modernes ereignis

Coca Cola Village

 

Der Facebook-«Like»-Button hatte jüngst erstmals Ausgang. In Israel organisiert Coca Cola alljährlich einen Vergnügungspark des eher einfallslosen Namens «Coca Cola Village». Nur für Jugendliche und mit manchem Drum und manchem Dran, Wasserrutschen, Swimmingpool, Beachfußball, im Werbefilmchen sieht das alles allerdings reichlich unspektakulär aus. Der Clou ist nun der: Am Eingang erhält jede/r Besucher ein Armband mit RFID-Funkchip, auf dem die Facebook-Identität gespeichert ist. An jeder Attraktion im Vergnügungspark konnten die Besucher nun über ihr Armband das berüchtigte «Like» klicken, das dann im realen Facebook-Eintrag der Betreffenden verzeichnet wird. Auch Tagging von Fotos, auf denen man auftaucht, ist mit dem Armband möglich.

Facebook will raus, das zeigt auch die jüngste Generalinnovation namens Places. Ein Nachahmerprodukt des in den USA sehr erfolgreichen geografischen Selbstanzeigediensts Foursquare. Die kritische Masse (ein sehr irreführender Begriff), die diesem in Deutschland noch fehlte, wird jetzt vermutlich gleich bei Facebook bleiben. Das Prinzip ist dies: Man gibt der großen weiten Welt der Freunde nicht nur bekannt, was man tut, denkt, fotografiert, liest, sondern auch wo man sich im Real Life gerade aufhält. Und nicht zu vergessen: mit wem. Da lauert dann auch gleich wieder eines der aparten Datenschlupflöcher, für die Facebook zu Recht so berühmt ist. Man kann da nämlich auch ohne eigenes Zutun von Freunden verraten werden, die es, versteht sich, nur gut gemeint haben. Ehe man sich’s versieht, ist man immer schon selber drin, im Facebook-Netz.

Es ist die weitere Forcierung kontrollgesellschaftlicher Mobilmachung. Der User als vor sich hinblinkender Punkt neben mit ihm nicht oder doch, so oder so verbundenen Punkten in einer Karte. Plötzlich diese Übersicht. Die fröhliche Selbstverdatung schreitet voran. Mit der Lokalfunktion, dem Like-Button und den Freunden algorithmisiert sich das Individuum zum berechenbaren Kunden. User, denen dieses gefällt, drücken wir jene Werbung aufs Auge. Google hat mit seinen Ads eine vorläufig ökonomisch befriedigende Schnittstelle zum Interessensprofil seiner Nutzer gefunden.

Aber eigentlich wollen Facebook wie Google mehr als das: hinaus in die Wirklichkeit. Es gibt da allerdings ein Interface- Problem, Techniken werden noch gesucht. Vermutlich ist dann eh wieder Apple derjenige, der mit einer geklauten und schick umdesignten Innovation den Markt knackt. Augmented Reality wäre das eine. Die Option, per Mobil-Interface der Welt etwas aufzuprägen und abzulesen, was in ihr «eigentlich» (aber was soll das schon noch heißen: eigentlich) gar nicht drin ist. Erkennungsdienstliche Behandlung der Umwelt: Was gibt’s in dem Laden, was sagt Qype, was sagen deine Freunde. In diesem Steakhaus schmeckt es allen, die auch Jonathan Safran Foers Tiere essen gemocht haben. Die materielle Welt wird per Erkennungssoftware und/oder Barcodes und/oder RFID-Kontakt mit der virtuellen Welt kurzgeschlossen.

Facebook ist immer schon Weltverdopplung, aber als (wenn auch notorisch nie ganz dichte) geschlossene Anstalt. Mein Haus, mein Auto, meine Katze, mein sozialer Graph. Sozialer Graph: der beziehungstechnische Datenverhau, der ich, mit Rechneraugen betrachtet, so bin. Was draußen stattfindet, bekommt bei Facebook, so oder so ähnlich, als Kommunikation unter körperlich Abwesenden seinen virtuellen Ort. Facebook pulsiert als der Wirklichkeit nachgeformte Sozialschicht aus Namen, Daten und geteilten Vorlieben um meine virtuelle Subjektidentität. Der nächste Schritt, und das entbehrt nur auf den ersten Blick jeder Logik, ist der Reentry der virtuellen in die wirkliche Welt. Man sitzt in realen Lokalen mit realen Freunden im Namen von Facebook zusammen und trinkt einen Schnaps auf George Spencer Brown. Es ist außerdem, wo zwei oder drei im Namen von Facebook Places versammelt sind, die Werbewirtschaft, das versteht sich von selbst, mitten unter ihnen. Was wir brauchen werden, sind ökonomisch fundierte Ontologien gespenstisch anmutender doppelt und dreifach anwesender Daten. Darstellungstechnisch fehlen noch: überzeugende Allegorien von Algorithmen. (Wobei: das Facebook-Like ist de facto die Allegorie der algorithmischen Vorliebenselbstverdatung.)

Wie es so weit kommen konnte, ist eine andere Frage. Die stellt sich gerade David Fincher (Regie) mit Aaron Sorkins (Drehbuch) Hilfe im Film The Social Network, der der Schmutzige-Wäsche-Recherche The Accidental Billionaire von Ben Mezrich folgt. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte von Facebook von bizarr hoher Unwahrscheinlichkeit: Da gründet ein nach allem, was man so hört, am Soziopathentum nur gerade so vorbeischrammender Typ mit sehr viel mehr Glück als Verstand und mehr Gier als Moral (sowieso) eher aus Versehen eines der erfolgreichsten Unternehmen der Internet- und Sonstwasgeschichte. Am Anfang von Facebook, den der Film rekonstruiert, stand eine unguteste Mischung aus Frauenaufreißportal und dummdreist herumpöbelnder Harvard- Schnöselelite.

In der ersten und bei Redaktionsschluss auch einzigen Kritik des Films glaubt Scott Foundas nun, dass die «scheinbar hermetischen Codes der Harvard University zum Fundament einer globalen Online-Community werden, die selbst nichts weiter ist als die Reflexion einer weltumspannenden Highschool-Kantine, der wir niemals entkommen können». Wenn das mal nicht arg unterkomplexe Küchensoziologie ist. Der Vater aller Dinge ist nicht die Kantine und auch nicht mehr der Krieg. Du, ich, wir alle, die wir (bei) Facebook sind, werden doch nur deshalb mit unserem eifrigen Zutun durchalgorithmisiert, damit uns die Werbeindustrie jeden Wunsch von den Augen ablesen kann. Man sieht ihn nicht, man schmeckt ihn nicht, man riecht ihn nicht – und doch ruft der Facebook-Like-Button jetzt auch in der Draußen-Realität: Ick bün all hier. Das Coca Cola Village ist unsere schöne neue Welt.