Schnitt Stefan Stabenow im Gespräch
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Regisseur/inn/en grundsätzlich, wie funktioniert sie konkret mit Christoph Hochhäusler? Ab welchem Zeitpunkt sind Sie in die Filme involviert?
Das ist unterschiedlich. Manchmal komme ich erst spät zu einem Projekt, treffe vorher den Regisseur vielleicht nur ein einziges Mal – bei Jan Bonny (Gegenüber) war das zum Beispiel sehr kurzfristig. Mit Christoph dagegen bin ich kontinuierlich im Gespräch, einfach, weil wir lange befreundet sind. Dabei erzählt mir Christoph auch von seinen Ideen, davon, was ihn gerade umtreibt. Daher kenne ich die Projekte oft schon aus diesem Stadium. Dann schickt er mir früh Fassungen des entstehenden Drehbuchs; und mitunter sprechen wir natürlich auch darüber, wie der Film montiert sein könnte, Christoph erzählt von seinen Vorstellungen von der Montage, verweist auf bestimmte Filme, die wir uns dann manchmal auch zusammen ansehen.
Bei Unter dir die Stadt war das insofern speziell, als ich erst eine Woche vor Drehschluss mit der Arbeit angefangen habe. Die Zusammenarbeit mit Christoph ist sehr intensiv und nicht ganz einfach zu beschreiben, weil es da recht unterschiedliche Phasen gibt in den drei, vier Monaten, die der Schnitt in Anspruch nimmt. Es gibt Phasen, wo ich das Gefühl habe, ich muss mit dem Material allein sein, weil ich häufig sehr intuitiv arbeite. In anderen Phasen gibt es dann den Dialog, ich versuche, Christophs Anregungen aufzunehmen, wir diskutieren über Ideen, probieren Verschiedenstes aus, um eine Schnittfassung weiter zu entwickeln und zu verbessern.
Wie viele Stunden Material gab es bei Unter dir die Stadt?
Ich weiß es gar nicht genau, schätze aber, dass es deutlich über dreißig Stunden waren. Ich habe sechs, sieben Tage gebraucht, um es einmal komplett zu sichten. Das ist zunächst ein ganz passiver Vorgang. Ich setze mich dem aus, sehe mir das Material einer Szene so lange an, bis mich bestimmte Dinge – Bilder – anspringen, sich ein Schlüsselbild, eine Bildfolge herauskristallisiert. Wenn ich eine Idee für ein Muster, ein Modell einer Szene vor mir sehe, dann kann ich das, das ist das Wunderbare an den Computern, ganz schnell schneiden. Vereinzelt experimentiere ich auch kurz unmittelbar mit Bildern, ohne den «Schlüssel» für die Szene bereits gefunden zu haben. Grundsätzlich halte ich aber eine «innere Vorstellung» davon, wie eine Szene aussehen soll, für notwendig.
«Innere Vorstellung» heißt eine Rhythmusidee? Tempo? Die Assoziation eines Bildes zu einem anderen?
Es hat mit allem davon zu tun. Es fängt schon damit an, dass Bilder eine bestimmte Energie, eine Aufladung haben, man spürt, dass sie in ein bestimmtes Verhältnis treten zu einem anderen Bild, manchmal ziehen sie sich förmlich gegenseitig an. Es ist eigentlich wie Tagträumen, mit fremdem filmischen Material voller Geheimnisse. Dafür ist der Computer wiederum gar nicht notwendig, ausgedruckte Szenenfotos können ein gutes Hilfsmittel sein. Die Erinnerung an das Material arbeitet in einem ständig weiter und oft stelle ich mir Szenen auch zuhause vor: Morgens, während der ersten Minuten nach dem Aufwachen, ist ein Zeitraum, der sich dafür schon sehr bewährt hat. Das Spannende am Schnitt ist, dass man nicht von vornherein einen Fahrplan hat, dass also vorbestimmt wäre, wann welche Einstellung erscheint. Zunächst ist das völlig frei. Ich weiß ja nicht, wie sich Bernhard [Keller, der Kameramann] und Christoph die Auflösung zurechtgelegt haben. Ich sehe nur die verschiedenen Einstellungstypen und sehe die jeweiligen Unterschiede von Take zu Take. Es ist nicht so, dass ich nach einem Auflösungsskript oder Storyboard arbeite. Das ist, auch wenn es natürlich analytische Momente und ein Hintergrundwissen über bestimmte Zielrichtungen des Projekts gibt und den engen Austausch mi den Regisseuren, eine sehr intuitive Arbeit.
Wie beginnen Sie die Schnittarbeit? Mit einzelnen Szenen oder mit übergreifenderen Strukturen? Wie war das konkret bei Unter dir die Stadt?
Ich glaube, die erste war die Cafészene, die zweite Begegnung von Cordes (Robert Hunger-Bühler) und Svenja (Nicolette Krebitz). Ich brauchte zunächst mal ein Gefühl für bestimmte Dialogszenen, weil ich noch nicht genau wusste, in welcher Art ich vorgehen würde; wie man über den Schnitt versuchen kann, Dinge zu erzählen, die eigentlich von inneren Zuständen, von Gefühlen handeln. Das ist ja sehr wichtig in dem Film: all diese Dinge, die nicht so ohne weiteres visualisierbar sind, die sich im Verborgenen abspielen: die Bankgeschäfte, der innere Zustand von Cordes, der eine Sehnsucht nach einem anderen Leben entwickelt. Ich habe mir immer wieder die Nahen angesehen – was spielt sich ab in den Gesichtern der beiden? Überhaupt habe ich viel Zeit damit verbracht, das Spiel zu studieren, kleine Regungen und Gesten zu finden, die spiegeln, was in den Menschen vorgeht. Das sind dann manchmal auch Momente im Spiel, die eigentlich von früheren oder späteren Stellen im szenischen Verlauf stammen, aber von dort «entlehnt» werden. Diese Details treten zueinander in eine Beziehung, was den Rhythmus der Szenen stark mitbestimmt.
Und diese erste Szene haben Sie dann in eine vorläufige Fassung gebracht, die Sie dann Christoph Hochhäusler gezeigt haben?
Ja, bei einer so komplexen Szene sitze ich erst einmal alleine dran, schneide sie, ohne den Anspruch, dass es das jetzt schon ist. Diese Fassung zeige ich Christoph, wir besprechen es, ändern etwas, oder ich überarbeite die Szene später. Diese Szene ist im Verlauf des ganzen Prozesses einige Male verändert worden, gekürzt auch.
Das wird bestimmt durch andere Stellen, durch die Beseitigung von Redundanzen?
Man ändert eine andere Szene, ohne zunächst zu wissen, wie sich das genau auf wieder andere Szenen, teils an ganz anderer Stelle des Films auswirkt. Oft ist das kaum mehr analytisch zu fassen, wie das genau zusammenhängt, aber die Auswirkungen sind jedenfalls spürbar. Die Cafészene hat sich in ihrer ursprünglichen Länge rhythmisch nicht mehr ideal angefühlt. Das ist durchaus typisch beim Schneiden: Wenn man sich, meist sehr spät im Prozess, klar ist, welche Struktur und genaue Szenenfolge der Film haben wird, kürzt man nicht selten noch einiges, passt Szenen individuell an den Rhythmus des Films an, macht den Feinschnitt.
Ich finde es schwierig, die Eigenart des Films begrifflich zu fassen. Mein erstes Adjektiv dafür war «halb abstrakt». Vielleicht könnte man sagen, er bewegt sich ständig in einem Spannungsfeld von Transparenz und Opazität. Es leuchtet mir stark ein, das genau als musikalisch zu beschreiben. Apropos: Wie ist das mit der Musik? Wann kommt die dazu im Entstehungsprozess?
Relativ früh. Benedikt Schiefer, der Komponist, hatte uns Entwürfe geschickt. Er hat uns im Schnitt ein-, zweimal besucht und wir haben gemeinsam experimentiert und überlegt, an welchen Stellen Musik eine Rolle spielen könnte. Sobald es einen ersten Rohschnitt gibt, spielt der Musikeinsatz schon eine Rolle. Bei dem Film schien mir das ohnehin sehr wichtig. Es geht bei Unter dir die die Stadtja ständig um die Wechselwirkung von Ton- und Bildebene, und um das Dritte, das daraus wiederum entsteht. Das Unsichtbare, das schwer Greifbare interessiert mich an dem Film besonders. Benedikt hat diese Layout-Musiken immer wieder überarbeitet – die Endfassung habe ich dann gar nicht mehr mitbekommen, bzw. die hat mir Christoph dann noch geschickt, aber da war der Film schon fertig geschnitten.
Und haben Sie da den Wunsch, noch einmal einzugreifen? Es ist ja nochmal ein recht aggressiver Eingriff.
Bei dem Projekt war das nicht so, denn, als ich die gemischte Fassung gesehen habe, fand ich das sehr überzeugend. Die Einsatzorte sind die gleichen geblieben. Grundsätzlich bedaure ich es schon, dass diese Phasen nicht noch mehr parallel laufen. Man verliert da Chancen, was die Wechselwirkung zwischen Bild- und Tonebene angeht. Es wäre noch einmal viel aufregender, wenn z.B. das Sounddesign noch mehr parallel zum Schnitt passieren und es früher eine professionelle Vormischung geben könnte.
Es gibt im Film einen auffallend abstrakten Einsatz bestimmter Bilder. Am auffälligsten vielleicht die Drehtür, auch die Fahrt im Aufzug? Wie kam es dazu und wie verhält sich das zu den stärker im narrativen Realen verorteten Szenen?
Diese abstrakten Bilder sind ja separat entstandene Aufnahmen, dafür hatte Christoph, ganz abseits vom Dreh, den Moskauer Magnum-Fotografen Guergui Pinkhassov beauftragt. Das ist ein Fotograf, den Christoph außerordentlich schätzt, mit dem er schon länger einmal zusammenarbeiten wollte. Pinkhassov hat dieses Material ganz frei gesammelt, teilweise in der Welt der Banken, teilweise aber auch unabhängig davon. Diese Bilder waren für uns völlig frei einsetzbar, letztlich sehr assoziativ in der Verwendung. Am dichtesten in der Titelsequenz, etwa die Luftaufnahmen vom Flugzeug, auch später das auf der Tischoberfläche gespiegelte Flugzeug. Sie wurden übrigens mit einer Fotokamera aufgenommen, mit der man aber auch HD-Filme drehen kann. Es war sehr reizvoll, im Schnitt Material zur Verfügung zu haben, das überhaupt nicht vorbestimmt ist, das man frei verwenden konnte.
Was mir neben diesen recht deutlichen Unterschieden des Materials als vielleicht stärkster Schnitt-Eindruck von dem Film bleibt, ist die Schärfe, die Abruptheit der Übergänge zwischen einzelnen Szenen. Eine, wie mir scheint, sehr bewusste Lust an der Kontrastwirkung, am Elliptischen auch.
Ich bin kein Verehrer von Montagen, die versuchen, Szenen ineinander gleiten zu lassen. Mir geht es um Kontraste, darum, sie auch spürbar zu machen. Die Lücke, die Betonung des Ausschnitthaften als wesenhafte Eigenschaft jeder Erzählung, das Brüchige, das Fragmentarische sind mir wichtig. Da bin ich auch sehr von Musik geprägt, wie dort über abrupte Wechsel von Rhythmus, Tempo und Harmonien die Komposition immer wieder gebrochen und dabei strukturiert wird, wie z.B. in der Musik Alfred Schnittkes, oder wie Dissonanzen sich an harmonischen Klangflächen reiben, etwa bei Charles Ives. Wenn Rhythmus sich zu sehr im Gleichmaß bewegt, wird es langweilig. Er muss gebrochen und angefochten werden. Nicht zuletzt, weil es ja auch im Film um Anfechtung geht, in der Figur des Bankers, der einen Entwurf für ein anderes Leben sucht, aber da ist dann nichts, was er leben könnte. Eine glatte und rationale Montage widerspräche der Irrationalität, die das menschliche Handeln immer mitbestimmt und die in dem Film eine große Rolle spielt. In eine ähnliche Richtung gehen die immer wieder auftauchenden Momente einer subjektiven, subjektiv verstärkten Wahrnehmung, wenn Geräusche unnatürlich laut sind, wenn das Verhältnis von Lautstärke und Distanz zu Figuren nicht stimmt, sich verschiebt, wie bei dem Telefonat zwischen Cordes im Turm und Svenja in der Tiefgarage etwa oder stark vergrößerte Bildausschnitte, z.B. als Svenja mit dem Finger über eine Kerbe in der Holzvertäfelung des Hotelzimmers fährt und Cordes eben diese Berührung beobachtet.
Was mir gut gefällt an dem Film ist, dass das letztlich unaufgelöst bleibt, dass er, wieder musikalisch gesprochen, Auflösungen in einer Konsonanz und damit auch einfache Erklärungen verweigert.
Darum finde ich auch diese Szene so interessant, wenn Cordes mit dem Besuch dieses Hauses in Mannheim, von dem er behauptet, er sei darin aufgewachsen, sich spielerisch und intuitiv eine falsche Biografie andichtet, wahrscheinlich ohne sich selbst klar darüber zu sein, warum er das eigentlich macht. Und je mehr er sich dieser Sehnsucht nach einem anderen Leben hingibt, scheint das Fundament seines «alten» Lebens Risse zu bekommen und brüchig zu werden.
Diese Brüchigkeit spiegelt sich dann auch in der Montage. Etwa, wenn Svenja spät im Film in sein Büro kommt und es gibt diesen Schlagabtausch. Er hat einen Termin, muss weg, steht unter Druck – und da taucht sie auf. Das könnte man im Schuss/Gegenschuss als fortgesetzte Steigerung montieren, hier ist diese Steigerung aber intermittierend montiert, dadurch, dass man immer wieder rausspringt, in Momenten, in denen es einen Stillstand gibt, ganz kurz, dann sehen wir beide in einer Halbtotale, sie stehen sich gegenüber, keiner sagt was, sie bewegen sich eigentlich nicht, dann der Sprung zurück nah an die Achse, Schuss auf sie, sie kommt auf ihn zu, damit ist wieder Bewegung, Dynamik in der Szene: ich dachte da an eine erzählerische Distanz, bei der aber auch etwas von einem Blick der beiden auf sich selbst mitschwingt.
Mit Stefan Stabenow sprach Ekkehard Knörer