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How To Understand Israel in 60 Days Or Less / Blutspuren

Von Stefanie Diekmann

© Edition Moderne

 

In 60 Tagen: schwanger werden, den richtigen Job finden, seine Einkünfte verdoppeln, lernen, wie man ein tolles Leben führt, Muskeln aufbauen, ein Sachbuch schreiben, eine Autorität werden. Alles geht in 60 Tagen (check Amazon); gar nichts geht in 60 Tagen, nichts, worauf es wirklich ankäme, und weil das ja alle wissen und «60 Tage» als nichts anderes gelten kann denn als Chiffre für allzu einfache Lösungen und allzu beschleunigte Lernprogramme, muss man eigentlich nicht viel darüber sagen, wie das mit Israel und den 60 Tagen zu verstehen ist.

No way. Natürlich. Nicht in 60 Tagen, nicht in 80 (in denen man bekanntlich um die Welt reist, ohne viel von ihr zu sehen), und ganz sicher nicht in den 10, in Worten: zehn, Tagen, die für eine Erstbegegnung mit Israel vorgesehen sind, inklusive Stadtbesuche, Gründungsmythen, heilige Stätten, Peer Group Pressure und Encounters und gerade so viel Zeit für Diskussionen, dass die Reise nicht gleich als ein Indoktrinationsprogramm bezeichnet werden kann.

Das 10-Tage-Programm existiert tatsächlich, seit etwa zehn Jahren, i.e. seit dem Sommer 2000, unter dem Namen Taglit-Birthright Israel, mit einer Website, einer Anzahl von Partnerorganisationen und einer starken Agenda, die darin besteht, das Bewusstsein jüdischer Identität unter den nichtisraelischen Teilnehmer/inne/n zu fördern und ihre Verbindung zur jüdischen Kultur und Geschichte zu stärken, alles im Rahmen einer komplett gesponserten Tour, die von den Golanhöhen über Tel Aviv, Masada, das Tote Meer usw. führt; Jerusalem zum Abschluss, Anschlussurlaub möglich, 200 000 Gäste allein bis zum Sommer 2009 und stets sehr viel mehr Anmeldungen als freie Plätze.

Sarah Glidden hat ihre Taglit-Tour im März 2007 gemacht: eine skeptische Teilnehmerin mit säkularem Hintergrund, einem Boyfriend aus pakistanischer Familie und einigen sehr klaren Ansichten zur Rollenverteilung im israelisch-palästinensischen Konflikt. Wo alles klar ist und das Urteil bereits gefällt, kann es nur darum gehen, dass alles sich nach einer Weile weniger klar darzustellen hat und das Urteil schwankend werden muss, Tag für Tag ein wenig mehr, bis man am Ende in einem Hostel in Istanbul unter neuen Bekannten sitzt und auf die Frage «What’s the deal with that place [Israel] anyway?» erst einmal keine Antwort hat.

«Well …», ist das letzte Wort dieser Graphic Novel, die gegen die Formate der Rat- und Antwortgeberliteratur den Reisebericht in Stellung bringt und gegen die Position der Gewissheit den Prozess der Verunsicherung derjenigen, die auf einmal nicht mehr nur von außerhalb betrachten. Was gewiss eine relativ konventionelle Erzählung ist. Reisen bildet, Reisen verändert, Reisen ist, aber ja, die Standardbewegung des Selbstverlusts und der Selbstfindung; «Taglit», so informiert eine andere Website, heißt «Entdeckung» (optional: von Zugehörigkeit, Identität, Verbindung); und dass dergleichen Entdeckungen am Ende erst begonnen haben und wohl zu einer sehr langen Geschichte werden, ist ebenfalls Topos und Teil eines Erzählmusters.

Wo der Prozess, die Öffnung zum Wesentlichen erklärt werden, sollte der Output nicht zu perfektionistisch erscheinen: Das ist eine andere Grundregel des Work in Progress, die für How To Understand Israel bedeutet, dass hier nichts durchgezeichnet oder ausgearbeitet aussieht, vielmehr alles ein wenig skizzenhaft, dafür umso liebevoller koloriert. («A lively and colorful world», heißt es in einer Rezension.) Man kann nicht viel gegen diesen Comic einwenden, außer eben: dass man nichts gegen ihn einwenden kann; Gliddens Reisebericht ist artig, regelgerecht, politisch und ästhetisch korrekt, ohne Arg in der Behandlung seines Sujets und ungeschützt genau im richtigen Maß; ein Buch für die College-Studenten dieser Welt und für alle jungen Amerikaner, die noch über ein Jahr im Peace Corps nachdenken.

Ich mag Rutu Modan lieber. Nicht Joe Sacco, auf dessen Palestine (2002) und Footnotes In Gaza (2010) in den Rezensionen zu Glidden etwas zu häufig hingewiesen wird, sondern Rutu Modan, die in Blutspuren ebenfalls von einer Suche erzählt, an deren Ende mehr Verwirrung herrscht als am Anfang. Blutspuren beginnt mit dem Verschwinden von Gabriel: Taxifahrer, lausiger Vater, lausiger Liebhaber, Egoist, gewohnheitsmäßiger Lügner und vielleicht bei einem Bombenanschlag getötet. Keiner, um den es besonders schade wäre; doch werden zwei andere Figuren sehr viel Zeit damit verbringen, seine Spur zu verfolgen, wieder eine Art von Reisebewegung, die auf die Autobahn, in andere Städte, ans Meer führt und immer wieder zu Begegnungen, nach denen keiner wirklich klüger ist als zuvor.

Als Bestandsaufnahme einer Gesellschaft ist Blutspuren nicht deshalb interessanter als How to Understand Israel, weil hier «von innen heraus» perspektiviert würde, sondern weil die Kategorien von Schuld und Verantwortung, Gefahr und Sicherheit, Unglück, Investigation, Parteinahme kreuz und quer durch die Erzählung verschoben werden, bis keine mehr an dem Platz steht, in dem sie sich in dem anderen Reisebericht wieder befindet. «Die Situation», wie sie bei Glidden genannt wird, ist dabei durchaus gegenwärtig: Es ist ein Anschlag, der die Suche in Gang setzt, es sind Einblicke in Verlust und gewaltsame Tode, die später wie nebenbei und zwischen den Zeilen auftauchen; dies ist keine alltägliche Geschichte und zugleich eine Geschichte über den Alltag in Israel, zwei merkwürdige Protagonisten und ein Glücksbegehren, das von Modan mit einigem Respekt behandelt wird.

Eine Reminiszenz an die Ästhetik der Ligne Claire findet sich übrigens bei Glidden wie bei Modan, in beiden Fällen modifiziert, das heißt: einmal dem Register der Skizze angenähert, einmal vergröbert und von der zierlichen Erscheinung, die in LC-Comics von Hergé bis Floc’h regiert, deutlich abgesetzt. Zwei Spielarten der Distanzierung also, von Tintin, dem Kinder-Reporter-Ermittler, der Jugendliteratur, dem Kinderzimmer, der übergroßen Klarheit, die immer schon als verdächtig gelten muss (und gerade deshalb so gerne als Folie für Geschichten der Unordnung und der Verwirrung verwendet wird), zwei ausführlich zelebrierte Abschiede, aus einem Lebensalter und aus der Naivität, über die wir vor allem wissen, dass wir sie nicht teilen wollen, es sei denn vorsätzlich; aber das ist in die Zuständigkeit anderer Comic-Zeichner gegeben.