Paul Schrader «Im Augenblick gibt es Geld in Kolumbien»
Auf Paul Schrader hatten wir in den letzten Jahren eher sporadisch geachtet, zum Beispiel anlässlich seiner Verfilmung des sehr guten Romans Affliction von Russell Banks. Arbeiten der Nullerjahre wie Auto Focus und The Walker erinnerten als Um- und Weiterschreibungen an eine Filmografie, die weit in die 70er Jahre zurückreicht. Als sich zu Jahresbeginn die Gelegenheit zu einem Gespräch in Wien ergab, nahmen wir uns sein wechselvolles Werk der letzten Dekade noch einmal vor. Zu entdecken war (und ist) hier Schraders Versuch, die Themen und Motive seiner großen Filme (von American Gigolo bis Patty Hearst) unter schwierigen ökonomischen Umständen noch einmal aufzunehmen und zu aktualisieren. Wir begegneten schließlich einem bemerkenswert desillusionierten Intellektuellen, der sein eigenes Spätwerk in weiten Teilen als gescheitert und nicht der Rede wert zu betrachten scheint. An Schrader, über Jahrzehnte ein Insider der amerikanischen Filmindustrie, lässt sich in jedem Fall ablesen, wie sich das, was einmal New Hollywood war, zunehmend in der unübersichtlichen Produktionsmittelwelt der globalisierten Finanz- und Subventionsströme verliert.
Herr Schrader, wir treffen Sie in Wien, wo eines Ihrer Theaterstücke Premiere hat: The Cleopatra Club, das laut Ihrer Webseite aus dem Jahr 2004 stammt, aber anscheinend noch weiter zurückreichende Wurzeln hat.
Das Stück geht auf eine dieser magischen, unerwarteten Sachen zurück, die man manchmal auf Reisen erlebt. 1995 war ich Mitglied der Jury beim Filmfestival in Kairo. Mir war im Hotel etwas gestohlen worden, die Touristenpolizei hatte meine Dolmetscherin im Verdacht und auch mich, sie vermuteten einen Betrugsversuch und befragten mich stundenlang. Um fünf Uhr früh fanden sie zufällig heraus, was wirklich passiert war – so ist das jetzt auch im Stück. Sie entschuldigten sich, und der ermittelnde Colonel lud mich zu sich nach Hause ein, er stellte mir seine Frau vor, und erzählte mir von den Muslimbrüdern. Davon hatte ich zu diesem Zeitpunkt, Mitte der 90er Jahre, sechs Jahre vor 9/11, noch nichts gehört. Dass es eine intellektuelle Bewegung muslimischer Frommer gab, das fand ich sehr interessant, und als ich darüber nachdachte, etwas von meinem Erlebnis aufzuschreiben, da erschien mir der Stoff eher geeignet für ein Stück als für einen Film. Ich hatte damals gerade mit Harold Pinter gearbeitet (The Comfort of Strangers, 1990), und so wurde es ein Stück wie von Pinter. Es gab dann eine Produktion davon in New York, mit der niemand glücklich war, und viele Jahre später erhalte ich plötzlich eine Mail aus Wien, dass eine europäische Premiere von Cleopatra Club geplant ist. Ich habe das Stück dann noch einmal gelesen, und finde es immer noch gut.
Das Stück kam 1995 vielleicht einfach zu früh.
Heute weiß auf jeden Fall jeder, was der «clash of cultures» ist. Cleopatra Club ist ein Stück, das in eine Situation vor 9/11 gehört. Das Bild der Türme kommt nie vor, ich habe es auch später nicht mehr hineingeschrieben. Heute bin ich mir allerdings noch sicherer, dass da kein Film daraus zu machen sein wird.
Sie geben in Wien auch eine Einführung zu einem der Filme in der Ozu-Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums. Inwiefern schließen Sie denn bei solchen Auftritten heute noch an Ihr Buch Transcendental Style in Film an, das viel zitierte Analysen zu Ozu, Bresson und Dreyer enthält?
Ich war sehr jung, als ich das Buch schrieb, und ich kannte eine Menge Filme nicht, zum Beispiel das ganze Frühwerk von Ozu. Aber es ist doch interessant, dass mich bis heute Leute darauf ansprechen und mir sagen: Was halten Sie von Bruno Dumont? Das ist doch «transcendental style», oder nicht? Und was ist mit Pedro Costa? Und dann gebe ich eben Antworten. Dumont kommt dem tatsächlich sehr nahe, Costa aber macht etwas ganz anderes. Kennen Sie diesen Film Stellet Licht?
Von Carlos Reygadas, darüber haben wir viel diskutiert. Ist der auch «transcendental style»?
Ziemlich nahe dran. Ist ja auch ein Remake von Ordet von Dreyer. Bruno Dumont hat einen Film gemacht, dessen Titel ich nicht aussprechen kann, der kommt der Sache auch sehr nahe.
Hadewijch?
Ja, genau, den meine ich. Aber noch einmal zu Stellet Licht. Ich war in Mexiko auf Locationsuche, wir sprachen mit einem Produzenten, und ich erzählte ihm von StelletLicht, und dass ich Reygadas gern treffen würde. Er sagte: Sie werden lachen, der spricht dauernd von Ihrem Buch. Aber natürlich bedeutet es nicht gleich Spiritualität, wenn jemand die Kamera nicht bewegt.
In seinen besten Momenten, vor allem in der tollen Badeszene, bewegt Reygadas die Kamera ja gerade – und zwar auf eine Weise, für die Sie mit Blick auf Bertolucci einmal den Begriff der «unmotivierten Kamera» geprägt haben. Wie bewerten Sie diese Idee denn heute?
Ich versuche das alles in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Demnächst unterrichte ich an der Columbia University eine Klasse über «Filme, die das Filmemachen verändert haben». Es soll eine Geschichte des Films unter technologischen Aspekten sein, eine Untersuchung, wie sich Erfindungen wie «dollytracks» oder bestimmte Mikrofone auf die Filmästhetik ausgewirkt haben. Film ist ja die einzige Kunst, deren Geschichte auch sehr stark die ihrer Technologie ist: boys with their toys. So wird die Filmgeschichte aber nicht gelehrt, da dominieren soziologische und ästhetische Zugänge. Bei mir gibt es jede Woche eine neue Technologie, zum Beispiel Widescreen. Alle diese Dinge begannen als Spielzeug und wurden schließlich zu einem Instrument. Kubrick zum Beispiel hat in Shining die Steadycam, die davor in Bound for Glory oder Rocky oder Marathon Man ein Spielzeug gewesen war, zu einem Instrument gemacht. Auf solche Knotenpunkte will ich hinaus.
Wie nahe an die Gegenwart führen Sie die Klasse heran? Kommen CGI und das 3D-Revival noch vor?
Das geht alles so schnell, dass ich an einem Punkt aussteigen muss. Ich will nicht in die ganze Post-Star Wars-Technologie gehen, da käme ich schnell zu einer eigenen Lehrveranstaltung: Tron – der erste Film, der in einem Computer spielt. Alien – das erste digitale menschliche Bild. Terminator – die erste völlig digitale Figur. Ich werde mit der sogenannten «hot head»-Kameraaufhängung aufhören, die hat Spielberg in 1941 verwendet. Polanski hat damit die Creditsequenz von The Tenantgemacht, aber das beste Beispiel für die Möglichkeiten dieser technischen Errungenschaft ist Wenders’ Der amerikanische Freund.
Eine gewisse Ironie drängt sich uns da auf: Der Metapyhsiker des Kinos, der sie anfangs einmal waren, ist zum Materialisten und Technikhistoriker geworden.
Ja, aber mich interessieren daran alle Facetten. Wenn jemand einen Film umgekehrt ablaufen lässt, dann ist das zuerst einmal purer Slapstick, aber es steckt darin auch das Mythologem von Orpheus. Oder denken Sie an Slow Motion – das begann als wissenschaftliches Projekt mit dem Ziel, etwas sichtbar machen, was sonst nicht sichtbar ist, nämlich die Details von Bewegungsabläufen, für die unser Auge zu träge ist.
Was lernt man von der Filmgeschichte, wenn man sie als technologische Innovationsgeschichte begreift?
Man macht sich dann vor allem klar, dass das Kino erst nach vierzig, fünfzig Jahren an einen Punkt kam, an dem dieser technische Erneuerungsdruck ein wenig nachließ, und an dem man feststellen konnte: Jetzt macht es erstmals Sinn, wieder Dinge wegzulassen, sich zu beschränken. Bis dahin war zum Beispiel eine unbewegte Kamera keine ästhetische Entscheidung, sondern eine technische Vorbedingung. Es hat also eine ganze Weile gedauert bis zur künstlerischen Freiheit.
In Ihrem Prequel Dominion: The Exorcist (2004) haben Sie auch CGI verwendet.
Na ja, wir sind natürlich alle im digitalen Kino angekommen. Aber wer macht das wirklich gut? Wenn man sich The Social Network ansieht, fallen dort die digitalen Effekte gar nicht groß auf, weil es im Film um andere Sachen geht. Interessant fand ich auch Peter Weirs neuen Film The Way Back, darin geht es von Sibirien über die Mongolei und den Himalaya bis nach Indien. Die Geschichte überquert riesige Distanzen, und ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis mir klar wurde, dass an keinem einzigen dieser Orte wirklich gedreht wurde. Hier haben wir tolle Locations, die aber nur noch aus dem Computer stammen – okay, es gibt auch noch ein bisschen Sibirien, das in Bulgarien gedreht wurde.
Wie hat das Scorsese damals in Kundun (1997) gemacht – das war ja auch nicht das richtige Tibet? Klassisches Matte Painting?
Ja, eine alte Technik. Heute ist die Sache mit CGI so einfach geworden, dass sie manchmal sogar für das Gegenteil verwendet wird – Bilder teilweise zu löschen. Bei Dominion Exorcistwollten wir ein großes Rundpanorama drehen, und ich wusste, dass wir den Parkplatz der Crew drin haben würden. Ich dachte also: wir müssen das ganz früh machen, wenn die Fahrzeuge noch nicht da sind. Aber ich habe mir ganz umsonst den Kopf zerbrochen. Die Kameraleute haben einfach den Parkplatz mitgedreht und ihn danach digital gelöscht – «paint it out», nennen sie das.
Wo wurde Dominion Exorcist de facto gedreht?
In Marokko und in Cinecittà. Ich habe aber wenigstens persönlich das Takanatal in Kenia besucht, um einen Eindruck davon zu haben.
Sie sprechen in Interviews nicht gerade positiv über Ihre Erlebnisse mit diesem Film.
Ich hätte ihn einfach ganz eindeutig nie machen sollen. Ich wollte damals The Walker in Deutschland machen. Tim Robbins war für die Hauptrolle vorgesehen. Tim zog sich aber zurück, der Film kollabierte, und ich war wirklich fertig. Einen Monat später läutete mein Telefon. John Frankenheimer war krank geworden, er hätte das Prequel zu The Exorcist machen sollen, nun fragte man mich: «Willst du das Drehbuch lesen? Die Arbeit beginnt allerdings nächste Woche, Drehbeginn in zwei Monaten, Vittorio Storaro ist als Kameramann fest eingeplant.» Also genau das kurzfristige Arbeiten, das einem der Arzt immer empfiehlt. Bei dem Projekt hatte ich es mit Leuten zu tun, die mich nicht respektierten und es ging um Material, dem ich nicht ganz traute – mit einem Wort: es ging nicht gut aus. Normalerweise versucht man dann als Regisseur einen anderen Film zu machen als den, den die Produzenten wollten, und man hat dann wenigstens das Gefühl, ihnen einen Streich gespielt zu haben. Hier aber handelte es sich genau genommen um eine Ein-Mann-Company, und in diesem schockierenden Fall holte der Produzent schließlich einfach noch einmal vierzig Millionen Dollar aus der Tasche und ließ von Renny Harlin einen ganz neuen Film machen, bei dem nur der Hauptdarsteller derselbe ist, und es gibt, glaube ich, 13 Szenen, die in beiden Fassungen vorkommen.
Immerhin konnten Sie später auch eine Version fertigstellen.
Das war alles so frustrierend, dass ich darüber seither nie wieder nachgedacht habe. Als ich Morgan Creek dazu brachte, meine Version fertigzustellen, war klar: das würde nur gehen in Form eines schnellen, dreckigen Mixes, mit Musik für so gut wie kein Geld, kein ADR (Automated Dialogue Replacement). William Peter Blatty, der Autor des Buchs, hat mir immer wieder gut zugeredet, die Sache nicht aufzugeben. Am Opening Day gingen wir gemeinsam in Washington D.C. ins Kino, und da erst fand ich heraus, warum ihn das so interessierte: Er hatte erst jetzt Anspruch auf sein Geld, ohne meinen Film wäre er leer ausgegangen.
In dem Buch Schrader on Schrader beklagen Sie an einer Stelle Ihre «Unfähigkeit, Filme zu machen» – warum wird es immer schwieriger, Projekte zu finanzieren?
Erstens finde ich: Jeder hat ein Recht, sein Geld wieder hereinzukriegen. Das gehört zum Geschäft, wer das nicht einsieht, sollte ein Buch schreiben. Früher dachte man aber: Man kann Geld einspielen und einen guten Film machen. Heute geht es darum, mit Filmen einfach wahnsinnig reich zu werden. Das Produkt kann da ganz erbärmlich sein. Und außerdem ist es leider so: Hollywood hat aufgehört, Dramen zu machen. Einer der größten Hits des Jahres ist nun jedoch ein Redefilm ohne Stars: The Social Network. Das Drehbuch hatte 160 Seiten, alles beruht auf Dialogen, es wird schnell gesprochen, und David Fincher war klug genug, daran nicht groß herumzutun. Schon die erste Einstellung ist brillant, denn sie setzt formal und inhaltlich die Bedingungen: Hier gibt es einen eigenen Rhythmus, und die Hauptfigur wird ein Jerk sein. Ich fürchte nur, dass auch das nichts ändern wird, der Erfolg von The Social Network gilt als Anomalie. Ich finde, er ist einfach brillant. Wissen Sie, an welchen Film ich dabei denken musste? The Sweet Smell of Success – ja, Mark Zuckerberg ist der neue J.J. Hunsecker.
Fincher ist ein interessanter Regisseur, obwohl oder gerade weil er zunehmend weniger «Handschrift» erkennen lässt – mit Panic Room, Zodiac, Benjamin Button und Social Network würde er jeden Verfechter des Auteurismus zur Verzweiflung bringen.
Diese Theorien wurden ohnehin immer zu stark vereinfacht. David Fincher ist sehr interessiert an Technologie, das zeichnet ihn aus. Ich war am Set und habe ihn beobachtet: Er hatte sein Ipad, er schaut sich alles darauf sofort an, annotiert es und schickt es mit diesen Notizen in den Schneideraum. Kubrick war auch so jemand, er wollte alles sofort haben, die neuesten Kameraoptiken waren das eben damals vor allem. Auch Raoul Walsh war so ein Techniker des Kinos, John Ford war das Gegenteil. George Lucas sagte in den 70er Jahren: Eines Tages werden wir auf alle diese Irrtümer zurückblicken – Drehorte, Makeup, Schauspieler. Das ist natürlich Avatar, wovon er damals sprach, ohne es schon zu kennen.
In Dominion Exorcist, um darauf zurückzukommen, gibt es einen politisch ganz und gar nicht korrekten Grundgedanken: Dass die afrikanischen Ursprünge der Menschheit schon die Ursprünge des Bösen enthielten, allerdings in christlicher Kontamination.
Das war tatsächlich toll. Was aber nicht funktionierte, weder im ursprünglichen Drehbuch noch so, wie ich es dann weiterentwickelte, das war das Bild des Teufels. Dieser Darsteller, Billy Crawford, war schon besetzt, aber dieses Konzept, dass er der Teufel ist, das hat nie richtig funktioniert. Im Rückblick hätte ich diesen Jungen/Teufel weglassen und ein «creature feature» machen sollen wie Harry Potter. Crawford war einfach nicht «scary» genug. Im ersten Exorcist entwickelt sich das so wahnsinnig langsam aus dem Mädchen heraus, dass die Zuspitzung dann so großartig sein kann – für einen Moment hat sie das Dämonengesicht. So hätte ich mir das auch vorgestellt. Aber Renny Harlin hat das auch nicht gelöst.
The Walker (2007) kam dann doch noch zustande, nachdem Tim Robbins ausgestiegen war. Woher kam das Geld?
The Walker wurde auf der Isle of Man gedreht, in London und in Washington, und dazu hätten wir auch in Deutschland gedreht. Die Isle of Man gibt dir 25 Prozent des Budgets als Equity, wenn du die Hälfte des Films auf der Insel drehst. Dort gibt es keine Industrie, und sie wollen dort auch keine Industrie. Filme sind dafür perfekt, sie erfordern keine langen Anstellungsverhältnisse, ein Haufen Leute kommen für ein paar Wochen ins Land und sind dann wieder weg. Keine Folgekosten, nur Synergien.
Auf der Isle of Man entstand also ein Film über die amerikanische Hauptstadt, in dem Sie die Motive aus American Gigolo (1980) wieder aufgriffen.
Washington ist wahrscheinlich die letzte Stadt in den USA, in der sexuelle Heuchelei immer noch notwendig ist. In New York schwul herauszukommen, ist nicht schwer, aber in Washington, in dieser puritanischen, politischen Umgebung, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit. The Walker war deswegen auch ein abenteuerliches Projekt, sobald es ans Finanzieren ging, wurde es schwierig. Ich wollte Rupert Everett als Hauptdarsteller, aber das ging nicht, er galt als zu schwul. Man kann einen Film über einen Homosexuellen machen, solange man ihn mit einem Hetero besetzt.
Wie kam die Besetzung mit Woody Harrelson zustande?
Er mag den Film nicht. Er wollte nicht wirklich mitarbeiten, und hat dann auch keine Promotion gemacht. Er ist fehlbesetzt. Ich hätte ihn nie genommen, aber er wurde mir aufgedrängt. Regisseure sind gut darin, sich etwas einzureden: ich krieg’ das schon hin, sagen wir uns dann. Das ist wie bei einem Sportler, der sich auch Mut zureden muss. Sobald ein Film aber fehlbesetzt ist, wird es ziemlich schwierig. Man kann das nicht einfach «in der Mise-en-scène» gutmachen. Denken Sie an Nathalie Wood in The Searchers, das geht einfach nicht. Zum Glück ist sie nur eine kleinere Figur. The Walker hatte ich campier und lustiger im Sinn. Woody aber wollte einfach weiterhin den Typen aus Cheers spielen. Wissen Sie übrigens, welcher Film mir im Vergleich gefällt? I Love You Phillip Morris. Der geht wirklich weit, da merkt man erst, wie konservativ die amerikanischen Kritiker sind, denn den haben sie mehr oder weniger totgeschwiegen. Alle sprechen über The King’s Speech, aber was Jim Carrey da in I Love You Phillip Morris macht, das erwähnt keiner.
Haben Sie ihn jemals getroffen?
Carrey? Nein. Aber er ist vermutlich immer noch eine sichere Bank. Hinter ihm kommt ja eine ganze Generation, die sich auf ekelhaftes Zeug spezialisiert hat. Zach Galifianakis ist ein Typ mit großartigem Timing, ihn halte ich für meisterlich.
Ein weiteres Projekt Ihres Spätwerks ist Adam Resurrected (2008), nach dem Roman von Yoram Kaniuk.
Das kam aus Israel. Ehud Bleiberg hat glaubwürdig vermittelt, dass dieser Roman sein Leben veränderte, er las ihn während des zweiten Libanonkriegs. Er fand einen Partner in Dortmund, sie boten mir das Drehbuch an, es war vorher von einigen der üblichen Verdächtigen abgelehnt worden: Pollack, Lumet, die konnten sich alle nicht vorstellen, wie das mit dem Hund funktionieren sollte: ein Mann, der für die Nazis einen Hund spielen musste, entdeckt in einem Sanatorium einen anderen Mann, der sich für einen Hund hält. Ich mochte gerade das daran besonders. Ehud macht heute Low Budget Filme in Israel.
In Adam Resurrected geht es noch einmal um das Böse? Vielleicht doch ein letzter theologischer Versuch?
Nein, es war der Hund. A man who was once a dog meets a dog who was once a boy. Das fand ich sehr originell, die Metapher würde auch mit Gefangenen im Gulag funktionieren. Für mich ist die Sache aufgegangen, ich bin mit dem Film sehr zufrieden.
Unter ihren Filmen aus den letzten 15 Jahren ist uns auch noch Forever Mine (1999) aufgefallen. Wie beurteilen Sie den im Rückblick?
Da habe ich wohl eine obsessive Love Story versucht. Nun, was kann ich sagen? Ich bin einverstanden mit Gretchen Mol, aber Joseph Fiennes war nicht der Schauspieler, mit dem das wirklich gut ging. Insgesamt diese Idee des entstellten, romantischen Helden, das geht im Kino selten gut, denken Sie an Jonah Hex, der war ja schon weg, als er gestartet ist. Das war ein Fehler, und die ganze Geschichte wurde immer unglaubwürdiger.
Die ersten 30 Minuten sind aber ziemlich toll übertemperiert, over the top. Wir mussten an De Palma denken, wegen dieser leicht hyperrrealen Textur der Bilder.
Sie meinen die Sonne von Florida?
Wahrscheinlich war es das.
Was macht eigentlich De Palma?
Das wollten wir Sie fragen.
Ich traf neulich Ed Pressman und fragte ihn: Was macht Brian? Jill Clayburgh war gerade gestorben. Und so schrieb ich Brian eine Mail, das war vor sechs Monaten. Er hat nicht geantwortet.
Könnten Sie sich vorstellen, im alten Studiosystem gearbeitet zu haben?
Nein. Ich hatte ja Glück, ich habe in den zwei Zeiträumen gearbeitet, in denen es für Individuen am leichtesten war, zu arbeiten – während des Niedergangs des Studiosystems und während des unabhängigen Kinos der 70er und 80er Jahre. Das Studiosystem wäre nichts für mich gewesen, andererseits kann ich nichts anderes als Filmemachen, obwohl ich wohl sagen muss, dass ich da auch zunehmend in Schwierigkeiten geraten bin.
Die Frage gilt der Idee einer bestimmten Kontinuität des Arbeitens, die im Studiosystem zu funktionieren schien.
Filme sind die einzige Kunstform, die immer mit Geschäft assoziiert war – es gab ja nie eine höfische oder mäzenatische Phase, und jetzt sind wir schon in einer ganz neuen, technologischen Epoche. Die ganze Sache mit der «camera-stylo», die jetzt wieder ins Spiel kommt, haben wir nie so richtig geglaubt. Wir wollten Filme für ein Publikum machen, Scorsese und ich und die anderen. Heute machen Kids irgendwelche Filme, die sie sich selbst nicht anschauen. Filmfestivals sind die neuen Höfe der Kunst, der Inhalt ist da gar nicht so wichtig. In einem Vortrag über New Media verwende ich manchmal einen Satz, der das Publikum verlässlich baff macht: Was wäre eigentlich, wenn wir keine Filme mehr machen würden? Wie lange würde es dauern, bis sich jemand beschwert?
Interessanter Gedanke. Im Grunde ist ja für alle genug da, vielleicht sollte man ein Moratorium ausrufen und sich eine Weile nur ältere Filme ansehen.
Es gab übrigens schon einmal ein Moratorium, das war 1929, als der Ton erfunden wurde. Ich glaube, es gab damals in der ersten Jahreshälfte nur sechs Filme, bis alle begriffen hatten, dass der Ton nicht nur ein gangbarer Weg war, sondern sogar viel besser sein würde. Wenn das mit der Piraterie so weitergeht, dann werden wir auf jeden Fall bald wieder ein Moratorium haben.
Wie steht es um Ihre eigenen Filme? Sind sie alle in den Weiten des Internets?
Alle meine Filme sind da draußen. Light of Day (1987) wurde nie professionell digitalisiert, das hat jemand aus eigenen Stücken gemacht, und jetzt ist er eben auch da. Kennen Sie Dave Kehr?
Den amerikanischen Kritiker?
Derjenige. Dave schreibt DVD-Kritiken und Nachrufe für die New York Times. Ihn rufe ich an, wenn ich etwas brauche, was es nur inoffiziell gibt. Es gibt einen Film von Josef von Sternberg aus der frühen Tonfilmphase, einen Gangsterfilm, ich hatte nie davon gehört …
Vielleicht Thunderbolt (1929)?
Das könnte hinkommen. Jedenfalls: Dave fand eine Version im Netz, die offensichtlich direkt aus der Cinemathèque Francaise stammt, denn es gab nirgendwo eine Institution, die Rechte an dem Film besaß, und nach allem, was man weiß, nur diese Kopie in Paris …
Wenn Sie heute mit möglichen Financiers ein Projekt besprechen, müssen Sie sich da nicht filmhistorisch gesehen ein wenig dumm stellen?
Solange man jung ist, reicht es, wenn man sagt: Mit diesem Film werden wir Geld verdienen. Das glauben sie dir da noch. Wenn ich das heute sage, glaubt mir das keiner, da könnte ich noch so laut will nur was verdienen. Ich habe einmal mit Sidney Pollack gesprochen, dessen Firma Independent Filmmakers ich für eine Sache gewinnen wollte. Wir sprachen auf guter Basis, aber am Ende sagte er etwas, was mich verstimmte: Schau uns an, sagte er, der Unterschied zwischen uns ist gar nicht so groß. Ich entgegnete: Wenn du nicht wenigstens zwei Filme gemacht hast, von denen vorher klar war, dass sie auf jeden Fall Verlust machen würden, und du hast sie dennoch durchgezogen – solange sind wir nicht auf einer Ebene.
Was waren denn die beiden Filme bei Ihnen?
Mishima (1985) natürlich, von dem war klar, dass er in Japan nie würde herauskommen können, und Patty Hearst (1988). Das ist der Unterschied zu Pollack, der hat so etwas nie gemacht und das habe ich ihm klargemacht.
Gibt es denn so etwas wie das Erbe Ihrer Generation? Hat sie noch einen Auftrag?
Was wir zu sagen hatten, haben wir mehr oder weniger gesagt, glaube ich. Francis (Ford Coppola) kann vielleicht noch etwas zuwegebringen, er hat ja dieses Mantra: Jeder Filmemacher braucht einen Brotberuf. Er hat natürlich das Weingut. Und dann macht er ab und zu einen schrägen Film.
Ihr nächster Film wird The Jesuit heißen. Woher kam das Geld?
Man hat eben immer die Augen offen. Im Augenblick gibt es Geld in Kolumbien. Wir wollen dort drehen, es könnte aber auch Mexiko werden. Es gibt Geld in Taiwan. Das deutsche Geld ist gerade nicht so stark für mich. Kennen Sie die Website hopeforfilm.com? Die macht Ted Hope, das ist der Mann, der am besten Bescheid weiß, was sich in der Welt der Filmfinanzierung so abspielt. Er ist der große Anwalt des Do-It-Yourself-Kinos. Er sucht nach einem völlig neuen Modell, auf jeden Fall denkt er nach vorne, während die meisten Leute nach rückwärts denken. In den neuen Medien verdient man kein Geld, deswegen schmeißen sie jetzt noch die ganzen alten Inhalte auf den Markt. Netflix verdient Geld, die Studios sind wütend, weil sie diese alten Verträge haben mit Netflix, deren Geschäftsmodell gerade explodiert, seit sie auf Video on Demand umgestellt haben. Netflix okkupiert 20 Prozent der Bandbreite in den USA, wussten Sie das?
Nicht mit diesen konkreten Zahlen. Worum geht es denn in The Jesuit?
The Jesuit ist weitgehend eine Rachegeschichte mit einem «latino twist». Wir zielen auf jeden Fall auf den Latinos-Markt, der ist immer noch ziemlich lebendig, da geht was ab. Dieser Markt ist nicht so gut organisiert wie der NRI-Markt (Non Resident Indians), der fünf Millionen Dollar an dem Startwochenende mit einem Film umsetzt, von dem Sie nie gehört haben, in Kinos, die Sie nicht kennen. Alle Inder wissen, was läuft, am Times Square gibt es ein NRI-Kino, das nie ein Plakat nach draußen hängt.
So in etwa ist das auch im Berliner Cinestar, und in anderen deutschen Städten wird es ähnlich sein. The Jesuit könnte man offenbar einem neuen Typus des B-Films zurechnen, den wir in Werner Herzogs Bad Lieutenant – Port of New Orleans prototypisch vertreten sehen. Wie stellt sich Ihnen die Package-Logik eines solchen Projekts dar?
Avi Lerner finanziert mehr oder weniger alles mit Nic Cage. Lerner liest keine Drehbücher, er macht eine Kalkulation mit drei Namen: Cage, Eva Mendes, Werner Herzog. Dazu gibt es als vierte Information den Filmtitel: Ein Remake von Bad Lieutenant von Abel Ferrara. Das wird an die internationalen Verleiher und Medienkonzerne vorverkauft, aus den Verhandlungen ergibt sich eine Summe von sagen wir 20 Millionen Dollar, also gibt es für den Film ein Budget von 18 Millionen. Dieses Modell, das Foreign Sales Game, hat die Industrie in den letzten zwanzig, dreißig Jahren am Leben gehalten. Noch funktioniert es halbwegs, auch wenn der DVD-Markt im Grunde kollabiert ist. Früher haben diese Verkäufe als Teil der Presales-Welt eine wichtige Rolle gespielt, jetzt sind sie irrelevant.
Im Grunde sind Sie im Lauf Ihrer jahrzehntelangen Suche nach Produktionsmitteln zu einem unfreiwilligen Zeitzeugen der ökonomischen Praktiken Hollywoods geworden. Gerade weil Sie oft Insider und Außenseiter zugleich waren – haben Sie dieses Produzentenwissen manchmal auch genossen?
Nun ja, was denken Sie, wie ich Blue Collar (1978) gemacht habe? Ich wusste, ich würde drei mittlere Stars brauchen für eine Geschichte aus der Arbeiterklasse. Ich schrieb eine Rolle für Richard Pryor, von dem ich verbürgt wusste, dass er einen seriösen Film machen wollte. Harvey (Keitel) kannte ich, und schließlich brachte Norman Lehr Universal als produzierende Firma, aber ich habe dieses Fundament zuerst einmal ganz individuell gelegt, wie ein Produzent. Teil des Spiels ist aber, den Producer Credit dann jemandem anderen zu geben, der dann sagen kann: Ich bin der Produzent dieses Films. Im Moment bin ich mit Scorsese an diesem Bollywoodprojekt dran.
Scorsese wird bei einem Bollywoodfilm Regie führen?
Nein, Scorsese wird produzieren. Details kann ich nicht verraten. Nur soviel: Ich habe das Buch mit Shah Rukh Khans ältestem Freund geschrieben – für Shah Rukh. Er ist soweit, einen großen internationalen Film zu machen. Dafür braucht er einen amerikanischen Co-Star, der in derselben Liga spielt. Letztes Jahr in Berlin gab es ein Abendessen: Marty, ich, Shah Rukh und Leo (DiCaprio). Am Abend zuvor war My Name is Khan auf der Berlinale gelaufen. Shah Rukh war sehr glücklich mit dem Meeting und es sah so aus, als hätten wir Leo in der Tasche. Es kam anders, Leo hat das Buch nie gelesen. Er hat dann 75 Millionen Dollar mit Inception gemacht. Jetzt heißt es für uns: Move on. Wir versuchen gerade einen anderen Star dieser Gewichtsklasse für das Projekt zu gewinnen. Das ist nicht einfach: Man muss mit Stars sprechen, ohne ihnen ein offizielles Angebot zu unterbreiten, weil es auf diesem Level keine offiziellen Absagen geben darf, das spricht sich herum: You can’t shop around Shah Rukh! Wenn er sich herumgereicht fühlt, wird er sich endgültig aus dem Projekt zurückziehen.
Worin genau liegt Scorseses Motivation bei diesem Deal? Ein rein finanzielles Investment?
Marty hat große Ausgaben, Overhead-Kosten. Diese World Cinema Foundation kostet zum Beispiel eine Menge Geld.
Naive Frage: Wenn es in diesem Umfeld für Sie selbst immer schwieriger wird, Filme zu finanzieren, könnten Sie nicht einfach mal zu ihrem alten Produzenten Jerry Bruckheimer gehen und sagen: Mann, ich könnte einen Film für das Geld machen, das du pro Jahr Steuern zahlst? Vielleicht lässt er Sie ja.
Vor fünfzehn, zwanzig Jahren hatte ich einmal ein Lunch mit Bruckheimer und Don Simpson. Ich sagte zu Jerry: Ihr gebt soviel Geld für die Drehbucharbeit aus, lass mich das doch machen, ich brauche das Geld. Wir hatten ein gutes Mittagessen bei Paramount, aber ich hörte danach nie wieder von ihnen, und irgendwann erklärte mir mein Agent: Weißt du, die Sache ist die, die beiden lassen gern ihre schlechte Laune an armen Drehbuchautoren aus, aber sie fühlen sich bei dir nicht so wohl, sie trauen sich da nicht so richtig, das Arschloch raushängen zu lassen. Die Produzenten haben ein schizophrenes Verhältnis zu den Schreibern, ich genieße da wohl wegen Taxi Driver ein wenig so etwas wie Immunität. Ich erzähle Ihnen mal eine andere Geschichte: Richard Price war bis vor kurzem einer der Könige des high price polishing. Er wurde eingeflogen, wenn sich Stars über Drehbuchmängel beschwerten. Früher gab es für so einen Auftrag bis zu einer halben Million die Woche, aber nur, wenn ein wirklich großer Star wirklich unglücklich war. Heute wird das nicht mehr gezahlt. Jedenfalls: Je größer die Reputation des Polishers ist, desto besser verstanden fühlt sich der Star. Bei American Gangster haben sie Richard kommen lassen, Denzel (Washington) war unglücklich. Richard hat ja sein ganzes Leben schwarze Figuren geschrieben, und so klangen die dann eben auch: wie American Gangsters. Aber Denzel war total pikiert: Wissen Sie, Mr. Price, es gibt schwarze Leute, die Schach spielen, die Mozart lieben! Ich fragte Richard: Wie hast du das ausgehalten? Ich wäre davongelaufen. Er hat kühl geantwortet: Ich habe mir Notizen gemacht.
Weil sie Richard Price erwähnen: Hatten Sie in den letzen Jahren mal Kontakt zur Fernsehserienwelt? Wäre das im Moment nicht auch ein interessanter Ort für jemand wie Sie?
Es hat sich nie ergeben. Natürlich mochte auch ich The Wire und hätte da gerne mitgeschrieben. Andererseits muss man dann die Regie abgeben, was mir schwer fallen würde. Für Richard Price ist das kein Problem, der hat diesen Regie-Impuls nicht.
Trotz aller Schwierigkeiten wollen Sie sich also nicht auf die Position des Drehbuchautors zurückziehen. Wir hoffen jedenfalls, dass The Jesuit bei der anvisierten Zielgruppe ein großer Erfolg wird. Könnten Sie denn andernfalls irgendwann in Rente gehen? Haben Sie ausgesorgt?
Ich habe Glück. Ich hatte einen guten Berater, als ich jung war, als ich noch dachte, immer wenn ich das Telefon abhebe, wird am anderen Ende der Leitung Geld sein. Er lud mich zum Essen ein, und sagte: Paul, wir werden dich jetzt für das Alter absichern. Ich war damals 33, 34 Jahre alt. Ich habe jahrelang immer ein bisschen was zurückgelegt, 2008 war ich zum Glück nicht in Risikopapieren drin, da bin ich immer konservativ gewesen – ich kann Ihnen sagen, mehrere Freunde von mir wurden von Bernie Madoff ausgelöscht. Ich aber werde zurechtkommen. Wenn ich nicht gerade in einen neuen Film von Coppola investiere.
Das Gespräch führten Bert Rebhandl und Simon Rothöhler am 18. Januar 2011
Von einer von 21 originalen Gutenberg-Bibeln zu ultrararen Werken von Aleister Crowley; von James Agees Nachlass zu sämtlichen Materialien von Woodward und Bernstein zum Watergate-Skandal; von Edgar Allan Poes Schreibtisch bis zu den Vor- und Nachlässen von Don DeLillo und David Foster Wallace reichen die Schätze, die das Literatur-, ach was, Weltkulturarchiv des Harry Ransom Center der University of Texas in Austin aufbewahrt. Auch Artefakte und Paraphernalien aus der Welt des Films gehören dazu: Eine große Selznick-Collection und Gloria Swansons Sonnenbrille aus Boulevard der Dämmerung ebenso wie, hier zu sehen, die Jacke von Travis Bickle aus Schrader/Scorseses Taxi Driver. Wer Robert De Niro vermisst: auch seinen schriftlichen Vorlass hat Austin gekauft.