dokumentarfilm

Der Prozess Zwei Dokumentarfilme reagieren auf Gerichtsverfahren, die fehlen: Zu Inside Job und Client 9

Von Catherine Davies

Client 9 (2010)

© Magnolia Pictures

 

Als Charles Ferguson vor kurzem den Oscar für Inside Job, seinen Dokumentarfilm über die Finanzkrise der Jahre 2008ff entgegennahm, erinnerte er in seiner Dankesrede daran, dass bis heute keiner der Verantwortlichen von einem Gericht verurteilt wurde, und appellierte am Schluss mit Nachdruck: «Let’s do something!»

Dieses aktivistische Anliegen ist denn auch ein wesentliches Merkmal seines Films, von dem man sagen kann, er simuliere, so gut es mit filmischen Mitteln geht, ein Gerichtsverfahren, das (noch?) nicht stattgefunden hat. Dass das, was der Zuschauer dabei über Ursachen, Verlauf und Nachwirkungen der Krise erfährt, nicht wesentlich über das mittlerweile gut etablierte conventional wisdom zu diesem Thema hinausgeht, ist nicht weiter schlimm, denn dafür sind die Weltbilder und Mentalitäten der Finanzbranche, die hier prägnant vorgeführt werden, immer noch zu unglaublich.

Dabei treten die eigentlichen Verantwortlichen in dem Film, der seit kurzem als US-DVD vorliegt (Sony, Regionalcode 1) gar nicht persönlich auf; der Prozess gegen sie wird gewissermaßen in Abwesenheit geführt. Ferguson macht aus der Not eine Tugend, indem er immer wieder strategisch geschickt einfließen lässt, wer alles nicht für ein Interview zur Verfügung stand – was effektiv einem Schuldspruch gleichkommt. Dies betrifft beispielsweise Hank Paulson, der sich als Chef von Goldman Sachs vehement für die Deregulierung seiner Branche einsetzte, damit steinreich wurde, um dann unter Bush Jr. als Finanzminister zu dienen. Auch Alan Greenspan, langjähriger Chef der Federal Reserve, wollte sich nicht interviewen lassen, hatte er doch mit seiner Niedrigzinspolitik eine wesentliche Voraussetzung für die Immobilienblase der Nullerjahre geschaffen.

So müssen also andere herhalten, wie zum Beispiel Scott Talbott, Chef-Lobbyist der amerikanischen Finanzindustrie, der beherrscht, ernsthaft und ohne mit der Wimper zu zucken erklärt, dass die hohen Gehälter an der Wall Street selbstverständlich gerechtfertigt seien; die Leute hätten schließlich hart dafür gearbeitet. Wobei natürlich gelte: «Kriminelle Handlungen sind inakzeptabel. Punkt.» So spricht jemand, der genau weiß, wofür er bezahlt wird. Andere sind deutlich weniger mit sich selbst im Reinen und verlieren angesichts der hartnäckigen Fragen Fergusons letztlich die Contenance. Die vielleicht kläglichste Figur gibt Frederic Mishkin ab, der von seinem Posten als Gouverneur der Federal Reserve ausgerechnet kurz vor der Pleite von Lehman Brothers zurücktrat, weil er, wie er sagte, Zeit zum Bücherschreiben brauchte. Als Ferguson ihn mit den haarsträubenden Versäumnissen seiner Institution konfrontiert, wiegelt Mishkin ab, setzt mehrfach neu an, stottert und will sich schließlich nicht mehr erinnern können. Fast hat man ein bisschen Mitleid mit ihm.

Mishkin, der aus der Wissenschaft kommt, ist deswegen ein dankbares Opfer, weil er sich etwas auf sein spezifisch disziplinäres Wissen über Ökonomie einbildet. Dass die Ideologie der Deregulierung vehemente Fürsprecher in Wissenschaftskreisen fand, ist nicht neu. Wie sehr dies aber mit ganz konkreten wirtschaftlichen Interessen verknüpft war und ist, hat man in dieser Anschaulichkeit noch nicht vorgeführt bekommen.

Genüsslich legt Ferguson in Montagen der Anklage dar, wie Mishkin einen Bericht mit dem Titel «Financial Stability in Iceland» verfasste und dafür eine großzügige sechsstellige Summe von der isländischen Handelskammer erhielt, was im Bericht natürlich unerwähnt bleibt. (Mishkin führt den Titel übrigens bis heute in seinem Publikationsverzeichnis – in einer dreist abgeänderten Form, er heißt dort jetzt: «Financial Instability in Iceland», was eine der grimmigsten Pointen in Inside Job ergibt.)

Der Dekan des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Harvard University kann in solchen Praktiken nichts Verwerfliches erkennen: Interessenskonflikte? Nein, woher denn? Dabei ist es gang und gäbe, dass Professoren Mitglieder in Aufsichtsräten (vorzugsweise der Finanzindustrie) sind und damit gutes Geld verdienen, wie Ferguson darlegt. Glenn Hubbard, Professor an der Columbia Business School, wendet ein, dass man als Uni-Ökonom ja nun wirklich nicht reich werde – und das, obwohl er als Aufsichtsratsmitglied beim Versicherungs- und Finanzdienstleister «MetLife» 250 000 Dollar im Jahr verdient. Da muss man wieder an den Finanzlobbyisten denken, der gesagt hatte, dass Gehälter doch immer relativ sind – was heißt da schon «zu hoch»? Demselben Glenn Hubbard platzt schließlich der Kragen, als Ferguson ihn unnachgiebig nach seinen Kunden in der Finanzindustrie fragt. Der Ökonom runzelt die Stirn, neigt den Kopf zur Seite, was wohl gefährlich aussehen soll und faucht: «You have three more minutes. Give it your best shot.» Allein wegen dieser Szene lohnt sich der Film.

Eine gute Figur macht dagegen Eliot Spitzer, der ehemalige Generalstaatsanwalt und Gouverneur des Staates New York. Er hatte sich insbesondere während der Dotcom- Blase zahlreiche Feinde an der Wall Street gemacht, als er gegen Banken ermittelte, die ihren Kunden wissentlich Aktien von unseriösen Firmen empfohlen hatten, wofür sie schließlich hohe Entschädigungen zahlen mussten. Dass ähnliche Praktiken der letzten Jahre nicht bereits juristisch geahndet wurden, hält Spitzer denn auch für eine politische Entscheidung. Er weiß, wovon er redet, weil er selbst als Gouverneur Zielscheibe politisch motivierter Ermittlungen wurde, die schließlich im März 2008 zu seinem Rücktritt führten, nachdem seine Kontakte zu Edelprostituierten bekannt geworden waren.

Von den Hintergründen dieses Falls handelt ein weiterer sehenswerter Dokumentarfilm: Client 9 von Alex Gibney (DVD: Magnolia, RC1). In ihm treten lauter Charaktere auf, die man sehr gut mit dem englischen Wort «seedy» beschreiben kann, darunter Joseph Bruno, ein mächtiger republikanischer Politiker, der schließlich wegen Korruption verurteilt wurde, und Maurice «Hank» Greenberg, Chef des Versicherungskonzerns AIG, gegen den Spitzer in einem Bilanzfälschungsskandal ermittelte. Sie und andere hatten ein starkes Interesse daran, den Antikorruptionspolitiker Spitzer zu Fall zu bringen, und verfügten mit einem gewissen Roger Stone über einen Informanten und Strippenzieher der besonders schmierigen Art. Sie konnten aber auch auf die Hilfe von Staatsanwälten und des FBI bauen, die plötzlich begannen, sich für Spitzers Sexualleben zu interessieren, obwohl sie sich sonst eher um Mafiabosse und Terroristen zu kümmern hatten. In Inside Job stellt Spitzer auf eine Frage Fergusons hin fest, dass die Kontakte von hochrangigen Investmentbankern zu Nobelbordellen auf Firmenkosten ein offenes Geheimnis sind – und dass bisher anscheinend noch kein Staatsanwalt auf die Idee gekommen sei, dies als Druckmittel zu benutzen, um ein Gerichtsverfahren anzustrengen. «Das tut man nicht, das ist eben der Konsens», sagt der Ex-Gouverneur und sieht dabei etwas melancholisch aus.

Dieses New Yorker Geflecht aus Politikern, Staatsanwälten, Beratern und Bankern bildet gewissermaßen eine lokale Dimension der Krise; die Geschichte, die Charles Ferguson erzählt, ist im Wesentlichen eine amerikanische, eine Nationalgeschichte. Was aber zu kurz kommt, ist die globale Perspektive. Man vermisst beispielsweise einen Hinweis darauf, dass es erst globale Ungleichheiten in der Handelsbilanz und daraus resultierende Kapitalströme aus China und Deutschland waren, die eine wesentliche Voraussetzung für den amerikanischen Immobilienboom schufen. Das deckt sich durchaus mit anderen Berichten über die Krise, wie etwa Fintan O’Tooles sehr lesenswertem Buch über Irland (Ship Of Fools. How Stupidity And Corruption Sank The Celtic Tiger, 2009), oder den Vanity Fair-Reportagen von Michael Lewis über Island, Irland und Griechenland. In diesen Narrativen sind es meist spezifische historische Konstellationen des jeweiligen Nationalstaats, die geradewegs in die Krise führten. O’Toole diagnostiziert gar eine irische Variante des Sonderwegs von der agrarischen Gesellschaft in die Postmoderne, in der die Iren es versäumt hätten, eine bürgerliche Zivilgesellschaft auszubilden. Der moralische Appell zur Besserung und Gesundung, so scheint es, richtet sich immer noch an ein national gedachtes Kollektiv.