Einleitung
Als die «neuen Höfe der Filmkunst» bezeichnet Paul Schrader in unserem Interview das zeitgenössische Festivalnetzwerk. Schrader spricht hier nicht einfach als sturer Verfechter der kommerziellen Filmindustrie, sondern als Anhänger einer bestimmten Idee von Film als kapitalistischer Kunstform. Die Zwänge der Kulturindustrie produzieren für ihn eine spezifische ästhetische Dynamik, eine Dialektik eigener Art – zumindest potenziell. Festivals erscheinen in dieser Vorstellung demgegenüber als Motor einer Zähmung des Films unter den Vorzeichen eines nationalstaatlich ausdifferenzierten Paternalismus. Nichts ist umsonst: Vater Nationalstaat gibt Subventionen und verlangt dafür Repräsentation. Gegen diese pauschale These lassen sich gewiss viele gute Gegen- und Differenzierungsargumente ins Feld führen; offenkundig blendet sie die oft rücksichtslosen Hegemonialstrategien der amerikanische Filmindustrie recht großzügig aus (ein materialreiches Standardwerk zu diesem Thema ist immer noch Global Hollywood 2 (2005), herausgegeben von Toby Miller u.a.).
In vielen Beschreibungen wird die in den letzten 15 Jahren massiv ausgreifende Festivalszene jedenfalls entlang der offenbar nie aus der Mode kommenden U-versus-E-Kultur-Linie zum Bollwerk gegen die Marktdominanz «Hollywoods» (in Zeiten globaler Medienkonglomerate wie Vivendi und Sony eine fast schon romantische Verortung) stilisiert, als alternative, vom Marktdruck befreite Entwicklung und Erfahrung von Kino. Dabei sind die großen Festivals heutzutage zunehmend vertikal integriert, verstehen sich also nicht mehr als reine Vorführbetriebe, sondern als Produzenten. Immer mehr Filme entstehen im Festivalinnenraum und verlassen diesen nie. Errichtet wurde ein hochsubventionierter Arthouse-«Markt», dominiert von deutschem und französischem Fernseh- und Fördergeld, behaftet nicht nur mit dem Problem des vorauseilenden Festival-Mainstreamings, sondern auch mit allen Asymmetrien postkolonialer Kulturproduktion. Häufig geht es nämlich trotz aller Rhetorik des Ermöglichens einfach um Standortpolitik, was sich beispielsweise daran erkennen lässt, dass ein chilenischer Filmemacher, der Förderung durch den World Cinema Fund der Berlinale beantragt, diese nur bekommen kann, wenn er bereit ist, auch gleich einen deutschen Produzenten bzw. Verleiher mit an Bord zu nehmen. Solche Praktiken lassen sich eigentlich nicht mal mehr als klassische «Entwicklungshilfe» tarnen. So gesehen zeigt sich hier eine global vernetzte (Co-)Produktionslandschaft, die von den Fördergeberländern, mehr oder weniger offensiv, als Scouting-System und Zuliefererbetrieb der nationalen Filmwirtschaft aufgefasst wird. Dass in diesem Rahmen immer noch exzellente Filme entstehen, sei unbestritten. Dass sich der Kreis immer enger schließt, ist aber auch offensichtlich. simon rothöhler
Eine andere Form von «Scouting» ist es, wenn wir heute zu Festivals fahren und innerhalb der skizzierten Struktur nach außergewöhnlichen Filmen Ausschau halten. Lukas Foerster war für cargo in Rotterdam und zeichnet nach, wie man sich einen eigenen Weg durch den Arthouse-Mainstream-Dschungel bahnt, ohne «das System» aus den Augen zu verlieren. «Weltkino» im emphatischen Sinn findet er im Festivalaußenraum, an den Rändern, auch und gerade des Genrekinos.
Es folgen zwei essayistische Reportagen von Matthias Dell und Jia Zhangke, die zwischen den Festivals von Hongkong und Toronto Filmreiseerfahrungen beschreiben. Zum Abschluss nennen wir einige Arbeiten, die auf der vergangenen Berlinale zu sehen waren und uns erinnerungswürdig scheinen.