19. September 2022
5 x John Cromwell
Of Human Bondage (1934)
Eine Figur wie diese Mildred muss man sich erst einmal ausdenken. Bzw. das kann nur einer, den zutiefst misogyne Ängste vor dem Weiblichen treiben. Der Plot von Somerset Maughams Roman, den die Verfilmung, wenn auch um ein paar Stränge gekürzt, auf den Kern reduziert, übernimmt: Philip Carey (Leslie Howard), der gerne Maler wäre, aber nicht genug Talent hat, Außergewöhnliches darin zu leisten, studiert lieber Medizin. Er hat einen deformierten Fuß, leidet darunter. Er verliebt sich in die Kellnerin Mildred, und zwar: je weniger sie sich zu ihm hingeneigt zeigt, desto mehr. Er verfällt ihr, sie nimmt einen anderen, kehrt zurück, betrügt ihn mit Philips bestem Freund, geht auf und davon, kehrt zurück, nun mit Kind, er nimmt sie auf, bekennt seinen Ekel, sie zerstört seine Gemälde, verbrennt das Vermögen, das er zum Studium braucht. Sie verschwindet, Philip findet sie wieder, todkrank, im Roman ist sie Prostituierte, hat Siphylis, im Film ist es TB. Bette Davis nimmt sich diese Figur, greift sie sich, fast gewaltsam, gönnt ihr nicht den mindesten Liebreiz, insistiert auf den Verzicht auf alles Weichzeichnen gegen Ende, das ist radikal unsubtil gespielt, aber so schneidet sie jeden Weg zur Sympathie erst recht ab. John Cromwell inszeniert das mit Schuss-Gegenschuss um Schuss-Gegenschuss, Konfrontation der Gesichter, Blicke immer nur haarscharf an der Kameralinse vorbei. Ein Reißschwenk einmal, Raum irreal überwindend ins Auto hinein, am Fenster vorbei, landet auf Philip, schwenkt langsam nach links, wo nun Mildred ist, die da vorher nicht war. Wie ein Fluch kehrt sie wieder und wieder zurück. Aber es braucht einen verfallenen Philip dafür und einen Mann, der die Panik vor dem Weiblichen nur in der Erfindung einer Familie mit superpatriarchalem Vater mit neun Kindern und einer liebenden, wunderschönen Sally (Frances Dee) austreiben kann. (57cp)
The Prisoner of Zenda (1937)
Eine Kamerafahrt über eine Karte in den europäischen Osten, irgendwo hinter Rumänien blendet sie ab: Willkommen im Fantasy-Land. Hier kommt einer an und gerät an eine Parade von Gesichtern, die aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Der Mann, den sie sehen, sieht aus wie ein Mann, den sie kennen, nämlich ihr künftiger König. Er ist es nur nicht. Es entspinnt sich, opulent verdavidoselznickt, eine Doppelgängergeschichte, als Palastintrige mit Komödienmomenten und Romanzenmomenten. Nicht fehlen dürfen fechtende Schatten an der Wand einer von Wasser umgebenen Burg. Ein wenig Amphitryon auch, wenn die designierte Gemahlin des wenig liebenswerten Thronfolgers im falschen König einen Mann entdeckt, den sie lieben kann, wenn nicht muss. Im Hintergrund finstere Machenschaften des Bruders, der selbst auf den Thron will und seinerseits aus dem Staunen nur langsam herauskommt, als der Doppelgänger die Krönungszeremonie wie ein König zelebriert. Im Hintergrund hinter dem Bruder ein finster-ingeniöser Jago als final boy der Intrige - C. Aubrey Smith als Colonel Zapt. Überhaupt fantasievoll fast-europäische Namen, Rudolf von Rassendyll heißt der Held, ein Fritz von Tarlenheim (David Niven) spielt ebenfalls mit, Mary Astor ist Antoinette de Mauban. Die Bösen sind elegant böse, die Guten elegant gut, Ronald Colman an erster Stelle. Auf dem Spiel steht nichts Ernstes, das süßsaure Ende teilt die Sphären und lässt einen gereiften König zurück. (72cp)
The Enchanted Cottage (1945)
Nichts will, von Anfang an, Wirklichkeit sein. Studio, Ruine, Verwunschenheit, Zauber als Amalgam. Vom blinden Mann am Klavier eingeführt, ein Märchen aus besseren Zeiten. Von wegen: Der Krieg zerstört den Mann, indem er das Bild, das der Mann von sich hat, auslöscht. Die rechte Seite gelähmt, er sieht sich selbst, wie ihn die Gesellschaft (vertreten durch die Elterngeneration) sieht: als Ausschuss. Gut dass sich im verwunschenen Cottage (ganz schön groß für ein Cottage, um ehrlich zu sein) ein Pendant findet, Ausschuss nur deshalb, weil arm und nicht attraktiv. Ein schlechter Witz, weil Dorothy McGuire auch mit Verunschönerungsmaßnahmen nicht hässlich wird. Nicht Glöckner hier, nicht Glöcknerin da, beziehungsweise nur nach Maßstäben, die für Hollywood-Hero*innen gelten. Viel suspension of disbelief nötig, aber gut, Augen zu und durch. Nein, Augen auf und durch. Nein, mit offenen Augen das sehen, was schön wäre, aber nicht ist. Nein, mit geschlossenen Augen die Wahrheit erkennen, die die Liebe verbirgt. Nein, die Liebe spricht die Wahrheit, egal, was die anderen sagen. Durch ihre Augen sehen, und durch die seinen. Und dann die schnöde Objektivität. Die Liebe (letztlich per se) als Wahrheitskonkurrent mit den Realitäten. Eine Quadratur von Blindheit und Sehen, Seele und Körper, ein Verlogenheitszirkel, in den man sich, so verwunschen schön, wie er ist, gerne hineinbegibt. Das Herz sagt ja, der Verstand rollt mit den Augen, wo der Krieg und das Leben Wunden schlagen, wächst der Wille zum Schönlieben auch. (70cp)
Dead Reckoning (1947)
Der Mann des Militärs namens Rip sitzt in einer Kirche im Schatten eines Pfeilers und spricht. Es ist keine Beichte, vielmehr der Vorwand zum Flashback und zu einer Erzählung in der ersten Person, beides archetypisch Hardboiled/Noir. Es kommt dazu, dass der Mann des Militärs, sieht man ihn erst einmal ohne den Schatten, der sein Gesicht schwarz in schwarz unsichtbar macht, sich als Humphrey Bogart entpuppt. Er redet wie ein gumshoe, er ermittelt wie ein gumshoe, führt zum Beispiel auch die Polizei an der Nase herum, er bewegt sich wie ein gumshoe, er fährt sich mit den Fingern über die Lippen wie ein Bogart-gumshoe, er verfällt einer sehr blonden und sehr fatalen femme (Lizabeth Scott), kein Zweifel, dass das alles in Richtung Chandler und Hammett mehr als nur schielt. Noch dazu ist der Plot bis zur Undurchsichtigkeit kompliziert, ein verschwundener Soldat, eine vergangene Leiche, eine Waffe als Beweisstück, mehr als einmal wird der Ich-Erzähler bewusstlos. Übererfüllung des Genres also, wobei alles, wiewohl sehr kompetent inszeniert, bis kurz vor die Grenze der Parodie hin verrutscht. Die wisecracks der Dialoge treffen nie ins Schwarze, aber immerhin noch das Brett. Bogart und Scott spielen das Hin und Her ihrer zwischen Begehren und Hintergehen aufgespannten Attraktion mit großem Ernst, auch das bis zum Anschlag. Der Raum, der sich dabei öffnet, ist interessant: Man kann alles, was zum Genre gehört, durchaus genießen, ohne es ganz ernst nehmen zu müssen, und zwar gerade, weil hier alle das Gegenteil von Leichtfertigkeit wollen. Fast glaubt man denen, die so überzeugt sind, dass das, was sie tun, die Tiefe hat, an die sie selbst glauben. Und dann ist nach einem furiosen Finale das Schlussbild wirklich sehr schön. Ein Fallschirm, als Metapher des Stürzens und Sterbens zuvor bereits eingeführt, gleitet zur Erde, verliert Spannung und Luft und geht, ins The End hinübergeblendet, zu Boden: der Tod. (73cp)
Caged (1950)
Auf dem Schreibtisch der Gefängnisdirektorin das Foto eines, ihres Manns. Über ihn erfahren wir nichts. Überhaupt in den Credits: kein einziger Mann. Im Off der Vorgeschichte, schon tot, der Mann der Protagonistin, die als Komplizin bei seinem Raubüberfall in den Knast kommt. Politiker und das Bewährungskomitee treten auf: hoffnungslose Fälle, Verkörperungen eines an Unmenschlichkeiten reichen Systems, das horrible Sadismen hervorbringt. Die horribelste Form: Aufseherin Harper, die reine Freude am Quälen. Die Geschichte ist simpel, grausam, unsentimental, am Straf- und Gefängnis-System interessiert und, ganz anders als dieses System, auf den Einzelfall fokussiert. Marie Allen (Eleanor Parker) ist erst neunzehn, unschuldig an Mann und Verhängnis geraten, mindestens zehn Monate Knast. Sie ist schwanger, die Mutter beugt sich dem neuen Mann, nimmt das Kind nicht zu sich, das Marie Allen darum zur Adoption freigeben muss. Das Gefängnis als Maschine, die Seelen zerstört. Wieder und wieder der Appell im Gruppenknast, Nachname, Vorname, die Solidarität der Gefangenen hilft, aber viel Schutz gibt sie nicht. Mit viel Licht und Schatten der Gitter setzt John Cromwell das Ensemble in Szene, nicht als Ornament, sondern als bewegliche Individuen-Gruppe, die Kamera als Werkzeug aufmerksamer, beweglicher Registratur. Virginia Kellogg (Story, Ko-Drehbuchautorin) hat under cover am eigenen Leib in vier Gefängnissen als Insassin recherchiert. Man glaubt es sofort, der Film geht an die äußersten Grenzen dessen, was der production code an Realismus erlaubt. Die Menschlichkeit gewinnt eine Schlacht gegen den Sadismus, am System, daran lässt der Film erstaunlicherweise keinen Zweifel, ändert das nichts. (79cp)