All Male Mash Up Zu William E. Jones und seiner Kunst der queeren Appropriation
Mit den Worten «Es ist besser, einer schönen Frau ins Gesicht zu blicken, als schwul zu sein» versuchte Silvio Berlusconi unlängst verzweifelt, von seinen peinlichen Bunga-Bunga-Eskapaden abzulenken und offenbarte mit dieser homophoben Aussage einmal mehr seinen unsäglichen Machismo. Wohin ein gesellschaftliches Klima führen kann, in dem derartige Anfeindungen und Diskriminierungen wenn auch nicht mehrheitlich aktiv befürwortet werden, so doch salonfähig sind, spiegelt sich in dem enormen Zuspruch für das vor einigen Monaten in den USA gegründete «It Gets Better Project»: Diese Internet-Plattform bietet die Möglichkeit, sich per Video-Botschaft über die (Um-)Wege des eigenen Coming-outs auszutauschen – und sich vor allem auf diese Weise gegenseitig zu versichern, dass es einen Ausweg aus einer noch so schwierigen Lage geben kann. Anlass für das etwa auch von Barack Obama unterstützte Projekt war die erschütternde Häufung von Suiziden unter homosexuellen (oder als solche stigmatisierten) Teenagern in den Vereinigten Staaten.
In Anbetracht solcher ebenso erschreckender wie alarmierender Geschehnisse darf es nicht verwundern, dass ein Filmemacher und Künstler mit einer ähnlich aufklärerischen, auf das Aufzeigen von Marginalisierungen zielenden Agenda die Vokabel «utopisch» gebraucht, wenn er über das Anliegen seiner Arbeit spricht: Es ist allerdings eine ganz andere Art der Affirmation, die der 1962 geborene William E. Jones betreibt. Das Österreichische Filmmuseum widmete dem ehemaligen Produzenten schwuler Pornofilme und nunmehr in diversen Bereichen tätigen Künstler im Februar eine erste umfassendere Werkschau im deutschsprachigen Raum, in deren Rahmen er eine Auswahl seiner Filme vorstellte und auf die komplexen Hintergründe seiner Arbeit zu sprechen kam. Im Grunde verweist bereits die lapidare Beschreibung seines Werdegangs auf die Besonderheit jenes von geradezu diametral entgegengesetzten Einflüssen gekennzeichneten Schaffens, denn dieses seit den frühen 90er Jahren wachsende künstlerische Œuvre besticht just durch ein sehr bewusst praktiziertes, vehementes Überschreiten von Genre- und Gattungsgrenzen.
Die Serie Discrepancy (2008-2010) weist darauf bereits ganz explizit im Titel hin, doch auch die strenge formale Struktur der jeweils zehnminütigen Filme lässt sich als negative Entsprechung oder auch «Anti-Ästhetik» lesen, die ihren Gegenpart im konventionellen Erzählkino findet. Das stets gleiche Voice-over ist dem filmischen Manifest Traité de Bave etd‘Eternité (1951) des Lettristen Isidore Isou entnommen, der – so hat es Greil Marcus in seinem Buch Lipstick Traces dargestellt – eine wichtige Rolle in der Entstehungsgeschichte popkultureller Subversion spielte. In dieser frenetischen Kampfansage an den zeitgenössischen Film heißt es unter anderem: «I announce the destruction of the cinema (…) To conquer, one must divide, we must tear apart the two wings of cinema: sound and image. We must break the natural association which made speech correspond with vision, the spontaneous commentary engendered by photographs». Tobt also auf der Tonebene der verbale Furor einer fremden Stimme, so bedient sich Jones auch im Hinblick auf das Bild bereits bestehender Ressourcen, wobei er häufig auf Archivmaterial der US-Armee aus der Zeit des Kalten Krieges zurückgreift. Eine Episode trägt etwa den Untertitel Americans Will Die If They Don’t Give Up the Bombings (2009) und erinnert damit wohl kaum zufällig an Bruce Conners beunruhigendes und zugleich in seiner Ästhetisierung so faszinierendes Atombombenspektakel, den Found-Footage-Klassiker A Movie (1958).
Auch was künstlerische Experimentierfreude und Vielseitigkeit angeht, ließe sich ein Vergleich mit Conner anstellen, der zwar primär als Filmemacher Bekanntheit erlangt hat, sich aber ebenso als bildender Künstler hervortat. Für Jones scheint eine kategorische Unterscheidung dieser beiden Betätigungen ohnehin nicht relevant zu sein: «I thought it was more important to do things that were in keeping with my interests rather than rigidly adhering to an arbitrary form like the feature length film. I began to adopt a practice more like that of an artist than that of a filmmaker.» Diese Aufgeschlossenheit gegenüber dem – zweifellos virtuosen und nicht selten rigorosen – Einsatz unterschiedlicher medialer oder auch stilistischer Mittel (es ist die Rede von «the economy of means») führt mitunter dazu, dass jene von Jones wie beiläufig erwähnten «Interessen» in den Hintergrund geraten, die sich bisweilen regelrecht als die eines Fans entpuppen bzw. zu intensiven Recherchen oder Hommagen führen. Was diese unterschiedlichen Auseinandersetzungen eint, ist tatsächlich das insistierende Verweisen auf Randständiges, das aus der breiten öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden droht oder – weitaus häufiger – bis dato kaum je Aufmerksamkeit auf sich zog.
Ein besonderes Untersuchungsfeld lässt sich anhand einer Vielzahl von Arbeiten unschwer erkennen: das Genre des Schwulenpornos, das, in den 70er Jahren aufkommend, mit AIDSeine bittere Zäsur erfuhr und nicht zuletzt im Zuge der medialen Entwicklungen von Fernsehen, Video und nunmehr vor allem dem Internet einen gravierenden Wandel erlebt – was ja im Grunde für die gesamte Pornobranche gilt (wofür nicht zuletzt so fragwürdige Phänomene wie Chatroulette, eine im Übrigen zu weiten Teilen männliche Domäne, ungemein aufschlussreich sind). Jones hat sich im Laufe seiner Arbeit mit einem immensen Korpus an Filmen aus dieser frühen Phase der 70er bis Anfang der 80er Jahre vertraut gemacht, sodass seine connaisseurhaften Einlassungen über diese vergangene Epoche immer auch eine nostalgisch gefärbte Melancholie offenbaren. Es geht ihm dabei aber kaum darum, explizites Material wiederzugeben (was er nicht ohne Süffisanz als ein gewisses Frustrationsmoment anerkennt): Statt auf der – redundanten – Ikonografie und Dramaturgie der Hardcore-Szenen liegt etwa bei All Male Mash Up (2006) der Fokus vielmehr auf Details der Inszenierung (nicht zu vergessen, die Dialoge!), Ausstattung oder auch auf zufälligen Gesten, wodurch es zu einer nicht unwesentlichen Kontextverschiebung kommt. In Film Montages (For Peter Roehr) (2006) werden diese meist nur einige Sekunden dauernden pornografischen Fragmente regelrecht überhöht, indem sie in mehrfacher Wiederholung aneinandergereiht werden und somit umso mehr auf dem Reiz des Beiläufigen insistieren; die Widmung gilt jenem ebenfalls mit dem Mittel der Wiederholung operierenden und zudem viele Jahre sträflich vernachlässigten deutschen Künstler, dem nach einer größeren Werkschau 2009 in Frankfurt am Main nun doch ein später Ruhm zuteil wird – auch diese Ehrerbietung darf jedenfalls als programmatisch angesehen werden. Und mehr noch, Jones setzt sich auch über Kategorisierungen hinweg, wenn er sich auf Avantgarde-Grandseigneurs wie Thom Andersen, James Benning oder Morgan Fisher ebenso bezieht wie auf kanonische Filmemacher vom Schlag eines Luis Buñuel, Jean-Luc Godard oder Jean Renoir und nicht zuletzt auch auf Pornoregisseure wie Tom de Simone oder auch Fred Halsted (über den er gerade eine Publikation mit dem Titel «Halsted Plays Himself» vorbereitet).
Gänzlich anderen Ursprungs ist das historische Ausgangsmaterial zu Mansfield 1962 (1962/2006) und Tearoom (1962/2007): Es handelt sich in beiden Fällen um (kaum veränderte) heimliche Überwachungsaufnahmen von Männern, die in einer öffentlichen Herrentoilette in Mansfield, Ohio, miteinander verkehrten («tea room» ist der umgangssprachliche Begriff für einen solchen Ort). Als das Gegenteil von sinnlich ließen sich diese Bilder beschreiben, da der Voyeurismus, der ihnen so quälend eingeschrieben ist, auch noch überlagert wird von dem Wissen um die beobachtende Präsenz der «Ordnungshüter» (noch dazu führte das «Beweismaterial» zu einer Reihe von Verurteilungen). Die Gewalt, die in einem solcherart enthüllenden Blick liegen kann, zeigt sich auch in der mehrteiligen Arbeit Killed (2009), deren Motive aus dem Fundus des berühmten Fotoprogramms der Farm Security Administration (FSA) stammen, das als Reaktion auf die Große Depression Mitte der 30er Jahre entstand und an dem auch Größen wie Walker Evans oder Dorothea Lange beteiligt waren (gleich zweifach liegt hier demnach ein Bezug zu Sherrie Levine vor, die just mit After Walker Evans, 1981, zu einer Vertreterin der Appropriation Art der ersten Stunde wurde). Jones interessiert sich allerdings für die abseitigen, also eben nicht in ihrer Referenz wiedererkennbaren Bilder, zum einen für jene der Zensur zum Opfer gefallenen Aufnahmen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht den inhaltlichen sowie formalen Anforderungen und Konventionen entsprachen; diese Negative wurden von einem einzelnen Verantwortlichen, Roy Stryker, durch Stanzung unbrauchbar gemacht und aussortiert – ein Eingriff, der im Format des Fotoabzuges brutal überdimensioniert erscheint und zudem von einer physischen Qualität zeugt, die einer Verletzung, ja Amputation gleichkommt. Zum anderen stellt Jones eine Auswahl von Sujets zusammen, die, wenn auch noch so versteckt, latent oder gar unterdrückt, von einer gleichgeschlechtlichen Kultur künden. Die Selbstverständlichkeit, mit der seine Recherche sowohl in einen Film als auch in ein Buch mündet, erklärt die generelle Vielseitigkeit seines Schaffens, das auch eine rege Textproduktion (Artikel, Vorträge, Blog) umfasst, die wiederum nicht selten Bestandteil der von ihm auch gestalteten Publikationen sind. Mit allen Mitteln möchte Jones aufdecken und hinweisen auf die Nebenhandlungen und Randfiguren einer großen Erzählung, die als Kanon immer auch von der Konvention gesteuert wird. Jones hingegen berichtet von einem anderen Kanon oder auch dem Minoritären schlechthin.