fernsehgeschichte

2. Februar 2009

«Look how they’ve fucked up their lives» Vorbild für US-Serien von Curb your Enthusiasm bis 30 Rock: Die Showbiz-Comedy The Larry Sanders Show

Von Nikolaus Perneczky

The Larry Sander Show

© HBO

 

In der ersten Printausgabe von cargo findet sich ein anschauliches Wimmelbild, das den personellen Verstrickungen des US-amerikanischen Showbiz bis in Barack Obamas Beraterstab nachspürt. Wollte man dieses ausschnittartige Geflecht in genealogischer Perspektive vertiefen, wäre der hierzulande wenig beachtete Comedian Garry Shandling ein aussichtsreicher Kandidat. 1992 bereiteten er und sein Koautor Dennis Klein mit The Larry Sanders Show den Weg für so unterschiedliche Fernsehserien wie 30 Rock, Curb Your Enthusiasm, Extras oder Entourage. Ihnen allen gemein ist der manchmal bittere, selten denunziatorische Blick hinter die Kulissen der Unterhaltungsindustrie – und das Bestreben, ohne das dramaturgische Klischee der schnöden Fassade auszukommen, hinter der eine hässliche Wahrheit nistet: Der Wahnsinn vor der Kamera steht dem dahinter in nichts nach.

Gegenstand der Larry Sanders Show ist die krisenanfällige Arbeitswelt eines Fernsehstudios. Das Produktionsumfeld einer fiktiven Talkshow, die mit den realen Vorbildern Late Show with David Letterman (CBS), The Tonight Show with Jay Leno und Late Night with Conan O’Brien (beide NBC) konkurriert, wird hier als prekärer Organismus in Szene gesetzt, worin manche Funktionsträger zwar höheres Ansehen oder – was durchaus nicht dasselbe ist – größere Sichtbarkeit genießen als andere, jede und jeder aber zum Funktionieren des Ganzen beiträgt. Obwohl sich die Larry Sanders Show über weite Strecken auf eine Handvoll zentraler Charaktere am oberen Ende der Hackordnung konzentriert, ist den Autoren das stete Bemühen anzumerken, immer wieder auch vermeintliche Nebenfiguren zu fokussieren und ihr Tun näher zu qualifizieren. Dreizehn Jahre später wird Ricky Gervais, der Kollege Shandling zu seinen «personal heroes» rechnet, dieses Bemühen um die Erniedrigten und Beleidigten im Bildhintergrund zu Extras ausgestalten. Die Wahlverwandtschaft zwischen beiden Serien erschöpft sich indes nicht im Motivischen. Shandling und Gervais kommen auch hinsichtlich jener masochistischen Spielart von Humor überein, die auf strukturierende Pointen verzichtet, um sich stattdessen in oft quälend langen Szenen auf zerdehnte Momente des Peinlichen und Unangemessenen zu kaprizieren.

Das Herz der Larry Sanders Show, um bei der Metapher des Organismus zu bleiben, ist nicht der divenhafte Frontmann Larry (Garry Shandling) selbst, sondern sein treuer Producer Artie (Rip Torn), ein Mann fürs Grobe, dem es darob aber nicht an Jovialität, Charme und Feingefühl mangelt. Wie ein tasmanischer Teufel im Nadelstreif rast Artie durch die Flure der Sendeanstalt, hier eine Standpauke, dort ein Kompliment abspulend, immer zur rechten Zeit am rechten Ort. Der großartige Rip Torn wirft seinen ganzen Resonanzkörper ins Spiel dieser Rolle – das befehlende Blähen seines Brustkorbs, das raunende Vibrato seiner Stimmbänder, die listige Beherrschung seiner Gesichtsmuskulatur – und verleiht ihr so die Dringlichkeit eines brodelnden Vulkans. Die ständige Drohung des Ausbruchs setzt der schlüpfrige Artie dann mit einer strategischen Intelligenz im Interesse der Show ein, die ihn selbst als den größten aller Schausteller ausweist. Alec Baldwin als spitzbübischer Neocon Jack Donaghy in 30 Rock tastet sich an diese schauspielerische Großtat heran. Dass Torn in der Rolle von Jacks väterlichem Freund und Mentor Don Geiss auftritt, ist denn auch weniger als Hommage, denn als Beanspruchung einer intertextuelle Filiation aufzufassen: Jack und Artie als Brüder im Geiste.

Unzählige weitere Organe besorgen die Zufuhr, Verarbeitung und Ausscheidung lebensnotwendiger Energie: Larrys aufopferungsvolle  persönliche Assistentin Berverly (Penny Johnson), die hinterfotzigen Witzeschreiber Phil (Wallace Langham) und Jerry (Jeremy Piven) oder die zynische Paula (Janeane Garofalo), die als talent booker damit betraut ist, Larrys Gäste zu rekrutieren. Von ihr z.B. erfahren wir, dass die Einladungspolitik einer Talkshow diese Bezeichnung auch wirklich verdient. Wer glaubt, dass nur die Quote zählt, wird von Paula eines Besseren belehrt: Tausend Verbindlichkeiten müssen in Rechnung gestellt, ebenso viele Empfindlichkeiten berücksichtigt werden, bevor eine Einladung ausgesprochen, geschweige denn angenommen werden kann.

Das schwächste Glied in dieser Kette verdient besondere Aufmerksamkeit, da in ihm die Funktionsweise des Humors ihre größte Verdichtung erfährt. Gemeint ist Larrys Sidekick Hank (Jeffrey Tambor), dessen Aufgabe vornehmlich darin besteht, über Larrys Witze zu lachen und sich hin und wieder zur Belustigung des Publikums von ihm demütigen zu lassen. Was Tambor, der zuletzt als windiges Familienoberhaupt der exzentrischen Bluths in Arrested Development brillierte, in Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren (neben Klein und Shandling unter anderem Judd Apatow) aus dieser Gestalt macht, muss man gesehen haben: Wie Hanks rückgratlose Disposition erst abstößt, dann – nachdem sie ihn durch alle verfügbaren Fettnäpfe hindurch in eine ausweglose Situation manövriert hat – zum maliziösen Lachen bringt, um endlich den Blick auf ihren tragischen Grund freizugeben: Hanks vergebliches Ringen um Anerkennung.

Die eigentlichen Stars der Serie sind aber... die eigentlichen Stars. Von Sharon Stone, mit der Larry eine Weile ausgeht, sie dann aber fallen lässt, weil sein Stern hinter dem ihren zu verblassen droht, über David Duchovny, der sich jede Unflätigkeit gefallen lässt, um in Larrys Show die Werbetrommel für The X Files rühren zu dürfen, bis zu Jon Lovitz, der bei dem Versuch, Hanks Sekretärin Darlene (Linda Doucett) zu hofieren, sehr schlechte Figur macht, scheint persönliche Integrität nicht zu den Stärken jener A-, B-, und C-Prominenz zu zählen, die jeden Abend auf der Gästecouch Platz nimmt. Wie Extras lebt auch The Larry Sanders Show vom spezifischen Reiz des Cameo. Aber während sich in Extras hinter den merklich überzogenen Karikaturen eines infantilen Daniel Radcliffe oder eines despotischen Ben Stiller die augenzwinkernde Souveränität ironiebegabter Schauspieler abzeichnet, agieren die Selbstdarsteller auf Larrys Couch weitaus verhaltener und genießen es, uns über das Mischverhältnis von Person und Persona im Unklaren zu belassen.

Nur selten verlässt die Larry Sanders Show das Gelände des Studios und den darin beschlossenen Bürotrakt, und wenn doch, dann oft vermittels eines Fernsehbildschirms. Man kann dies als Verweis auf die obsessive Selbstbezüglichkeit des US-amerikanischen Showbiz lesen. Oder als den ambitionierten Entwurf eines abgeschlossenen Nussschalenuniversums, der sich anschickt, die große Welt in der kleinen zu spiegeln.