt in der dritten Staffel ausstrahlt. Fundamentale ethische und moralische Konflikte werden auf dramatische und humorvolle Weise behandelt, wobei Creator Vince Gilligan und sein Team nicht vor Drastik und bis ins Surreale reichender Zuspitzung zurückschrecken. Es ist eine innovative Serie außerhalb von HBO, großes Erzählfernsehen, das sich einreiht in den Kanon der Giganten des neueren Quality-TV.
Wie diese zeichnet sich Breaking Bad durch ästhetische Eigenschaften aus, die mit dem Kino assoziiert werden. Während die hervorragendsten Vertreter dieses Genres wie The Wire, West Wing oder Deadwood gerade dadurch geprägt sind, dass sie auf spektakuläre Bilder verzichten und die Kameraarbeit zugunsten einer authentischen, quasi dokumentarischen Wirkung hinter der Erzählung verschwinden lassen (selbst die atemberaubenden Steadycam-Orgien bei West Wing dienen schließlich eher der Inszenierung rasanter und hochkarätiger Dialoge im Laufschritt – «walk and talk» – als dass sie als virtuose Kameraarbeit wahrgenommen werden sollen, während der Western Deadwoodfast völlig auf Landschaftspanoramen und Reitsequenzen verzichtet), spielen hier immer wieder opulente Bilder, forcierte Farben und filmische Manipulationen und Effekte eine charakteristische Rolle. Sei es, dass der wüstennahe Drehort Albuquerque und dessen Schauwerte kapitalisiert werden, die ansatzweise ans Monument Valley erinnern, sei es, dass atmosphärische Bildmontagen einzelne Folgen einleiten, unter Nutzung von Slow Motion, Zeitraffer, Schwarzweiß mit teilweisen Einfärbungen und anderen Mitteln artifizieller Bildgestaltung und Montage.
Fundamentale Veränderung einer Figur
In einer Zeit, in der besonders im Kino Darsteller bzw. Rollen über dreißig, ganz zu schweigen von den über Vierzigjährigen und noch Älteren, schlechte Karten bei Produzenten haben, wenn es um Hauptrollen geht und wenn die Darsteller nicht Harrison Ford oder Tommy Lee Jones heißen, dann kann man sich die gebremste Begeisterung vorstellen, die beim Pitching für Breaking Baddie Vorstellung der beiden tragenden Figuren bei den Entscheidern von Sony Pictures auslöste: Walter White (dargestellt von Bryan Cranston), der zu Beginn der Serie seinen 50. Geburtstag feiert, aber eher älter wirkt, entspricht beim besten Willen auch keinem noch so alternativen Konzept von Attraktivität: mit seinen schmalen Lippen und heruntergezogenen Mundwinkeln hat er eine freudlos resignative bis verbitterte Ausstrahlung, die sich mit seiner randlosen Brille und seiner bevorzugt beigen Kleidung zu einem Gesamtbild von zu Unsichtbarkeit tendierender Unauffälligkeit ergänzt. Dieser Mann erweckt praktisch gar keinen Eindruck, so dass es schwerfällt, sich einen ungeeigneteren Protagonisten auszumalen. Walter White ist Chemielehrer mit Zweitjob in einer Autowaschanlage, er hat eine schwangere Frau und einen mittelschwer behinderten Sohn.
Nicht besser wird die Sache durch seinen Partner-in-Crime Jesse Pinkman (Aaron Paul), ein ehemaliger Schüler von White, der ein wahrer Nichtsnutz ist, ein tumber Tor, faul, uncool und insgesamt so unsympathisch, dass er noch nicht einmal mit seiner Jugend punkten kann. Der Alptraum aller Lehrer und Eltern, der, schlimmer als jede Art von Rebell, die erziehungsberechtigten und verantwortlichen Älteren am Beruf und am Leben überhaupt verzweifeln lässt.
Es ist insofern erstaunlich, dass die versammelten Produzenten und Network-Vertreter sich dennoch zur Produktion zumindest der ersten Staffel der Serie bereiterklärten – inzwischen läuft die dritte. Offenbar vermochte es der Creator, Vince Gilligan, auf eine spezifische Möglichkeit abzuheben, die die TV- bzw. DVD-Serie im Unterschied zum Kinofilm hat: die Entwicklung und fundamentale Veränderung einer Figur über viele Stunden hinweg. Und genau das geschieht in Breaking Bad in einer Weise, wie man es noch nie zuvor gesehen hat. Dies ist die große Errungenschaft dieser Serie und, um es mit einem modischen Begriff zu sagen, ihr Alleinstellungsmerkmal.
Als White bei seinem Zweitjob einen Zusammenbruch erleidet, bekommt er die Diagnose Lungenkrebs, unheilbar, bei sofortiger Therapie mit der Chance auf eine gewisse Lebensverlängerung von unbestimmbarer Dauer. White wirkt nicht besonders geschockt im Hinblick auf seine radikal verkürzte Lebenserwartung, solange es dabei nur um ihn geht. Schnell erwacht bei ihm aber der Instinkt des Familienvaters, dessen Frau ein Kind erwartet, dessen Sohn behindert ist, und dessen Haus noch nicht abgezahlt ist. Ein Fernsehbericht bringt ihn auf eine Idee, wie er für die finanzielle Sicherheit seiner Familie ebenso sorgen kann wie für die Finanzierung der dadurch erforderlich gewordenen Verlängerung der Lebenszeit durch eine teure Chemotherapie – White ist, wie es in den USA nicht unytpisch ist, unterversichert, seine Frau drängt ihn zudem zu einem teuren Spezialisten. In dem Bericht geht es um die gigantischen Gewinne, die auf dem illegalen Markt mit der Droge Crystal Meth, einem Amphetamin, gemacht werden. (Methamphetamin hat seit einigen Jahren Crack abgelöst, als ebenfalls verhältnismäßig billige und extrem effektive Alternative zur herkömmlichen Beschleunigerdroge Kokain.)
Als Chemielehrer qualifiziert für die Herstellung von Speed, besinnt sich White auf eine Einladung seines Schwagers, der bei der US-Drogenpolizei DEA eine mittlere Führungsposition innehat, einer Razzia als Zaungast beizuwohnen. Als er, Anschauung suchend, im Van der Fahnder sitzend zusieht, wie das Einsatzkommando ein Drogenlabor stürmt, beobachtet er, wie aus einem höher gelegenen Stockwerk ein junger Mann in Unterhosen flieht, der beim Versuch, sich dabei die Hose anzuziehen, vom Vordach stürzt. Als der unverletzt bleibende junge Mann sieht, dass er beobachtet wird, gibt es einen Moment gegenseitigen Erkennens und zugleich eine erste Form von Komplizenschaft: der junge Mann bedeutet seinem ehemaligen Lehrer White flehentlich, ihn nicht zu verpfeifen, und White tut geistesgegenwärtig genau das: er bleibt einfach ruhig sitzen. Man ahnt, dass dies den Anfang von etwas Größerem bedeutet, auch wenn man das, was sich da anbahnt, nicht unbedingt den Beginn einer wunderbaren Freundschaft nennen kann. Eher wird es eine Zweckgemeinschaft, nach dem Motto: «I got the brains, you the connections». White ist so gut als Chemiker, dass sein Crystal Meth schon bald bis weit über die Grenzen nach Mexiko hinaus Furore macht. Und Jesse ist zumindest in der Lage,Verbindungen zu Dealern herzustellen. Es stellt sich allerdings schnell heraus, dass das gemeinsame Geschäftsmodell Quelle einer Menge Probleme ist, die schon bald nicht nur zur Gefahr für die beiden Protagonisten werden, sondern auch für diejenigen, die White damit eigentlich schützen will: seine Familie.
Partners in Crime
Man versteht zunehmend das großartige Konfliktpotenzial, das die Ausgangskonstellation bietet: White muss sowohl mit einigen der härtesten Gangster Geschäfte machen (und diese dabei zugleich auf Abstand halten und ihren Respekt erringen), als auch seinen Schwager täuschen, den DEA-Agenten, der auf ihn bzw. sein kriminelles Alter Ego angesetzt ist. Am Schlimmsten aber ist das Dilemma mit seiner Frau, die er unablässig belügen muss, um seine Aktionen und seine Einkünfte bzw. deren Herkunft zu vertuschen. Außerdem erweist sich sein jugendlicher Kompagnon als noch unzuverlässsiger, als man das ohnehin annehmen musste.
Paradoxerweise wachsen beide auch mit ihren Aufgaben und überwinden teilweise ihre vermeintlichen Charakterschwächen, und wieder fühlt man sich an die Filme der Coen-Brüder und ihre Figuren erinnert: normale, einfache Leute, die in extreme Situationen geraten und dabei über sich hinauswachsen – mit ebenso dramatischen wie komischen Effekten.
So wird Jesse streckenweise der Motivator seines zwischenzeitlich in Resignation zu verfallen drohenden Mentors, der in ihrer kriminellen Partnerschaft besser gewisse Erziehungsziele zu erreichen scheint, als zu Zeit ihres legalen Lehrer/Schüler-Verhältnisses. White wird vom Leisetreter und Loser zum zumindest nach außen harten und coolen Erfolgstypen, dessen Ruf ihm in der Welt der Drogengangs vorauseilt. Sehr schön, wie ein Musikvideo mit einer echten «Narcocorridos Band» – diese mexikanischen Combos besingen und verherrlichen den Lifestyle von Drogenhändlern – Teil einer Folge der zweiten Staffel von Breaking Bad ist, in dem der legendäre Drogenkoch Heisenberg besungen wird – Heisenberg ist Whites Deckname im Milieu.
Warum eigentlich der Chemiker White als Pseudonym den Namen eines berühmten Physikers wählt, erschließt sich nicht unmittelbar. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass Heisenberg auch an einem Nuklearprogramm der Nazis und dem Versuch der Entwicklung einer Plutoniumbombe beteiligt war, macht die Sache durchaus Sinn. Zum einen trafen da die Physiker auf die Chemiker. Zum anderen wird hier eine nicht unlustige Metapher für die Bildungsbürger unter den Zuschauern installiert – schließlich verhält sich, so ja die Legende, herkömmliches Speed zu «Heisenbergs» Crystal Meth wie ein Chinaböller zur Atombombe.
An Aufgaben zu wachsen bedeutet im Fall von White allerdings auch, immer mehr der Heisenberg zu werden, als den ihn die Unterwelt sieht. Er muss sich immer weiter verstricken, um die von ihm als notwendig für die Versorgung seiner Familie errechneten 700 000 Dollar einzunehmen – mal zwei, denn Jesse bekommt die Hälfte aller Einnahmen.
Die Konsequenzen aller Handlungen sind bedeutend schwerwiegender als gedacht. Ein guter (Klein-)Bürger kann eben nicht einfach mal eben ohne weitere Komplikationen einen Ausflug ins kriminelle Milieu unternehmen. Es kommt zu ungemein krassen, oft zugleich äußerst brutalen wie auch komischen Zuspitzungen. Diese überaus originellen und extremen Ideen, die hier zum Tragen kommen, sind ein weiteres herausragendes Merkmal der Serie und wohl auch ein bedeutender Faktor für ihren großen Publikumszuspruch.
Völlig ins Gegenteil der – zumindest in Bezug auf seine Familie – guten Absichten droht das Ganze umzukippen, als seine Frau droht, White zu verlassen, weil sie annehmen muss, dass er eine Affäre hat und somit auf noch andere Weise ein Doppelleben führt als tatsächlich der Fall.
Ist die Handlung und die Entwicklung der Figuren in der ersten Staffel noch sehr auf die beiden Protagonisten White und Jesse konzentriert, so bekommen in der zweiten (und dem Vernehmen nach auch der dritten) Staffel andere Figuren größeres Gewicht und Gelegenheit zur Entfaltung. Auch werden bestimmte konzeptuelle, filmische und erzählerische Verfahrensweisen variiert und verfeinert. So etwa die Idee, in der Einleitungssequenz einer Folge einen Ausschnitt aus dem Höhepunkt derselben Folge zu zeigen, dessen Vorgeschichte dann nach der Titelsequenz aufgerollt wird. In der zweiten Staffel gibt es mehrere Einleitungssequenzen, die in Schwarzweiß gehalten sind, und die sich im Laufe der Staffel inhaltlich ergänzen, wobei das erste Bild dieser Staffel auch sein letztes ist. Es beginnt mit einem rosa eingefärbten, offenbar beschädigten Teddybären in Whites Pool, dessen eines Glasauge sich verselbständigt hat und langsam zum Wasserfilter am Poolrand gezogen wird. Die Atmosphäre am Pool, dargestellt über einzelne Objekte und Totalen des Gartens, ist desolat und irgendwie «spooky». In weiteren Anfängen dieser Staffel sieht man immer mehr Objekte, die am Poolrand aufgereiht und in Plastikfolien gehüllt sind. Man liest das Wort «Evidence» – «Beweisstück». Die Auflösung dieser Andeutungen ist spektakulär.
Breaking Bad. Die komplette erste Staffel (7 Folgen auf 3 DVDs) und Die komplette zweite Staffel (13 Folgen auf 4 DVDs) sind bei Sony Home Entertainment erschienen