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... an und für sich...

Von Peter Praschl

Patti Smith, Free Money, Stockholm 1976. Damals bewegen sich Menschen, die Musik hören, noch so, auch Rocksänger. Nicht für eine Kamera, nicht für das Publikum, Bewegung, die keinen Adressaten hat und keine Botschaft. Patti Smith will bloß den Überschuss loswerden, den die Musik in ihrem Körper produziert, muss sich das weghampeln, ausschütteln. Es geht nicht darum, etwas zu zeigen, vielleicht geht es sogar darum, nicht mehr zeigen zu müssen, endlich. Damals ist richtige Musik genau so: Sie lässt solche Körper möglich werden. Wenn man das sieht, weiß man: In den ist die Musik eingefahren, endlich einmal.

Wir (welches? Menschen, mit denen ich damals unterwegs war, mussten sich nicht einmal kennen, um «wir» denken zu können) sind nicht oft so gewesen, aber oft genug, um es nicht mehr vergessen zu können; die Sehnsucht, dass es wieder einmal so sein wird, endlich wieder. Der Strom soll fließen, body electric, das Patti Smith-Babelogue-Programm, «I don’t fuck much with the past, but I fuck plenty with the future».

Das Wissen, dass man sich auch für eine Kamera bewegte, die Augen-Überwachungskamera in dir, kein «wir» mehr, kam erst später. Richtige Musik war: Wenn man nicht mehr nachdachte, wie es für jemand anderen, eine Kamera, einen Filmregisseur aussehen würde, wenn man sich zu ihr bewegte. Mein Problem bestand immer darin, dass ich keine Ahnung hatte, was ich mit den Armen machen sollte. Mithampeln? Hängen lassen? Es gab Stücke, bei denen mir das völlig egal war.

(Es gab immer diese Typen, die den ganzen Abend herumstanden, unbeteiligt, mit niemandem sprachen, rauchten. Und dann, wenn der DJ eine Platte auflegte, mit denen ihr Körper etwas anfangen konnte, abgingen, als hätten sie ihre Finger in eine Steckdose gesteckt, Schüttelanfall. So wollte ich auch sein, dachte, das könnte mich heilen.)

(Ziemlich gut auch, wie Joe Cocker sich im Woodstock-Film zu «With A Little Help From My Friends» bewegte. Spastisch, sagten wir. Was seltsam war, weil wir nicht wissen konnten, wie Spastiker sich bewegen. Ein paar Jahre später habe ich ein paar Monate lang mit einem spastischen Kind zusammengelebt, es bewegte sich tatsächlich wie Joe Cocker, saß in seinem Rollstuhl, schüttelte sich, heulte dazu «wie ein Wolf» (obwohl ich nie einen Wolf heulen gehört habe).)

(Lag mit Michaela im Bett, der «Rockpalast» lief, eigentlich hatten wir vögeln wollen, und es dann vergessen, weil Chappo einen so elektrischen Körper hatte.)

(In Alexandre Rockwells Lenz-Verfilmung von 1981 diese Szene, in der Lenz und Rose oder Oberlin, ich weiß es nicht mehr, in einer schrabbeligen Wohnung in New York tanzen, Lene Lovich, Lucky Number, glaube ich: «Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte».)

Dann war es plötzlich aus damit. Die Leute bewegten sich anders. Sie hatten Choreografien. Sie tanzten füreinander, für Augen, Überwachungskameras, was häufig dasselbe ist. Kam kaum noch vor, dass jemand tanzte, ohne sich dabei vorzustellen, wie es für einen Beobachter aussähe. Die Körper machten das nicht mehr, höchstens, wenn sie breit waren. Vielleicht, weil MTV erfunden worden war, die Videos, Disco, keine Ahnung.

Plötzlich wirkte es peinlich, wenn sich jemand noch bewegte wie Patti Smith in Free Money, Stockholm 1976. Oder wie Thelonious Monk, während das Saxophon sein Solo spielte, war ja dabei immer vom Klavier aufgestanden und hatte getanzt, auf eine Weise, über die man sich oft lustig gemacht hatte, Drehungen im Uhrzeigersinn, eine Synchronität, die in seinem Körper war, nichts für Zuschauer.

(Die Disko-Szenen in deutschen Kriminalfilmen, die so oft völlig falsch aussehen, weil die Leute für den Kameramann tanzen statt für sich selbst)

Ist weg gewesen, diese Art zu tanzen, plötzlich weg. Ich gäbe viel darum, wenn es wieder so wäre.