Ton Andreas Mücke-Niesytka
Zu Beginn und am Ende: das sonore Sprechen von Josse de Pouw liegt wie ein Nachhall über den Bildern; am Anfang, wenn man den Ausschnitt eines Zimmers sieht und am Ende, die Worte aus dem Off, die des Abschieds, ein Echo über dem Bild des entfernt hinter dem Flugfeld liegenden Gebäudes des Flughafens.
Kann man dort, in Orly überhaupt mit O-Ton drehen? Im ersten Gespräch über die Dreharbeiten mit Angela Schanelec geht es um technische Parameter. Das selektive Hören unserer Ohren versus Mechanik, die Elektronik der Mikrofone, die dieses Auswählen sehr viel weniger beherrscht.
Nach Probeaufnahmen wird schnell klar, dass der O-Ton, d. h. der am Drehort synchron zum Bild aufgenommene Ton, nicht an allen im voraus ausgesuchten Schauplätzen des Films im Flughafengebäude von Orly zu gebrauchen sein wird. Es ist einfach zu laut. Für den Hauptdreh werden dann Drehorte festgelegt, an denen die geplanten Situationen stattfinden können.
Die Idee, den öffentlichen Raum des Flughafens als Bühne – für die Darsteller – zu benutzen, und zugleich die eigene – des Drehteams – Anwesenheit diskret zu verbergen, macht den teilnehmenden Beobachter zum Voyeur. Das langbrennweitige Arbeiten mit der Kamera erlaubt es, die Räume ohne sichtbaren Eingriff zu erfassen.
Die helle Architektur dieser klassischen Moderne, die lichtdurchlässigen Glasfronten, die gestalteten Bereiche auf den verschieden Ebenen werden dem Film ein flirrendes, leichtes Setting geben. Die Kadrage der Bilder formt den Raum wie kristallin, sehr klar. Akustisch aber wirkt der Raum während des Blicks durch Sucher oder auf den Monitor der Kamera wie ein Konglomerat aus allem Möglichen, undifferenziert: Das sich zigfach überlagernde, polyphone Stimmengewirr vermengt sich mit den Geräuschquellen, manche verortbar, andere nicht, zu einer opaken Lautheit, die dem subjektiven Bildeindruck des Gesehenen widerspricht.
Es muss darum gehen, den Ort akustisch zu entmüllen, zu entleeren, um ihn neu zu definieren: Das reine Sprechen der Darsteller zusammenzufügen mit signifikanten Geräuschen, die dem Bild, der Dramaturgie, der filmischen Erzählweise entsprechen.
Um konsonant zu werden, arbeitet man kontrapunktisch: Das Operieren des Boomoperators, bekannt aus der Ikonografie von Dreharbeiten, ist hier genau aus diesem Grund nicht möglich: man würde den Raum, den man zeigen will, zerstören, die Aufmerksamkeit gerade derjenigen auf die Technik ziehen, die ja zugleich als Akteure das Bild mit bestimmen.
Denn was sonst aufwändig mit choreografierten Komparsenbewegungen erzeugt wird, ist hier dem Augenblick geschuldet, dem Zufall des Flüchtigen, man sieht immer wieder wechselnde Flughafenbesucher/gäste, hört aber nicht, was sie sprechen. Ihre akustische Anwesenheit in den Bildern scheint wie gedimmt, ihre Worte, Gespräche unverständlich, dafür sind Gesten und Körperhaltungen präsent. Zwischen all den Reisenden, auf den Abflug Wartenden positionieren sich die Darsteller in ihren Rollen. Um ihnen zuhören zu können, tragen sie ihre Mikrofone unter der Kleidung versteckt.
Sie werden aus der Distanz in ihrem Agieren, das für den nichteingeweihten Betrachter nicht als Spiel erkennbar ist, beobachtet, aufgezeichnet und «abgehört». Sie wirken allein, räumlich entfernt, von der Regie, von der Technik, Kameras und Ton, vom Team. Ihr Reden ist ein leises Sprechen, unauffällig, visuell wenig unterscheidbar von dem der anderen Passanten. Vor allem durch die Präsenz ihrer Stimmen werden sie sofort in der Menge identifizierbar, akustisch herausgehoben.
In einigem Abstand von ihnen wird mit einem weiteren Mikrofon in perspektivischer Übereinstimmung mit der Kamera die Atmosphäre aufgenommen, die der Bildausschnitt zeigt. Es ist der akustische Raumabdruck, mehr diffus als eindeutig, kaum zuordenbar: die Schritte der Passanten, die Lautsprecherdurchsagen, eine räumliche Dimension wird so angedeutet.
Und all das, was man in der allgemeinen Betriebsamkeit nie hören würde, wird fokussiert beim Versuch, es so klar wie möglich als singulären Ton aufzunehmen, dem Lärmen des Ortes trotzend.
Die Basis für die weitere Bearbeitung. Das im Film Hörbare ist das künstlich Hergestellte, der O-Ton mit der postproduzierten Tonbearbeitung und Tongestaltung (Frank Kruse) neu zusammengemischt (Matthias Lempert). Es geht darum, dem Realen das Hyperreale zu entreißen, das dem Bild Entsprechende akustisch herzustellen zu versuchen, den realen lauten Ort zu einem poetischen zu gestalten, indem die Geräusche zerlegt und neu gebaut werden. Der Tongestalter als Komponist, der Recordist als Sammler und derjenige, der den Boden bereitet, antizipierend, für das, was sein könnte …
Im Schatten
Bild 14, Mövenpick, Euopacenter. Trojan trifft Dora, eine Anwältin. Klandestin. Sie gibt ihm einen Tip, wie er zu Geld kommen kann. Es werden mögliche Verfahrensweisen besprochen. Die Lautstärke des öffentlichen Ortes, hier Mövenpick, macht ihn abhörsicher. Dora und Trojan reden trotzdem leise. Sicher ist sicher. Wörter werden vernuschelt, weggesprochen, nicht artikuliert.
Während des Drehens hat Thomas Arslan, der dem Spiel der Darsteller aus einem Meter Entfernung zusieht, einen Kopfhörer auf. Er könnte dem Dialog sonst nicht folgen. Die Betonakustik im Innern des Europacenters verstärkt jedes Geräusch in ihrer leeren Mitte, an die das Mövenpick Café angrenzt, zigfach zu einem diffusen Lärmpegel mit überwiegend indirekten Hallanteilen und einem grausigen Klang, der bei längerem Verweilen unerträglich wird. Dazu kommen noch die üblichen Muzakgeräusche. All das bezeichnet die akustische Atmosphäre des Drehortes.
Die Tonaufnahme mit einem Richtmikrofon über den Köpfen der Darsteller sowie den unter der Kleidung befestigten Miniaturmikrofonen (die je nach Bildausschnitt näher an der Schallquelle das Gesprochene aufnehmen können) wird zu einem Tanz auf dem schmalen Grat des technisch Machbaren. Man verstößt gegen diverse Parameter: die Lautstärke des Drehortes liegt teilweise über dem am Aufnahmegerät angezeigten dB-Wert des Dialogs. Man versteht nichts mehr oder nur noch schwer. Wie vermittelt sich die für die Geschichte des Films wichtige Information, ohne zu synchronisieren?
Der Tonmann/Tongestalter wird kriminalistisch tätig: Erst das Abhören und Aufzeichnen am abhörsicheren Drehort und später beim Tonschnitt die Kärrnerarbeit des Tonsäuberns: Aus den diversen Takes, die während des Drehens ausgezeichnet wurden, werden die akustisch besten Sequenzen zusammengesucht, um je nachdem dann unverständliche Silben, Wortteile, Wörter oder auch ganze Sätze lippensynchron auszutauschen. (Dank an Jochen Jezussek.)
Sychronisieren hieße hier, den Film in seiner angelegten Form, in seiner Einheit zu beschädigen: Das Spiel und das Sprechen der Schauspieler an einem enervierenden Ort ist ein anderes als das nachträglich im staubtrockenen Studio vor einem Monitor nachträglich erstellte. Das am Drehort manchmal direkt nach Ende einer abgedrehten Szene nachgesprochene Wort sei hier ausgenommen.
Schreien und Flüstern
Das leise Sprechen ist auch die Flucht vor dem Mimetischen. Das affirmative Lautwerden, das Sprechen der Bühne zerstört jede Großaufnahme. Das inflationäre Lautwerden, um Emotionen zu zeigen, ist der Ausdruck des Fernsehens: Schreiende Schauspieler bekommen diesen verzerrten Gesichtausdruck, ermüdend für den, der das hören und ansehen muss, die Intention des Ausbruchs verkommt meist leider zur Attitüde, zur Pose. Das Reden und Sprechen ohne übertriebene Intonationen erscheint dann richtig erholsam. Das Unbetonte erscheint als das Konzentrierte. Missverständlich nur, wenn es zu einem geflüsterten Geraune wird, bedeutungsschwanger, nachts, im Gegenlicht.
Es ist das Gesetz der Physis, dass wer lauter redet, sich auch mehr gebärden muss, die Gesichtsmuskeln arbeiten anders als beim leisen Reden, wenn der Mund zubleibt und das Zurückgenommene das Intensivere ist. «Weniger ist mehr» – gerade bei Frauenstimmen: denn das Hochfrequente laut werdender Darstellerinnen kippt leicht ins Quäkende oder Hysterische. Es ist etwas sehr Europäisches. Das körperlose leise Reden erscheint dann asiatisch.