Ein Touch Noir Der Hegel-Experte Robert Pippin hat ein Buch über die Rechtsphilosophie klassischer Western geschrieben
Dass es im Western immer auch um die Probleme des Übergangs von einem rechts- und staatslosen Naturzustand in eine unter der Doppelherrschaft von Gesetz und Geschäft stehende bürgerliche Ordnung geht – und damit um Fragen des Rechts, der Gerechtigkeit und der Autorität – , ist keine besonders gewagte These. Warum also nicht die klassischen Western als Beitrag zur politischen Philosophie lesen, die sich ebenfalls, wenn auch in abstracto, mit diesen Fragen befasst?
Robert Pippin, der in Chicago lehrende große Hegel-Interpret, nimmt sich genau dieser, schon etwas gewagteren Aufgabe an. In Abgrenzung zur institutionalistischen Fokussierung des philosophischen Mainstreams auf Fragen der gerechten Ordnung erkennt er im Western eine grundsätzliche Reflexion auf die arg vernachlässigten Probleme der politischen Psychologie. Etwa auf die Frage, welche Art von Subjekten (ausgestattet mit welchen psychischen Einstellungen, welchen Leidenschaften) das politische Zusammenleben unter Bedingungen der Moderne eigentlich erfordert.
Für sein Vorhaben wählt Pippin ein recht konventionelles Set an «Qualitätswestern» – John Fords Stagecoach (1939), The Searchers (1956) und The Man Who Shot Liberty Valance (1962) sowie Howard Hawks’ Red River (1948). Auch im Lichte dieser Auswahl ziert John Wayne wohl zu Recht das Cover. In Stagecoach sieht Pippin die Möglichkeiten einer die Klassengrenzen überschreitenden politischen Einheit ausgelotet – e pluribus unum. Red River thematisiert das Recht zu herrschen, überkommene Formen paternalistischer Autorität, ihre quasi-revolutionäre Infragestellung und Neubegründung auf egalitärer Basis. The Man Who Shot Liberty Valance wiederum zeigt die Gewalt am Ursprung einer jeden rechtlichen Ordnung; auch jener, die sich selbst als Alternative zur
Gewalt setzt und so legitimiert (immerhin hieß der erschossene Bandit ja Liberty mit Vornamen). In The Searchers geht es schließlich um die Logik der Rache und – insbesondere im ikonischen Schlussbild – um die Exklusion des mit der neuen Ordnung Inkompatiblen (in Gestalt des von Wayne gespielten Ethan).
(Fast) Nichts, was Pippin über diese Filme sagt, ist falsch, aber wenig davon hält wirklich, was Titel und Einleitung versprechen. Das liegt auch an den, gerade in einem so schmalen Band, etwas sehr ausführlichen Inhaltsangaben, die ursprünglich – bei den dem Buch zugrundeliegenden Castle Lectures in Yale – als Präventivmaßnahme gegen unterstellte filmische Halbbildung durchaus berechtigt gewesen sein mögen. Allerdings könnte das irritierende Gefälle zwischen dem Allgemeinheitsgrad der anfangs aufgeworfenen Probleme und dem über weite Strecken nacherzählenden Konkretismus der Filmanalysen auch eher Symptom einer gewissen, dann unvermeidlich auch auf den Leser übergreifenden Ratlosigkeit des Autors sein («I am not sure where, if anywhere, this leaves us»).
Für einen Hegelianer vielleicht wenig überraschend, vermag Pippin sich zudem nicht so richtig zu entscheiden, ob der Western nun als Teil eines spezifisch US-amerikanischen Selbstverständigungsdiskurses oder wirklich als Beitrag zur politischen Philosophie zu verstehen ist, der auch unabhängig von der Frage nach dem Schicksal der Vereinigten Staaten in der unmittelbaren Nachbürgerkriegszeit politiktheoretisches Interesse beanspruchen kann. Beide Optionen in der, wenn auch sicherlich treffenden, Formulierung der «mythic universality» zusammenzuziehen, kann noch kaum als adäquate Antwort gelten.
Trotz dieser doch recht grundlegenden Probleme zeigt sich allerdings immer wieder auch Pippins (in anderen Bereichen ohnehin unbestrittener) interpretatorischer wie theoretischer Scharfsinn. So versteht er die von ihm verhandelten Western im Prinzip als Meta-Western, in denen die ur-amerikanische Mythenproduktion des Western selbstreflexiv thematisiert und unterlaufen wird. Die diesem «mythological modernism» eigene meta-mythologische Reflexion auf die auch politisch folgenreiche Verflechtung von Wahrheit und Mythos verkompliziert Pippin zufolge auf häufig übersehene Weise die dem Western als Genre zugeschriebene moralische Schwarzweißmalerei – statt Westernromantik und eindeutigen Urteilen also ein Touch Noir. Auch aus diesem Grund darf man gespannt sein, wie sich das Verhältnis der Schwächen und Stärken von Pippins Analyse im für den kommenden Sommer angekündigten Folgeband Fatalism in Film Noir: Some Cinematic Philosophy verändern wird.
Outlaw Passions
Zutiefst existenzialistisch ist Pippin zufolge auch der Blick, den Ford mit The Searchers in die amerikanische Seele wirft. Ethan wird von Pippin als Inkarnation der seelischen Kosten zivilisatorisch notwendiger, zum Teil aber eben auch überschüssiger Repression gedeutet – und damit gerade nicht einfach als Freak, der sich mit seinem pathologischen Rassismus und seinen Brutalo-Methoden selbst ausschließt. Vielmehr ist er der eigentliche Repräsentant des weißen Amerika, das ihm in Form der wiedervereinigten Rumpffamilie am Schluss keinen Platz anzubieten vermag und gerade damit die vom Publikum vermutlich allzu bereitwillig akzeptierte Lebenslüge der neuen Gesellschaftsordnung im Akt der Verbergung eingesteht.
In anderen Passagen deutet Pippin den Western als Inszenierung des großen Kampfes der Etablierung und Verteidigung von Gesellschaft gegen Natur, die in der dreifachen Gestalt der Indianer, der äußeren Natur und der inneren Natur auftritt, wobei mit letzterer jene mit der Gesellschaft nicht kompatiblen Gefühle gemeint sind, die als «outlaw passions» keinen Ort mehr in der zwischen Kommerz und Privatleben eingeklemmten bürgerlichen Welt haben.
Hier hätte man gerne mehr zu dieser Dialektik der Naturbeherrschung erfahren, zumal sie doch vermutlich anders als rein repressionstheoretisch zu verstehen ist. In jedem Fall scheint Pippin anzunehmen, dass man es sich zu einfach macht, wenn man das Schicksal des einsamen Helden verherrlicht, der von den Segnungen der Zivilisation verschont und sein eigener Herr bleibt, auch wenn die Wayne’schen Archetypen ihre bourgeoisen Nachfolger als blasse Schwächlinge ohne metaphysische Tiefe erscheinen lassen mögen. Vielmehr präsentieren Ford und Hawks Pippin zufolge sogar eine positive Bilanz, freilich ohne die Kosten der Verbürgerlichung zu verheimlichen: Alles in allem muss der profane und unheroische Grundton des modernen bürgerlichen Lebens doch als Fortschritt und das Streben nach einer es überschreitenden Größe als die eigentliche Gefahr gewertet werden.
Im Blick des Hegelianers wird so letztlich auch der Film zu einem Medium der Versöhnung mit der historischen Gegenwart. Ebenfalls gut hegelianisch wird diese Einsicht erst verfügbar, nachdem die Tradition abgebrochen, die Kunstform an ihr Ende gelangt ist. Die Antwort auf die Frage, warum das Politische Philosophie und nicht etwa (wenn auch gebrochene) Ideologie sein soll, bleibt Pippin letztlich schuldig. Vielleicht handelt es sich ja aber auch primär um große Filme jenseits von Philosophie und kollektiver Selbstverständigung, die sich am Ende, anders als ihr philosophischer Liebhaber meint, doch gegen die Indienstnahme für die Versöhnung sperren.
Robert B. Pippin, Hollywood Westerns and American Myth. The Importance of Howard Hawks and John Ford for Political Philosophy, Yale University Press 2010