Medien der Serie Serien in Zeiten von Bittorrent
«Does it seem weird in here to you?», fragt Alec Baldwin Tina Fey zu Beginn der 30 Rock-Episode «Live Show», woraufhin aus dem Bild-Off schallendes Gelächter zu hören ist, das der männliche Star der Serie gelassen entgegennimmt, um kurz darauf die nächste Pointe zu setzen: «Like in a Mexican Soap Opera» – genau, oder wie bei etwas, das 30 Rock auch nicht ist: eine Sitcom mit eingespieltem laugh track. Gewöhnlich ist die Pointen-Dramaturgie der NBC-Vorzeigeserie viel zu rasant geschrieben und montiert, um Zeit für vorformatierte Einschreibungen von Rezeptionsaffekten zu finden.
Das schräge Moment von Folge vier der fünften 30 Rock-Staffel, die am 14. Oktober diesen Jahres erstausgestrahlt wurde, war konzeptueller Natur und bestand in der Eventidee einer zweifachen Live-Ausstrahlung: erst atlantic, dann pacific time. Das Studiolachen kam nicht aus dem absoluten Off, sondern aus einem relativen: dem hors-champ eines Bühnenraums, der aus 30 Rock eine Broadway-Show werden ließ, live und von multiplen Kameras aufgezeichnetes Komödientheater.
Im Grunde funktionierte dieses Dispositiv wie bei einer hypothetischen Fußballübertragung, bei der die Regie schon vorher weiß, was als nächstes passieren wird. Mehrere Kamerapositionen waren auf das Spielfeld gerichtet – ein in verschiedene Raumcontainer unterteiltes Bühnensetting, im Grunde wie bei Frank Castorfs legendärer Volksbühnen-Inszenierung des Idioten – und wurden live geschnitten. Und zwar mit dem sportiven Ehrgeiz, das wesentlich aus der Montage heraus generierte rasante Normaltempo der Serie in das Experiment mitzunehmen. Wilde Reißschwenks und eine schon lange fällige Spiegelbesetzung waren wesentliche Elemente der Anordnung. Julia Louis-Dreyfus trat als Tina Feys Comedy-Body-Double auf, was zwei Schwestern der US-Fernsehseriengeschichte, zwei kulturindustrielle Vertreterinnen eines spezifisch amerikanischen Post-Feminismus endlich coram publico zusammenführte: Liz Lemon meets Elaine Benes.
Medientheoretisch betrachtet sah man also die Verwandlung einer Comedy-Serie in türenschlagendes Boulevard-Theater, das sich wie eine Sitcom anfühlte, bei der etwas nicht stimmte, weil zu real und vor Ort gelacht wurde.
Und alles war letztlich: direkt übertragenes US-Fernsehen, das unmittelbar nach der Ausstrahlung in die Bittorrent-Zirkulation eingespeist wurde und im Rest der Welt als Aufzeichnung einer Live-Sendung ankam.
Am Ende einer Remediatisierungsschleife, die mit der Theaterwerdung eines Fernsehformats beginnt, steht also eine mediale Aufführungsform, die weder mit Theater noch mit Fernsehen unmittelbar zu tun hat: eine global rezipierte Bewegtbilddatei, die außerhalb des «Networks», nämlich auf allen möglichen Screens zu Hause ist, was die Frage aufwirft, in welchem Sinn außer dem schlicht produktionspragmatischen respektive «produktionskulturellen» (John T. Caldwell, siehe cargo 5) hier eigentlich noch von «Fernsehserie» die Rede sein kann.
Mit aufgerufen ist in diesem Kontext auch die Diskussion, ob «Fernsehen» überhaupt noch eine relevante Kategorie in der ästhetischen Analyse insbesondere der jüngeren, innovativen Serienformate darstellt oder ob nicht etwa die staffelweise abgepackte Werkeinheit «DVD-Box» als Ausgangspunkt theoretischer Bemühungen fungieren muss. Hinzu kommt der Umstand, dass in Zeiten von TV-on-Demand und fortschreitender Fusion von Internet und Fernsehen der televisuelle Flow als Medieneigenschaft immer unsignifikanter wird.
Die «Live Show» von 30 Rock könnte so gesehen als letztes symbolisches Aufbäumen eines jenseits von Sport-Events aussterbenden Mediums erscheinen, als Versuch, den immer portabler werdenden Speichermedien nochmal zu zeigen, was eine echte Live-Harke ist. Mit Blick auf die gigantischen Bittorrent-Schwärme, die unmittelbar nach den Erstausstrahlungen amerikanischer Serien routinemäßig im Netz anwachsen, kann man aber auch den Eindruck haben, dass hier das Internet ein Stück weit die angeblich anachronistischen fixen Programmschienen des Fernsehens reinstalliert. Wer heute nicht mehr auf die DVD-Publikation aktueller Serien warten möchte, holt sich montags den HBO- und AMC-Sonntag aus dem Netz, macht den NBC-Donnerstag zu (s)einem Freitag. Ein globaler Flow, ganz altmodisch fernsehlogisch getaktet, mit relativ festen Programm-/Downloadzeiten; ein weltweit im Wochenrhythmus simultan rezipierendes Kollektiv an Schwarzsehern, das am Ende vielleicht sogar wieder orthodox vor einem Fernsehgerät sitzt und auf der Fernbedienung die Programmoption «USB-Stick» anwählt. War nicht das immer schon der mediale Kern von Fernsehen als kultureller Praxis: Feste Zeiten, unflexible Rituale, Wiederholungsvergnügen?