serien 2009

17. Juni 2009

Step Sister Den Post-Feminismus überwinden: In der Sarah Silverman Program ist Weiblichkeit kein Konsumauftrag.

Von Lukas Foerster

The Sarah Silverman Program

© Comedy Central / Paramount Home Entertainment

 

Sarah Silverman ist in der amerikanischen TV-Comedy-Landschaft ein Unikat. Vor einigen Jahren wäre sie dies allein schon aufgrund ihres Geschlechts gewesen. Inzwischen, da sich weibliche Comedians wie Tina Fey oder Amy Poehler im amerikanischen Mainstream etabliert haben, hat sich die Situation gewandelt, Sarah Silverman jedoch bleibt eine Ausnahmeerscheinung.

Zwar begann sie wie die beiden genannten Kolleginnen ihre Fernsehkarriere (nachdem sie sich in der New Yorker Stand-Up-Szene einen Namen gemacht hatte) beim Comedy-Flagschiff Saturday Night Live, aber während Fey dort von 1999 bis 2006 als head writer reüssieren konnte, wurde Silverman 1994 nach nur einer Season, in der keiner ihrer Sketche ausgestrahlt wurde, gefeuert. Silvermans spätere Karriere und insbesondere ihre eigene, seit 2007 ausgestrahlte Serie The Sarah Silverman Program legen nahe, dass an diesem Scheitern bei SNL nicht nur der institutionelle Sexismus amerikanischer Fernsehstudios Schuld trägt, sondern auch die jeweils unterschiedlichen Auffassungen von Humor.

Mit den harmlosen Parodien und Sketchen des amerikanischen Comedy-Mainstreams hat Silverman wenig am Hut. Silverman sucht den Tabubruch, beziehungsweise, noch mehr als den Tabubruch selbst, das isolierte Moment des Unangemessenen, egal ob sie ihrem damaligen Lebensgefährten Jimmy Kimmel einen angeblichen Seitensprung mit Matt Damon beichtet oder eine politisch nicht ganz korrekt vorgetragene Wahlempfehlung für Barack Obama ausspricht.

So jemand wie Sarah Silverman landet nicht im Network-Fernsehen (wie Tina Fey mit ihrer schönen NBC-Sitcom 30 Rock), sondern bei Comedy Central. Der Kabelsender, der bereits seit den Achtziger Jahren existiert, versucht seit seiner Gründung, seine Zielgruppe über die High-School-Jugend hinaus zu erweitern. Schon mit Mystery Science Theater 3000, einer Serie, in der alte B-Filme «live» kommentiert und lächerlich gemacht wurden, erst recht mit der Cartoonserie South Park etablierte der Sender eine aggressive, gleichzeitig aber dezidiert affirmative Bezugnahme auf Popkultur als sein Markenzeichen.

Dass der Sender aber nicht einfach nur das Kinderzimmer ins Studentenwohnheim verlängert, zeigen Formate wie die politische Satiresendung The Daily Show, deren aufklärerisch-kritischen Anspruch man zumindest in ihren stärksten Momenten durchaus beim Wort nehmen darf. Oder das von 2003 bis 2006 ausgestrahlte Sketch-Comedy-Programm Chapelle's Show, das das identitätspolitisch vielleicht artikulierteste Format der jüngeren amerikanischen Fernsehgeschichte darstellte.

Und seit 2007 gibt es The Sarah Silverman Program. Die Grundkonstellation erinnert ein wenig an die Will-Ferrell-Komödie Step Brothers, nur mit verdrehter Geschlechterrollenverteilung: Sarah Silverman spielt Sarah Silverman, eine Mittdreißigerin ohne Arbeit in L.A., die vom Geld ihrer Schwester Laura Silverman (ebenfalls verkörpert vom realen Rollenvorbild)  lebt und sich den ganzen Tag über mit nichts anderem beschäftigt denn mit sich selbst. Ihr chronischer Narzissmus nimmt schon in der ersten Folge biblische Dimensionen an, wenn sie im Supermarkt Batterien für ihre Fernsehfernbedienung erstehen möchte und ihr auf dem Weg dorthin ein Rollstuhlmarathon in die Quere kommt (im Netz ist die Folge hier leider nur in der deutschen Synchronfassung verfügbar).

Auch ansonsten geht sie ihrer Umgebung, das heißt ihrer Schwester, deren Freund Jay sowie ihren schwulen Bekannten Brian und Steve, Woche für Woche mit neuen fixen Ideen auf die Nerven: einmal ist es eine eingebildete AIDS-Erkrankung, einmal ein sprunghafter Wechsel der sexuellen Orientierung, manchmal möchte sie auch einfach nur einen Schönheitswettbewerb für Kinder gewinnen. Wenn sie ausnahmsweise einmal einen Mann in ihr Bett lässt, dann ist das nicht einmal mehr Matt Damon, sondern niemand geringeres als Gott persönlich (am nächsten Morgen allerdings...). Kurzum: Gegen diese Sarah Silverman ist Larry David in Curb Your Enthusiasm ein Muster an Bescheidenheit und Philantrophie. Unterwegs verwandelt die Serie die Peniswitze der Konkurrenz konsequent in Vaginawitze und lässt auch sonst keine Tabus aus.

Als «feminist frat boy humor» wurde beschrieben, was Silverman in ihrer eigenen Sendung anstellt. So ganz daneben liegt diese Beschreibung nicht, die radikaleren Aspekte der Serie bekommt sie jedoch nicht zu fassen. Wenn Silvermans Serie eine genuin feministische Position darstellt, dann eine, die nicht auf eine Verschiebung von Machtverhältnissen zielt, sondern eine, die durch Totalverweigerung die gesamte Gesellschaftsordnung in Frage stellt. Denkbar weit entfernt ist ein solcher Ansatz von den postfeministischen Rollenbildern in Serien wie Sex and the City, in denen Weiblichkeit zuallererst ein Konsumauftrag darstellt.

Angesichts einer wie Sarah brechen sogar die rassistischen Reiz-Reaktions-Schemata der Polizei zusammen:

Verkäufer: A girl ripped me off. She's getting away. She's a white female, kind of jewy but totally hot, not out of your league hot, just cute. Long neck, really nice skin, she could easily pass for 20.
Polizist ins Funkgerät: We have a black male...
Verkäufer: White female!
Polizist: Sorry, force of habit...

Die konservative Kulturkritik dürfte angesichts dieser Sarah Silverman ähnlich perplex reagieren wie die LAPD: A new kind of evil is in town. Dazu passend stellt die Serie in formaler Hinsicht die dominanten Rhetoriken des Quality TV in Frage. Stilistisch ähnelt The Sarah Silverman Program Internet-Comedyformaten wie Wainy Days und den hybriden Produktionen des Konkurrenzsenders Adult Swim (u.a. Robot Chicken): Längere narrative Bögen treten in den Hintergrund zugunsten improvisationsartigen Assoziationsketten, bisweilen wird das Publikum direkt adressiert, aus dem Nichts tauchen Musical- und Animationsfilmpassagen auf und hinter jeder Ecke lauern alles andere als naheliegende popkulturelle Verweise. Diese hybride Intertextualität kennzeichnet The Sarah Silverman Program als ein Format, das sein Zielpublikum eher vor dem PC, als bei Konkurrenzsendern vermutet.

Selbstverständlich sind bei all dem viele Einfälle allzu albern, manch ein Seitenhieb in Richtung political correctness wirkt opportunistisch und Toleranz für Witze über Körperflüssigkeiten muss man ohnehin mitbringen. Dennoch: Wie The Sarah Silverman Program die College-Nerd-Internet-Kultur mit radikalem Feminismus konfrontiert, das sollte man einfach gesehen haben. Auch, weil keineswegs abzusehen ist, von welcher der beiden Seiten aus betrachtet diese Konfrontation die größere Provokation darstellt.